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Ausländische PflegefachkräfteLange Wege nach Deutschland

In der Not suchen Kliniken verstärkt im Ausland nach Fachkräften. Vorreiterin in Bremen ist das Rote Kreuz. Hierher kommen die Leute von selbst.

Dass sie in Deutschland auch Grundpflege leisten müssen, ist für viele ausländische Pflegekräfte eine Umstellung Foto: Friso Gentsch/dpa

Bremen taz | Etwa einmal pro Woche bekommt Ines Wißotzki eine Mail mit dem Inhalt: „Kann ich mich bewerben?“ oder: „Kann xy sich bewerben?“ Die Antwort lautet bei entsprechender Qualifikation als Pflegefachkraft grundsätzlich ja, denn Ines Wißotzki arbeitet bei der Bremischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz und koordiniert dort die Betreuung ausländischer Pflegefachkräfte. Die meisten von ihnen arbeiten im Rotes Kreuz Krankenhaus (RKK) in der Bremer Neustadt. Wie allen Kliniken deutschlandweit fehlt dort Personal.

Als erste in Bremen hat die Schwesternschaft gezielt Pflegefachkräfte aus dem Ausland angeworben. Die ersten sind 2019 nach Deutschland gekommen. Inzwischen arbeiten rund 80 von ihnen auf den Stationen. Das sind 25 mehr als beim städtischen Krankenhausbetrieb Geno, bei dem mit 8.000 Beschäftigten mehr als elfmal so viele Mit­ar­bei­te­r:in­nen tätig sind. Dafür stellt die Geno seit dem Jahr 2022 jährlich rund 30 Auszubildende aus dem Nicht-EU-Ausland ein, vermittelt von Ehrenamtlichen in den Herkunftsländern.

Die Strategie der Geno zur Gewinnung ausländischer Pfle­ger:in­nen ist am Dienstag Thema in der Gesundheitsdeputation der Bremischen Bürgerschaft. „Kompliziert, zeitaufwendig, teuer“, so lässt sich der vorab vorliegende Bericht zusammenfassen. So würde die Rekrutierung pro Fachkraft den Arbeitgeber 15.000 bis 18.000 Euro kosten. Die Zahl hat die Gesundheitsbehörde dem Pflegemarkt-Report entnommen.

„Das kommt hin“, sagt dazu Ines Wißotzki von der Bremischen Schwesternschaft. Der Preis sei gerechtfertigt, wenn die Pflegefachkräfte von den Vermittlungsagenturen im Heimatland so vorbereitet worden sind, dass diese dann auch wirklich in den Einrichtungen einsatzbereit sind. „Wir haben aber auch anfangs andere Erfahrungen gemacht“, sagt Wißotzki.

Mittlerweile rekrutiert die Schwesternschaft die Mit­ar­bei­te­r:in­nen selbst im Ausland, seit 2022 als eines von 57 Unternehmen in Deutschland, die das Prüfsiegel „Faire Anwerbung Pflege“ tragen. Auf diese Weise spart sie zum einen die Kosten für Vermittlungsagenturen – zum anderen hat sie mehr Einfluss auf die Auswahl der Personen und kann so besser sicherstellen, dass sie geeignetes Personal einstellt.

Mund-zu-Mund-Propaganda

Möglich macht das Mund-zu-Mund-Propaganda. „Das spricht sich herum“, sagt Wißotzki. Ihre Mailadresse, die auf keiner Homepage steht, werde weitergereicht. „Dann melden sich entweder Leute, die jemand kennen, der oder die schon bei uns arbeitet oder jemand aus dem Haus fragt für Bekannte an.“ Am Anfang seien viele aus Jordanien gekommen, weil die erste Vermittlungsagentur dort ansässig war. Mittlerweile arbeiteten Pflegekräfte aus 20 Ländern im RKK, viele aus den Balkanstaaten, aber auch aus der Ukraine und jetzt verstärkt Frauen aus dem Iran.

Letztere, sagt Wißotzki, kämen aus politischen Gründen, sie wollten frei leben. Deshalb holten auch alle ihre Familien zügig nach – was aber für die Mehrzahl der ausländischen Pfle­ge­r:in­nen gelte. Nach ihren Erfahrungen seien es in der Regel keine Ar­beits­mi­gran­t:in­nen, deren Kinder von den Großeltern im Heimatland groß gezogen werden, bis sie genug verdient haben, um zurückkehren zu können. Deshalb sieht Wißotzki hier neben den langen Bearbeitungszeiten für Visa die größten Hürden: „Es fehlt an Wohnungen und Kindergartenplätzen.“ Alleinstehende und Alleinanreisende könne die Schwesternschaft zusammen mit dem Rotes Kreuz Krankenhaus in eigenen oder angemieteten Wohnungen unterbringen, aber keine Familien.

Deshalb telefonieren sie und ihre Kollegin viel mit Vermieter:innen, aber auch Schulen und Kindertagesstätten sowie diversen Behörden. Die deutsche Bürokratie sei für die meisten der internationalen Pfle­ge­r:in­nen ein Kulturschock, sie verbringe viel Zeit damit, Amtsschreiben zu erklären.

Viel Papierkram abzuwickeln gebe es auch, bevor jemand überhaupt ein Visum bekommt. „Die Stapel sind oft fünf bis acht Zentimeter hoch“, sagt Wißotzki. Die Be­wer­be­r:in­nen müssen ihre Qualifikationen und Erfahrungen nachweisen, dazu Deutschkenntnisse.

Vereinfachte Verfahren

Seit diesem Jahr ist das Verfahren allerdings bundesweit vereinfacht worden. So können die Behörden auf Schulzeugnisse, Geburtsurkunden und andere Dokumente verzichten, die für das Anerkennungsverfahren als Fachkraft nicht relevant sind. Auch Beglaubigungen würden nur noch bei begründeten Zweifeln angefordert, so eine Sprecherin der Bremer Gesundheitsbehörde. Übersetzungen seien nicht mehr erforderlich, wenn das Original in englischer Sprache vorliege.

Nicht mehr zwingend ist zudem eine Vorab-Prüfung, ob die ausländische Ausbildung der deutschen gleichwertig ist. Wer auf diese Gleichwertigkeitsprüfung verzichtet, muss in Deutschland eine umfassende Kenntnisprüfung ablegen. Darauf werden manche Fachkräfte im Ausland vorbereitet, andere erst in Deutschland. Die Geno wolle dies nun generell so handhaben, teilt die Bremer Gesundheitsbehörde mit. Der Vorteil: Wenn die Fachkenntnisse nicht ausführlich geprüft werden müssen, sind die Menschen schneller im Land.

Das RKK und die Bremische Schwesternschaft haben sich dennoch für die Alternative entschieden: Sie lassen die Gleichwertigkeit prüfen und schulen dann in einem Anpassungslehrgang gezielt die Inhalte, die einer Person fehlen. Der Grund: Die Kenntnisprüfung sei sehr umfangreich und schwer zu bestehen, hätten die internationalen Pflegekräfte erfahren, sagt Ines Wißotzki. Einige seien anfangs durchgefallen.

Die Anpassungslehrgänge, die auch Beschäftigten anderer Einrichtungen offenstehen, dauern zwischen drei und 18 Monaten. In dieser Zeit können die Personen dann nur als Pflege-Helfer:innen eingesetzt werden, bis sie als Fachkräfte anerkannt sind.

Kulturelle Unterschiede

In den ersten zwei Wochen nach der Ankunft gebe es nur Theorie, sagt Ines Wißotzki. Dort würde Wesentliches besprochen: welche Aufgaben sie in Deutschland haben, worauf sie sich einstellen müssen. Die wichtigsten Unterschiede würden sie aber schon in den Bewerbungsgesprächen per Videocall besprechen. „Wir hatten anfangs Muslimas, denen nicht klar war, dass sie hier auch die Grundpflege bei Männern übernehmen müssen.“ Oder dass sie aus hygienischen Gründen keine langen Ärmel tragen dürfen.

In den meisten Herkunftsländern würden die Pa­ti­en­t:in­nen zudem von den Angehörigen versorgt und gewaschen. „Die Fachkräfte machen dort keine Grundpflege und müssen sich sehr umstellen.“ Deshalb würden viele am liebsten in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation arbeiten. „Das kommt dem ärztlichen Handeln näher.“ Auch Sprachkenntnisse müssten oft noch vertieft werden.

Nicht immer führt der Aufwand zu einem dauerhaften Arbeitsverhältnis. Ursprünglich hätten 105 Personen angefangen, sagt Ines Wißotzki, aber eine Ausfallquote von 20 Prozent gebe es auch bei inländischen Arbeitnehmer:innen. Bei der Geno sind von 65 Angeworbenen 55 geblieben.

Wie viele ausländische Fachkräfte insgesamt in Bremen in Heimen und Kliniken arbeiten, wird nicht erhoben. Im Jahr 2023 wurden nach Angaben der Gesundheitsbehörde 263 Anträge auf Anerkennung gestellt, also nach Absolvierung entweder der Kenntnisprüfung oder des Anpassungslehrgangs, in dem auch Lehrinhalte geprüft werden. In drei Fällen sei der Antrag auf Anerkennung zurückgezogen worden, da kein passender Ausbildungsberuf vorlag. In einem Fall wurde die Anerkennung abgelehnt. Die meisten Anträge seien von Staatsangehörigen aus Tunesien und Indien gestellt worden, gefolgt vom Libanon, den Philippinen und Vietnam.

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4 Kommentare

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  • Es geht nicht nur um Pflege:



    Uns hat ein syrischer Schreiner eine Reparatur vorgenommen, an denen drei deutsche Schreiner, auf die wir jeweils noch mehrere Monate warten mussten, gescheitert sind. Er hat nicht gemurkst oder improvisiert, sondern äußerst professionell gearbeitet.



    Er arbeitet seit acht Jahren in einer hiesigen Firma, hat alle Deutschtests bestanden und soll nun abgeschoben werden. Der Grund, warum er herkam, ist der, weil er einberufen worden wäre und nicht gegen Familienmitglieder kämpfen wollte.

    Wenn man solche Menschen in der Realität trifft, kann man sich nur noch fremdschämen.

  • Gerade zeigt sich ja eine Alternative ab.



    Nachdem die CDU/CSU für die Abschaffung der Wehrpflicht verantwortlich war, rudert sie nun zurück.



    Mit dem Verteidigungsminister hat sie einen Vordenker in diesem Bereich.



    "Ohne Zivis ist Deutschland am Ende" lautete unser damaliger Slogan, der (leider) Realität geworden ist.



    Ein moderner Wehrdienst geht natürlich nur mit einem modernen Zivil- und Klimadienst, ohne irgendwelche Gewissensprüfungen, einher.



    Wer von "Zwangsdienst" schwafelt, hat leider kein Verständnis von den Aufgaben einer Gesellschaft.



    In einer Gesellschaft, in der Respekt gegenüber Mitmenschen abnimmt, muss dieser wohl wieder erlernt werden.



    Verbale und auch körperliche Übergriffe gegenüber Rettungssanitätern, Feuerwehrmännern und PolizistInnen nehmen seit Jahren zu.



    Aktuell sind die Übergriffe auf PolitikerInnen in den Fokus geraten.



    Wehr- und Ersatzdienst sind neben der Veränderung der Rahmenbedingungen durch eine äußere Bedrohungslage, die Möglichkeit einer Qualifizierungsmaßnahme .



    Das Zusammenkommen mit der Gesamtgesellschaft fördert (möglicherweise mit Anleitung) gegenseitiges Verständnis und Respekt und kann auch Vorbereitung auf den ersten Arbeitsmarkt sein.



    Letzteres ist nämlich nicht selbstverständlich, wie Gespräche mit AusbilderInnen von Pflegebereich bis Bau zeigen.



    Die CDU/CSU hat hier einen historischen Fehler begangen, es wird Zeit, das wieder auszubügeln.

  • Wenn ich etwas brutal bin, dann würde ich dies als modernen Kolonialismus beschreiben. Die Fachkräfte aus dem Ausland wurden im Ausland ausgebildet und fehlen dort im Gesundheitssystem. Es ist immer das gleiche, damit es uns besser geht, müssen die Armen leiden.

    • @Frank Burghart:

      Das ist ein schiefes Bild.



      Zum Einen ist "Arbeitsmigration" so alt wie die Menschheitsgeschichte.



      Viele Gesellschaften andernorts sind sehr jung, bieten aber zu wenig Arbeitsplätze, auch für Qualifizierte.



      Somit bietet sich Diesen im Ausland eine berufliche Zukunft.



      Das machen übrigens auch Deutsche.



      Handelt die USA und Australien dann auch kolonial Deutschland gegenüber?



      Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz bietet sich eben auch legale, nicht lebensbedrohliche Zuwanderung für Geringqualifizierte.



      Auch den Klimabereich können wir nur mit Hilfe umbauen.



      Hier fehlen über 700.000 ArbeiterInnen.



      Klimaschutz in Deutschland nützt auch dem Klima weltweit.



      ArbeiterInnen im Ausland können, durch Rücküberweisungen, ein nicht unerheblichen Faktor zum Volkseinkommen im Ursprungsland, darstellen.



      Die Kooperation mit Ländern in diesem Bereich, die bereits geschlossen wurden, sind zukunftsweisend.



      Ich kann nicht erkennen, was daran schlecht sein soll, wenn Menschen eine Zukunftsperspektive geboten wird.