piwik no script img

Aufnahme von Menschen aus Afghanistan„Ein echtes Blockadeprogramm“

Die Bundesregierung wollte Schutzbedürftige aus Afghanistan aufnehmen, legt ihnen aber große Steine in den Weg. Zuletzt gab es immerhin Hoffnung.

Protestaktion, um die Ortskräfte zu evakuieren, in Berlin im August 2022 – bis heute ist nicht viel passiert Foto: Stefan Boness

Friedrichshafen taz | Eigentlich wollte Deutschland mit dem Bundesaufnahmeprogramm besonders gefährdeten Menschen aus Afghanistan Sicherheit bieten. Doch bisher lief es sehr schleppend. Auch in der Ampelkoalition sorgt das für Unmut. „Der gute Wille auf dem Papier bringt uns rein gar nichts“, sagt etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh.

Mitte August 2021 hatten die Taliban erneut die Macht in Afghanistan übernommen. Deutschland versprach, nicht nur Ortskräften, sondern auch anderen gefährdeten Menschen zu helfen. Das geschah zunächst über eine sogenannte Menschenrechtsliste, später über ein Überbrückungsprogramm und schließlich, seit Oktober 2022, mit dem Bundesaufnahmeprogramm.

Doch die Kritik an dessen schlechter Umsetzung reißt nicht ab. Eine Folge davon ist laut Lindh, dass die Zahl der Asylgesuche gestiegen ist. „Wir erreichen damit nur, dass die Menschen wieder mehr die gefährlicheren Fluchtwege nutzen“, betont Lindh. Eben das dürfe nicht das Ziel sein.

Ende Juni 2023 wurden die Verfahren um ein Sicherheitsinterview mit den Betroffenen ergänzt. Seitdem finden sämtliche humanitäre Visaverfahren für Af­gha­n*in­nen ausschließlich in Pakistan statt. Zusagen stehen zudem bis zur Erteilung des Visums unter Vorbehalt. Sie können jederzeit zurückgenommen werden. Die taz hat über mehrere solcher Fälle berichtet.

Ein „echtes Blockadeprogramm“

„Betroffene haben die Sicherheit erst, wenn sie im Flieger nach Deutschland sitzen“, sagt Canan Canlı, Vize-Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD. Die Prüfungen seien langwierig, intransparent und kräftezehrend für die Schutzsuchenden. Ablehnungen würden nicht einmal begründet.

Obendrein müssten Betroffene es erst mal „irgendwie“ ins Nachbarland Pakistan schaffen, wo die Verfahren stattfinden. So würden Menschen trotz der Gefährdung, die deutsche Ministerien anerkennen, im Stich gelassen. Canlı spricht „von fehlendem politischen Willen“. Dabei seien die Fakten bei Afghanistan so klar wie sonst selten: „Die Gefahr für die zurückgelassenen Menschen ist für alle sichtbar und eindeutig.“

Canlı bezieht sich auch auf den Zwischenbericht der Enquetekommission des Bundestags zum deutschen Engagement in Afghanistan. Dennoch folgten aus den darin bemängelten Fehlern keine Konsequenzen „Die Regierung fühlt sich zu wenig unter Druck gesetzt“, ärgert sich Canlı über die Koalition, an der ihre Partei beteiligt ist. Das Aufnahmeprogramm werde seinem Namen nicht gerecht, sei vielmehr ein „echtes Blockadeprogramm“, so die SPD-Politikerin aus Kiel. Aus ihrer Sicht müsse das Verfahren komplett neu aufgelegt werden. „Oder will man warten, bis die Betroffenen tot sind, damit man sie nicht mehr retten muss?“

1.000 Aufnahmezusagen pro Monat sollten erteilt werden. Lange lag der Monatsschnitt nicht einmal bei 70. Seit dem offiziellen Start des Programms im Oktober 2022 bis Anfang Februar dieses Jahres hatte es gerade einmal 1.079 Zusagen und 105 Einreisen gegeben.

Doch nun scheint Bewegung hineinzukommen: Zuletzt seien die Zahlen „deutlich gestiegen“, betont der SPD-Abgeordnete Lindh. Die Gesamtzahl der Zusagen betrug Ende April 2.208, die Gesamtzahl der Einreisen 399. Die Zahl der Zusagen hat sich also etwa verdoppelt. Und die Zahl der Schutzbedürftigen, die tatsächlich einreisen konnten, hat sich beinahe vervierfacht – auch wenn das Niveau noch immer niedrig ist. Laut Lindh ist das Programm also erst jetzt gestartet. „Davor konnte davon nicht ernsthaft die Rede sein“, sagt der SPD-Politiker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Eine falsches Detail im Artikel: Es sollen nicht 1000 Aufnahmezusagen pro Monat erteil werden, sondern „bis“ zu 1000. 1000 ist nicht die Vorgabe sondern die Obergrenze. Mit 70 Zusagen liegt man im Rahmen von bis zu 1000.

  • Das ist etwas, was ich niemals verstehen werde. WIR sind für UNSERE Ortskräfte verantwortlich.



    Hätten wir einen Funken Anstand, würden wir alles tun, um sie herauszuholen.

  • Wieso brauchen wir ein Aufnahmeprogramm? Es werden doch jeden Monat Tausende aufgenommen und die Kommunen sind überfordert!