Umstrittener Lokalsender tv.berlin: Erotikclips und rechte Stimmen
Beim Lokalsender tv.berlin bekommen Rechte genauso eine Plattform wie aserbaidschanische Abgeordnete. Was steckt dahinter?
Krude ist für dieses Programm noch zu milde ausgedrückt. Der private Ballungsraumsender tv.berlin ist eine Institution in der Hauptstadt mit mehr als 30-jähriger Geschichte. Nach eigener Darstellung ist das Konzept des Senders, „Infotainment“, also eine Mischung aus Information und Unterhaltung, zu liefern. Konkret sieht die Mixtur so aus: Teleshopping, von Haushaltsgeräten bis Wärmedecken, ein nächtlicher Erotikfilm oder Sendungen wie „Fun & Drive“. Partner aus der Schweiz ist der naturheilkundliche Spartensender QS24.tv, der esoterische Inhalte im Berliner Programm beisteuert.
Auffällig oft werden seit Jahren außerdem Inhalte aus dem antidemokratischen Milieu verbreitet. So waren der inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtete Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der Buchautor Thilo Sarrazin, die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, eine wichtige Figur für die Neue Rechte, und der Chef des rechten österreichischen TV-Senders Auf 1, Stefan Magnet, zu Gast. Die Berliner Immobilienmaklerin Silke Schröder, die beim von Correctiv enthüllten Treffen in Potsdam dabei war, hatte bis vor einigen Wochen ein eigenes Talkformat.
So wie Maaßen von einer Brandmauer nach rechts nichts wissen will, so kennt auch tv.berlin keine. Mehrfach wurde er vom früheren Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) für tv.berlin interviewt. Maaßen durfte dabei unwidersprochen erklären, dass seine neue Partei Werte-Union weder reaktionär noch ultrakonservativ sei.
Auffällige Aserbaidschan-Berichterstattung
Im Januar dieses Jahres wurde Maaßen von Henkel gefragt, ob er auch in die Talkshows im deutschen Fernsehen eingeladen werde. Der antwortete: „Nein, die Staatsmedien haben mir bisher noch keine Gelegenheit gegeben.“ Im April holte dann der langjährige tv.berlin-Moderator Peter Brinkmann den früheren Geheimdienstler schon wieder ins Programm. Brinkmann beendete das Gespräch mit den Worten: „Alles Gute für die Werte-Union!“
Brinkmann ist so etwas wie die graue Eminenz des Senders. Der heute 79-Jährige war auch schon dabei, als 2013 eine türkeistämmige Familie tv.berlin übernahm. 2015 machte der Sender dann Schlagzeilen, weil er sich im Programm „beispiellos ausführlich“ Aserbaidschan widmete, wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier berichtete: „Die Homepage von tv.berlin sieht schon seit Wochen aus, als stünde die Umbenennung in TV.Baku unmittelbar bevor.“ Politisch sind Baku und Ankara eng verbandelt. Und hatten eine neue Achse nach Berlin gefunden.
Im Zusammenhang mit dem Aserbaidschan-Skandal schrieb Vice über den Sender: „Kein großer Name im Land, in der Hauptstadt aber umtriebig, bekannt und gut vernetzt.“ Interviews mit aserbaidschanischen Funktionär:innen gibt es bei tv.berlin bis heute. Zuletzt wurde der Parlamentsabgeordnete Azay Guliyev in einem auf Englisch geführten Interview zum Bergkarabach-Konflikt befragt.
Vor allem aber pflegt der Berliner Sender das von AfD & Co verbreitete Narrativ, das in vielen etablierten Medien nicht mehr alles gesagt werden dürfe. So war es auch, als der rechtspopulistische Publizist Roland Tichy im Februar mit Diether Dehm, Ex-Bundestagsabgeordneter der Linken und Enfant terrible seiner Partei, ein neues Talkformat bei tv.berlin startete: „Streit-Bar“. Die Sendung mit „Gästen aus allen politischen Lagern“ solle ein „Zeichen gegen die Cancel Culture setzen“, hieß es in der Ankündigung.
Viele rechte Gäste in Talkformaten
In Tichys Blog wurde Dursun Yigit, der Programmverantwortliche von tv.berlin, zitiert: „In den meisten Talkformaten kommen große Teile des politischen Spektrums nicht zu Wort oder aber einzelne Gäste werden regelrecht an den Pranger gestellt.“ Zu den Gästen der Gesprächsrunden mit Tichy und Dehm gehörten Ulrich Vosgerau, einer der Teilnehmer des Treffens mit Rechtsextremisten im November 2023 in Potsdam, der rechte Polizeigewerkschafter Rainer Wendt und der Chefredakteur der verschwörungsideologischen NachDenkSeiten, Jens Berger.
Langjähriger Stammgast in der tv.berlin-Sendung „Andruck“ ist Frank Wahlig, früher Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Nachdem ihn das 2022 gestartete rechte Internetradio Kontrafunk als Redakteur eingestellt hatte, wurde er weiterhin eingeladen. Als Kontrafunk im Juni 2022 an den Start ging, lobte der thüringische AfD-Chef Björn Höcke das Projekt auf Facebook als „hochwertige Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Gründer des Internetradios ist Burkhard Müller-Ullrich. Er veröffentlichte 2023 in der Schriftenreihe „Exil“, herausgegeben von Susanne Dagen, das Buch „Medienmärchen“. Dort schreibt er über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Das ganze Rundfunkbiotop ist gekippt. Versifft, verseucht, unsanierbar.“
Und ein Regionalsender wie tv.berlin macht sich das ebenfalls zur Agenda? Im Januar 2024 kam es in der Sendung „Andruck“ zu einer Kontroverse zwischen Wahlig und dem Hauptstadtkorrespondenten der Stuttgarter Zeitung, Norbert Wallet. Wallet sagte, Kontrafunk wolle das Gedankengut der AfD stückweise in den öffentlichen Dialog einspeisen. Kontrafunk würde dabei „helfende Hände reichen“. Wahlig gab zu, in dem Sender kämen, anders als in den „breiten Medien“, „tatsächlich zu bestimmten Themen Abgeordnete der AfD vor, weil, wo sollen die sonst vorkommen?“ Moderator Brinkmann beschwichtigte: „Wir sind pluralistisch. Deswegen laden wir alle ein.“
Nach diesem Disput wurde Wahlig nicht mehr zu tv.berlin eingeladen. Gibt es also im Sender doch eine Art Selbstkontrolle? Der Sender äußert sich nicht zu dem Vorgang. Auch andere Fragen lässt tv.berlin unbeantwortet – etwa die zu Mediadaten oder zur in der Branche geäußerten Vermutung, dass für einzelne Sendeplätze von Interviewer:innen oder Interviewten bezahlt wird.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg erklärt auf Anfrage der taz, Programmbeschwerden gegen tv.berlin wegen rechter Inhalte seien bisher nicht eingegangen. Eine Sprecherin sagt: „Derzeit enthält tv.berlin ausreichend lokal-regionale Inhalte für die Rundfunkzulassung als lokal-regionales Programm.“
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