Betrugsprozess der „Gorch Fock“-Werft: Geld in Sicht

Die Elsflether Werft hat jahrelang bei Sanierungsaufträgen für Marineschiffe Geld abgezweigt. Auch die „Gorch Fock“ wurde dort instand gesetzt.

Die Gorch Fock fährt an einem Leuchtturm vorbei.

Die Gorch Fock wurde auch in der Elsflether Werft saniert, hier bei der Einfahrt nach Warnemünde Foto: Frank Hormann/nordlicht/imago

OLDENBURG taz | Armer Staatsanwalt. „188,27 Euro von der Firma K.“ trägt er vor, „2.417,88 Euro von der Firma D.; 321 Euro und fünf Cent von der Firma N.“ Rund vier Stunden lang, Pausen schon abgerechnet, liest der Mann dem Oldenburger Landgericht in der Weser-Ems-Halle Summen vor aus langen Tabellen, eine nach der nächsten, noch eine, noch eine. Noch eine.

Es sind die Ermittlungsergebnisse aus 1.450 durchgeackerten Aktenordnern, aus 14 Terabyte Dokumenten, die im Dezember bei der Elsflether Werft AG und bei privaten Hausdurchsuchungen beschlagnahmt wurden. Jede Zahl soll belegen, um wie viel Geld das Unternehmen das Verteidigungsministerium betrogen hat, systematisch und über Jahre. Immer mal wieder stehen Summen von mehreren 10.000 Euro im Raum, oft aber handelt es sich um Kleckerbeträge. Sie alle läppern sich laut Staatsanwaltschaft zusammen auf 7.204.502,27 Euro.

Interesse ruft der Prozess nicht nur durch die Höhe des Betrugs hervor, sondern vor allem durch einen Namen: „Gorch Fock“. Das Segelschulschiff der Marine ist eins von elf Projekten, das die Werft für das Marinearsenal der Bundeswehr sanieren sollte, und es wurde zu einem Fiasko für das Verteidigungsministerium.

Folgt man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, so hatte die Elsflether Werft AG den Betrug am Staat zum Geschäftsmodell gemacht: Das Unternehmen bewarb sich immer wieder auf öffentliche Ausschreibungen des Marinearsenals der Bundeswehr – und bekam dabei seit 2014 den Zuschlag für elf größere Schiffssanierungsprojekte.

Richtig gute Erfahrungen machte die Marine eigentlich nicht mit dem Auftragnehmer: Alle elf Projekte aus dem Zeitraum uferten aus, bei allen wurden über den ursprünglichen Auftrag hinaus Arbeiten erforderlich, trägt die Staatsanwaltschaft vor. Für die neuen Aufgaben gab es keine neuen Vergabeverfahren, sie wurden einfach als Folgeaufträge ebenfalls an die Elsflether Werft vergeben.

Subunternehmen zahlen Prozente

Der Betrug, den die Staatsanwaltschaft anklagt, lag aber in einem anderen Punkt: Die Werft durfte einzelne Aufgaben bei der Instandsetzung als Unterauftrag weitervergeben – und tat das im großen Stil. Im Fall der „Gorch Fock“ etwa wurde ein Großteil der Arbeiten von Subunternehmen übernommen. Sobald eine Firma den Zuschlag bekommen hatte, forderte die Elsflether Werft eine „Gutschrift“ von ihr ein: normalerweise 15 Prozent der Rechnungssumme. Vom Bund ließ sich die Firma trotzdem die volle Auftragssumme gegenfinanzieren.

Und die Firmen, sie ließen sich darauf ein. Nur so konnten sie sicherstellen, Folgeaufträge zu bekommen. Die Zahlungen der Subunternehmen wurden daher auch als Bestechung in zahlreichen Verfahren gesondert verfolgt. Offenbar waren die Aufträge des Bundesverteidigungsministeriums auch mit 15 Prozent Abzug noch lukrativ genug. Teilweise preisten Subunternehmen die 15 Prozent auch einfach schon bei der Angebotskalkulation ein – man kannte ja die Praxis der Werft.

Wenn man der Staatsanwaltschaft folgt, wussten die Firmen wohl, was sie taten – sie wurden von der Elsflether Werft AG darauf hingewiesen, dass sie die Gutschrift weder im Kostenvoranschlag noch in der Endrechnung angeben und auch sonst gegenüber dem Marinearsenal der Bundeswehr Stillschweigen bewahren sollten.

Bis zu zehn Jahre Haft

Auffällig ist, mit welcher bürokratischen Selbstverständlichkeit der Betrug über die Jahre vonstatten ging. 816,49 Euro“, trägt der Staatsanwalt vor, „1.411 Euro. 85,04 Euro.“ Selbst für kleine Beträge wurden die 15 Prozent bis auf den Cent genau eingefordert. Es gab damit zahlreiche Mitwisser aus verschiedenen Firmen.

Zum Teil soll der Vorstand und Geschäftsführer Klaus Wiechmann die Gutschrift persönlich mit den Subunternehmen verhandelt haben; in anderen Fällen soll er die Projektleiter seines Vertrauens dazu instruiert haben. Bei Wiechmann jedenfalls lief laut Staatsanwaltschaft alles zusammen, er persönlich stellte sicher, dass die Rechnungen der Subunternehmen erst beglichen wurden, nachdem diese ihre „Gutschrift“ überwiesen hatten. Bis zu zehn Jahre Haft könnten dem Drahtzieher drohen.

Neben Wiechmann ist auch sein damaliger Vorstandskollege Marcus Reinberg angeklagt. Laut Anklageschrift, die im Prozess verlesen wird, wusste er mindestens seit Januar 2018 von dem 15-Prozent-Prozedere, ohne einzuschreiten. Im Gegenteil: In einem E-Mail-Verkehr hatten Wiechmann und Reinberg gemeinsam überlegt, wie man die 15 Prozent in Zukunft etwas unauffälliger abrechnen könne.

Stellungnahmen gegen Geldwäschegesetz

Beide Angeklagten mussten Anfang 2019 den Vorstand der Elsflether Werft AG verlassen. Trotz der lukrativen Nebengeschäfte ging das Unternehmen damals in Insolvenz: Zu viel Geld hatten die Vorstände für Nebengeschäfte von Tochterfirmen abgezweigt.

Der Jurist Reinberg arbeitet seitdem als Rechtsanwalt. Er hat sich zu Anti-Geldwäsche- und Compliance-Themen fortgebildet und verfasst nun mit ordentlich Chuzpe Stellungnahmen gegen das Geldwäschegesetz.

Angeklagt ist in dem gewaltigen Prozess, für den 39 Verhandlungstage bis Ende Dezember angesetzt sind, auch noch eine der Subfirmen, die Aufträge angenommen hatte. Und angeklagt ist auch der Mann, durch den die ganze Sache ans Licht gekommen ist: der Rechnungsprüfer des Marinearsenals, Peter G.

Kredit für den Rechnungsprüfer der Marine

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Statt einfach weiter Rechnungsprüfer zu sein, wollte der eine Seniorenresidenz bauen und brauchte einen großen Kredit. Als er den auf normalem Wege nicht bekam, fragte er 2016 und 2017 bei der Elsflether Werft AG nach, deren Rechnungen vom „Gorch Fock“-Projekt er gerade für das Marinearsenal prüfen sollte. 800.000 Euro bekam er als Darlehen von einer Tochterfirma, ohne weitere Sicherheiten. Beide Seiten wussten, so glaubt die Staatsanwaltschaft: Das Geld sollte sein Wohlwollen bei der Rechnungsprüfung kaufen.

Die Sanierung der „Gorch Fock“ allerdings lief derweil aus anderen Gründen komplett aus dem Ruder, und spätestens 2018 fiel das auf. Die Sanierungskosten, ursprünglich auf 10 Millio­nen Euro veranschlagt, wurden nun auf 135 Millionen Euro geschätzt. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Projekt wuchs – und der Rechnungsprüfer G. stellte Selbstanzeige beim Ansprechpartner für Korruptionsprävention des Marinearsenals.

Tatsächlich, zeigen spätere Ermittlungen, war das „Gorch Fock“-Debakel am Ende nur zu kleinen Teilen auf den Betrug der Elsflether Werft AG zurückzuführen – „nur“ gut 247.000 Euro sind dort durch falsche Abrechnungen versunken. „Ein Zusammenhang zwischen der Annahme der Darlehen und der Kostenexplosion bei der Instandsetzung der ‚Gorch Fock‘ konnte nicht hergestellt werden“, schreibt die Staatsanwaltschaft Osnabrück. Schuld war wohl in erster Linie, dass das Schiff von Anfang an eher ein Fall für einen Neubau gewesen wäre.

Dennoch: G.s Selbstanzeige war in der Welt und gab mit durchschlagender Wirkung den Anlass für alle späteren Untersuchungen und den jetzigen Prozess.

Wie lange die Elsflether Werft AG ihre Auftraggeber betrogen hat? Verhandelt werden in Oldenburg nur Fälle seit 2014, alles davor ist verjährt. Jedenfalls aber habe Klaus Wiechmann, so der Staatsanwalt, die Praxis grundsätzlich von seinem Vater Kurt Wiechmann übernommen. Der war 53 Jahre im Unternehmen, davon die letzten 15 Jahre bis 2011 als Vorstand.

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