Auszeichnung für Autorin Jenny Erpenbeck: Ihren Figuren so nah

Für ihren Roman „Kairos“ bekommt Jenny Erpenbeck als erste Deutsche den International Booker Prize. Die Jury spricht von „leuchtender Prosa“.

Jenny Erpenbeck

Jenny Erpenbeck Foto: Fredrik Sandberg/TT/imago

BERLIN taz | Wie interessiert und beeindruckt die englischsprachige Literaturwelt auf das Werk der 57-jährigen Jenny Erpenbeck schaut, hat die Autorin jetzt schriftlich. Das ist schon was: Für den Roman Kairos in der englischen Übersetzung von Michael Hofmann erhielt sie am Dienstagabend als erste Deutsche den International Booker Prize.

In der Begründung der Jury stehen Sachen wie: „leuchtende Prosa“ und dass „die Selbstversunkenheit der Liebenden, ihr Abstieg in einen zerstörerischen Strudel mit der größeren Geschichte der DDR“ um den Mauerfall herum verbunden bleibe. Damit ist es sozusagen amtlich, dass Jenny Erpenbeck in der großen weiten Welt erst einmal ein Aushängeschild, vielleicht das Gesicht, der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur darstellen wird.

Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Ostberlin geboren, in ein Elternhaus, das als Literaturwissenschaftlerin, so die Mutter, und Professor, so der Vater, zur Intelligenzija der aus­gehenden DDR gehörte. Ein erstes Porträt in der taz erschien 2001 über sie. Sie empfing den taz-Autor in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, das damals das absolute Zentrum der jungen deutschen Literatur war, hatte gerade die Jury-Auszeichnung beim Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und wollte gesiezt werden, was in dem Porträt leicht verblüfft gleich als Einstieg des Textes genutzt wird.

Einen gewissen Abstand zum Betrieb hat sie, die zunächst auch im dramaturgischen Theaterbereich Erfahrungen gesammelt hat, ihre gesamte literarische Karriere lang gewahrt, was keineswegs verhindert hat, dass die Liste ihrer Auszeichnungen lang ist. Nur die ganz großen Weihen blieben bislang aus. Interessant, dass sie jetzt vom Ausland aus kommen.

„Kairos“ ist eine erst euphorische, dann zunehmend toxisch werdende Liebesgeschichte zwischen einer sehr jungen Frau und einem 34 Jahre älteren Mann. Porträts, Szenen, Befindlichkeiten von Menschen in der DDR zwischen Anpassung und innerem Exil sind eingewoben, das ungleiche Paar und der Verlauf ihrer Beziehung bleibt aber im Zentrum.

Sie lässt Themen einsickern

Den Ansatz, von einem einzelnen Punkt aus große Geschichte aufscheinen zu lassen, hat Jenny Erpenbeck schon häufiger angewendet und dabei immer wieder neu variiert. Von einem Seegrundstück aus erzählt sie die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts inklusive Nazizeit („Heimsuchung“). Über verschiedene mögliche Lebensläufe einer Frau malt sie das 20. Jahrhundert noch einmal anders aus, mit Akzent auf die politischen und nachfolgend auch individuellen Brüche in ihm („Aller Tage Abend“).

Dezidiert politisch wurde sie in dem Roman „Gehen, ging, gegangen“, in dem sie – mit dem Camp protestierender Geflüchteter, das es 2013/14 in der Berlin-Kreuzberger Oranienstraße tatsächlich gegeben hat, als zentralem Ausgangspunkt – die unschönen Seiten der Gegenwart beleuchtete: Ausgrenzung, Abschottung.

Wie bei „Kairos“ kann man auch hier nicht sagen, dass Jenny Erpenbeck über Themen schreibt, sie lässt sie durch die Figuren hindurch vielmehr in den Text einsickern. Wie nah sie ihren Figuren dabei kommen kann, zeigt sie in „Kairos“, vor allem im ersten Drittel. Dass sie zur deutschen Gegenwart immer auch ein Stück weit Abstand hält, zeigte sich konkret in „Gehen, ging, gegangen“, ein Buch, in dem einem beim Lesen, während die zunächst als Fremde gelesenen Geflüchteten näher kamen, die deutsche Gegenwart immer fremder wurde.

Jenny Erpenbeck beschreibt deutsche Geschichte und Gegenwart teilweise so, als müsste sie sie außenstehenden Beobachtern erst erklären. Vielleicht macht diese Wendung ihre Romane, neben dem längst exotischen Reiz angenommenem DDR-Thema, für internationale Leserinnen und Leser noch einmal besonders interessant.

Seit ein paar Wochen wird Jenny Erpenbeck auch als mögliche Kandidatin für den Literaturnobelpreis gehandelt. In Deutschland nimmt man das staunend, aber auch leicht augenreibend zur Kenntnis. Jenny Erpenbeck ist hierzulande eine eingeführte Autorin. Klar, ihre Romane werden umfangreich und gut besprochen, auch in der taz. Sie haben, da sie so besonders sind, viele Fans, und da sprachlich vielleicht etwas hochgetuned, auch die Kritiker. Die hat man, wenn der Erfolg da ist – aber solche Ehren? Krass. Doch das ist eh erst mal Zukunftsmusik und sowieso auch Spekulation.

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