Energy Sharing: „Regierung handelt auf EU-Druck“

Der Staat muss die Möglichkeit des Energie-Sharings schaffen, damit mehr Menschen Erneuerbare nutzen können, fordert Zieher vom Bündnis Bürgerenergie.

Solardach in Mailand

Wer kein eigenes Dach besitzt, kann Mitglied einer Energiegenossenschaft werden Foto: Claudia Greco/reuters

taz: Herr Zieher, viele Menschen möchten gern mehr für die Energiewende tun, als einen Ökostromtarif zu buchen. Ihre Organisation, das Bündnis Bürgerenergie, sagt: 90 Prozent der Haushalte in Deutschland könnten aktiver Teil der Energiewende werden. Wie kann das gehen?

Malte Zieher: Indem die Bundesregierung in Deutschland das Energy-Sharing ermöglicht. Heute sind bereits viele Menschen Teil der Energiewende. Es gibt mehr als zwei Millionen Anlagen in Deutschland, die erneuerbare Energien produzieren, zum Beispiel Solardächer. Im vergangenen Jahr sind Hunderttausende Balkonkraftwerke dazugekommen. Damit noch mehr Menschen teilhaben können, fordern wir die Möglichkeit des Energy-Sharings.

Wie würde dieses Energie-Teilen funktionieren?

Menschen, die zum Beispiel kein eigenes Dach zur Verfügung haben, können sich einer Energiegemeinschaft anschließen. Diese Gemeinschaft erzeugt gemeinschaftlich Strom und teilt ihn untereinander, zum Beispiel in einer Energiegenossenschaft. Interessierte zeichnen einen kleinen Anteil, werden Mitglied, können in der Mitgliederversammlung mitentscheiden und investieren damit auch in neue Energienanlagen, in Solaranlagen, in Windparks – und können dann anteilig Strom aus diesen Anlagen beziehen.

Malte Zieher

37, vom Bündnis Bürgerenergie. Er setzt sich für den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien in Bürgerhand ein.

Es gibt ja hierzulande bereits viele hundert Energiegenossenschaften.

Ja, Energiegenossenschaften gibt es schon. Allerdings in Form von Erzeugungsgenossenschaften. Sie erzeugen Strom und speisen ihn ins Netz ein. Aber die Mitglieder haben nicht die Möglichkeit, diesen Strom zu verbrauchen. Das sieht das deutsche Recht im Moment nicht vor. Genau das wollen wir ändern.

Mitglieder von Energiegenossenschaften dürfen den eigenen Strom nicht verbrauchen?

Es ist nicht verboten. Aber Energiegenossenschaften verlieren den Anspruch auf die Förderung, wenn sie ihren Grünstrom direkt an die Mitglieder weitergeben. Das ist das sogenannte Doppelvermarktungsverbot. Deshalb macht das so gut wie keine Energiegenossenschaft.

Wie sieht die Förderung aus, die auf dem Spiel steht?

Wer eine kleine bis mittlere Erneubare-Energien-Anlage realisiert, bekommt gesetzlich die Garantie, 20 Jahre lang eine Marktprämie zu erhalten. Die Betreiber suchen sich einen Direktvermarkter, der den Strom an der Börse handelt und zu einem bestimmten Preis verkauft. Die Differenz zwischen diesem Preis und dem gesetzlich garantierten Preis, das ist die Marktprämie. Darüber haben die Betreiber über 20 Jahre eine Investitionssicherheit. Wer keine Marktprämie bekommt, bekommt auch keinen Kredit von der Bank. Denn die Bank lässt sich nicht auf spekulative Börsenpreise ein, sie will eine garantierte Vergütung. Energiegenossenschaften sind auf diesen Mechanismus angewiesen, daraus können sie sich nicht lösen.

Ohne Förderung ist die Finanzierung von Anlagen nicht möglich?

Es gibt am Markt schon Akteure, die ohne Förderung Anlagen betreiben. Das sind aber in der Regel Großprojekte von Großinvestoren, die nicht auf Banken angewiesen sind. Bürger-Energiegenossenschaften oder Energiegemeinschaften mit anderen Rechtsformen können das nicht leisten, weil dazu Risikokapital nötig wäre.

Gibt es Aussichten, dass ein solches Energy-Sharing bald kommt?

Auf europäischer Ebene ist Bewegung in das Thema gekommen. Durch die aktualisierte Strommarkt-Richtlinie der EU wird Energy-Sharing neu definiert. Jetzt ist auch das Bundeswirtschaftsministerium der Meinung, dass es nicht darum herumkommen wird, Energy-Sharing zu ermöglichen. Die Richtlinie ist im April vom EU-Parlament verabschiedet worden, sie muss noch durch den Rat. Dann muss die Bundesrepublik das umsetzen.

Wann geschieht das?

Das Bundeswirtschaftsministerium hat signalisiert, dass es im Juni Vorschläge zu dieser Umsetzung vorgelegen will. Aus unserer Sicht hätte das schon viel früher geschehen können. Die Bundesregierung handelt an dieser Stelle nur auf Druck der EU.

Die Ampel-Regierung muss zum Jagen getragen werden?

Ja. Das Thema bespielen wir schon sehr lange, und wir machen seit vielen Jahren regelmäßig Vorschläge. Das ist auch der Grund, warum wir seit langem einen Umweg über die EU gehen und Lobbyarbeit auf EU-Ebene machen. Wir haben das Gefühl, anders bekommen wir die Bundesregierung gar nicht zum Handeln.

Gibt es in Deutschland überhaupt genug Projekte, damit Energy-Sharing zu einem Massenphänomen werden kann?

In den meisten Regionen gibt es Akteure, auch wenn es mancherorts schwierig ist, im Umkreis von 30 Kilometern ein Projekt zu finden. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Modelle. Zum Beispiel in Bayern gibt es mehr Energiegenossenschaften, und in Schleswig-Holstein gibt es mehr GmbHs & Co. KGs. Die Rechtsformen unterscheiden sich, und sicherlich gibt es in Bayern mehr Bürgersolaranlagen und im Norden mehr Bürgerwindparks.

Was macht die Bürgerenergie im Unterschied zu anderen Anbietern aus?

Bürgerenergie ist von Konzernen unabhängig. Sie steht für dezentrale Strukturen und folgt sozialen, ökologischen und auch demokratischen Werten. Das heißt, dass Menschen partizipativ zusammenkommen und das Wirtschaftssystem auf kleinere Akteure ausrichten. Und im Fall einer Genossenschaft bedeutet das auch, dass jeder Mensch eine Stimme hat, das ist eine urdemokratische Rechtsform. Letztendlich folgt Bürgerenergie der Idee der Selbstbestimmung und der Selbstwirksamkeit: dass Menschen die Möglichkeiten, die vor Ort gegeben sind, gemeinschaftlich nutzen können.

Gibt es neben dem fehlenden Energy-Sharing weitere Hindernisse für die Bürgerenergie?

Bei Großprojekten müssen sich Betreiber die Marktprämie in einem Ausschreibungsverfahren sichern. Da sind große Unternehmen bevorteilt, denn wenn sie nicht erfolgreich sind, haben sie weitere Projekte. Eine Bürgerenergie-Gemeinschaft muss für die Ausschreibung mindestens 100.000 Euro investieren. Das Risiko, leer auszugehen, ist ein großes Problem. Deshalb gibt es für die Bürgerenergie die Ausnahme von der Ausschreibung, aber sehr restriktiv. Eine Bürgerenergie-Gemeinschaft darf nur alle drei Jahre von der Ausnahme Gebrauch machen. Sie muss danach also drei Jahre warten, bis es das nächste Projekt beginnen kann.

Das System hat für kleine Gemeinschaften also einen eingebauten Wachstumshemmer?

Genau. Energiegemeinschaften werden ausgebremst. Dabei sollten Projekte, die vor Ort mit vielen Menschen einen Wert und professionelle Strukturen geschaffen haben, unterstützt und weitergetragen werden.

Vor Kurzem haben Bundestag und Bundsrat das Solarpaket I verabschiedet. Wird das der Bürgerenergie einen Schub geben?

Ja, es gibt unter anderem kleine Verbesserungen bei der Ausnahme der Bürgerenergie von den Ausschreibungen. Außerdem wird es künftig zum Beispiel möglich sein, dass Mieter im selben Gebäude gemeinsam eine Solaranlage nutzen. Das war bislang sehr kompliziert im Rahmen des Mieterstroms möglich und wird nun einfacher. Die neue Möglichkeit wird im Gesetz gemeinschaftliche Gebäudeversorgung genannt.

Was ist der Unterschied?

Beim Mieterstrom muss der Betreiber immer einen Versorgungsvertrag mit einem Energieversorger abschließen, der Strom liefert, wenn vom eigenen Dach keiner kommt. Das erübrigt sich bei der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung. Der Betreiber wird von dieser Pflicht befreit. Dadurch wird viel Bürokratie abgebaut.

Welchen Effekt hat das?

Im Vergleich zu Einfamilienhäusern gibt es bislang kaum Mehrfamilienhäuser mit Solaranlagen. Das kann nicht so bleiben. Wir brauchen die Energiewende auch in den Städten, in den urbanen Räumen. Da hilft diese Neuerung durchaus.

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