piwik no script img

Volle Dröhnung Hochkultur

ANSPRUCH Der Urheberrechtsschutz auf die Werke von James Joyce endete 2011. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verausgabt sich mit einer Komplettlesung sowie einer Hörspieladaption von 1.000 Seiten „Ulysses“

Joyce, täglich

■ Ab Montag sendet RBB-Kulturradio immer werktags um 14.30 Uhr eine halbstündige Episode aus „Ulysses“. Jeweils am Wochenende kann alles auch per Onlinestream auf der Website des Senders nachgehört werden. SWR2 sendet seine Hörspieladaption vom Joyce-Klassiker am 16. Juni ab 8 Uhr, 22 Stunden am Stück.

VON JAN SCHEPER

Ich hab ihm zuerst die Arme um den Hals gelegt und ihn zu mir niedergezogen daß er meine Brüste fühlen konnte wie sie dufteten ja und das Herz ging ihm wie verrückt und ich hab ja gesagt ja ich will Ja“, denkt sich Molly und schläft wieder ein. Neben ihr ist gerade Ehemann Leopold Bloom nach einer abenteuerlich-irrwitzigen Tagesreise durch das frühsommerliche Dublin erschöpft in sein Bett gefallen. „Ulysses“ hat in den ersten Morgenstunden des 17. Juni 1904 schließlich doch den Weg nach Hause gefunden.

Mit Molly Blooms halbwachen Gedanken endet ein Roman, der heute als das ästhetische Aushängeschild der literarischen Moderne schlechthin gilt. Geschrieben hat ihn der irische Schriftsteller James Joyce zwischen 1914 und 1921.

Literaturwissenschaft und Kritik feiern die annähernd tausend Seiten starke Erzählung als stilprägendes Meisterwerk, doch das sprachlich ebenso komplex wie experimentell angelegte Epos gilt auch als schwer zugänglich: „Ulysses“ wird ob seiner kanonischen Qualität gern gekauft und angelesen, wandert dann allerdings schnell wieder zurück ins Bücherregal.

Halbstündige Hörhappen

Das wollen zwei öffentlich-rechtliche Radiogroßproduktionen nun ändern. Ab dem kommenden Montag regiert Joyce das Nachmittagsprogramm beim RBB-Kulturradio. Es ist die erste Lesung des Romans als ungekürzte deutsche Hörfassung, serviert wird sie dem Hörer in jweils halbstündigen akustischen Happen. Die Komplettlesung erstreckt sich über sagenhafte 2.400 Minuten, aufgeteilt in zwei Blöcke. Zwischen Juli und September wird eine Joyce-Pause eingelegt.

Alle Stationen des Romans, der auf der narrativen Folie von Homers Odyssee basiert und hier in der brillanten deutschen Übersetzung von Hans Wollschläger vertont wird, werden minutiös abgearbeitet. Im Dublin des beginnenden 20. Jahrhunderts führt die urbane Irrfahrt des Leopold Bloom den Hörer von einem öffentlichen Bad auf eine Beerdigung eines Freundes, in die Nationalbibliothek, ein Bordell und schließlich nach Hause ins Ehebett.

Ein herausragendes Beispiel für die sprachlich-ästhetischen Finessen des „Ulysses“ ist die 14. von insgesamt 18 Episoden. In einem Frauenspital lässt Joyce seinen Protagonisten nicht nur eine Geburt miterleben, sondern bastelt aus der Empfängnis prompt eine metaphorische Genese der englischen Sprache – vom tiefsten Mittelalter bis hin zum zeitgemäßen Dubliner Slang. Die Handlung schließt mit dem gerühmt gewordenen, nur in Molly Blooms verschlafenem Kopf spielenden Bewusstseinsstrom – konsequent ohne Punkt und Komma gehalten.

Weit über 40 unterschiedliche SprecherInnen braucht die Inszenierung des RBB, um die vielstimmigen Figurenpanoramen von Joyce einzufangen. Allein im 15. Kapitel, das dem lauschenden Ohr eine rauschhafte Traumsequenz aus Bella Cohens Bordell offeriert, übernahm das Ensemble 251 verschiedene Rollen. Die dementsprechend umfangreiche Namensliste versammelt dann auch große Teile der deutschen Schauspielelite.

Für das Mammutprojekt beorderte der im Umgang mit Klassikern erfahrene Hausregisseur Ralph Schäfer (Prousts „Auf der Suche nach der verloren Zeit“, Tolstois „Krieg und Frieden“) zum Beispiel Sophie Rois, Anna Thalbach, Axel Milberg, Burghart Klaußner und Ulrich Matthes ins RBB-Studio an der Masurenallee.

Für den RBB sei die Ulysses-Adaption, die „absolut teuerste Produktion in dieser Form“ mit reinen Aufnahmekosten von 35.000 Euro, sagt RBB-Literaturredakteur Claus-Ulrich Bielefeld. Seit Mitte der 80er Jahre hatte Bielefeld die Pläne im Schreibtisch liegen. Letztes Jahr lief dann – 70 Jahre nach dem Tod von James Joyce – der Urheberrechtsschutz des Werks ab, und der Redakteur konnte dem eigenen Anspruch und der Senderdirektive, „die Hauptwerke der Weltliteratur zu vertonen“, ein weiteres Radiokapitel hinzufügen.

Für Bielefeld ist „Ulysses“ der „ultimative abendländische Roman“, der wie schon beim literarischen Vorbild der Odyssee „das Drama des modernen Menschen erzählt“.

Die nun entspannte Rechtslage kam auch Klaus Buhlert ganz gelegen. Der renommierte Regisseur (Melvilles „Moby Dick“, Musils „Mann ohne Eigenschaften“) ist ebenso wie sein Kollege Schäfer ein Experte für die großen Schinken in der gut sortierten heimischen Privatbibliothek. Buhlert hat im Auftrag des SWR und des Deutschlandfunks den „Ulysses“ als Hörspiel aufbereitet. Sendetermin ist der 16. Juni – Bloomsday. So nennen Joyce-Fans den sich alljährlich wiederholenden Jubiläumstag des Romans. SWR2 schickt das mehr als 20-stündige Hörspiel en bloc über den Äther.

Ort der Handlung ist diesmal das ehemalige DDR-Funkhaus in Oberschöneweide an der Nalepastraße. Der baufällig anmutende, mächtige Rotklinkerklotz beherbergt einen fast vergessenen akustischen Schatz des einstigen Arbeiter-und-Bauern-Staats: das 1956 in Betrieb genommene Hörspielstudio 2.

„Das ist einer der besten Aufnahmeorte in Deutschland wegen der perfekten bauakustischen Ausrichtung. Sechs Meter hohe Wände, so was könnte heute keiner mehr bezahlen“, erklärt Klaus Buhlert. Seit 1997 betreibt er die Studios privat in Eigenregie mit seinem Partner Peter Kainz. Die beiden Toningenieure haben das Studio nicht verändert. Vorhänge, Stühle, Tische, Tapeten – alles steckt noch in den 50ern. Nur die Technik ist auf dem neuesten Stand.

„Mehr Zottigkeit!“

„Ja“ zu diesem erschöpften, modernen Helden der Weltliteratur

Dann muss der Toningenieur in den „Schalltoten“, um das Mikrofon für Schauspieler Peter Kurth, der sonst auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters steht, auszurichten. Kurth steht im schalltoten Aufnahmeraum, der sich ob seiner akustischen Beschaffenheit ideal für simulierte Außenaufnahmen eignet, und widmet sich mit Regisseur Buhlert der Textarbeit. Wenig später beginnt die Aufnahme, mit Schauspieler Peter Kurth am Mikrofon.

Der Schauspieler macht seinen Job gut, Buhlert hat nur kleine Anmerkungen („Bring mal mehr Zottigkeit rein!“). Er sitzt über seinem mit Textmarkerspuren übersäten Skript, auf einem überhöhten Pult und wippt bei jeder Silbe mit. Wie ein Komponist bewegt er beim Zuhören die Hände, die rote Lesebrille rutscht ihm auf die Nasenspitze.

Buhlert lebt für dieses Projekt, er hat sich in den letzten zwei Jahren mit Ausnahme einer Kleist-Bearbeitung um nichts anderes gekümmert –15 Stunden Arbeit jeden Tag. Die Kosten für das in 270 Studiotagen angefertigte „Ulysses“-Hörspiel gehen in die Hunderttausende. Es ist eine der teuersten Hörspielproduktionen, die die ARD je auf den Weg gebracht hat.

Auch hier ist das Ensemble bis in die letzten Winkel hochkarätig besetzt: Dietmar Bär überzeugt als Leopold Bloom, Birgit Minichmayr intoniert die intimen Gedankenspiele von dessen Frau Molly. Granden wie Manfred Zapatka, Corinna Harfouch und Rufus Beck tun das Übrige, die sprachliche Dichte und die ungeheure Dynamik der Vorlage spielerisch leicht aufzufangen.

Gemessen an den unterschiedlichen Ansätzen legen der RBB und der SWR/DLF zwei außergewöhnliche akustische Angebote vor, sich Joyce’ „Ulysses“ zu nähern. Wobei es die deutlich freiere Hörspielfassung von Buhlert dem Einsteiger leichter macht, sich dem inhaltlich wie sprachlich detailverliebten, vom Autor haarklein manierierten literarischen Irrgarten des 16. Juni 1904 zu nähern.

Die Komplettlesung von Schäfer ist dagegen wohl zu einer Reminiszenz an den Kenner geraten. Sicher dürfte indes sein, dass der ein oder andere das verstaubte Buch wieder aus dem Schrank holt und damit – wie Molly Bloom – Ja sagt zu einem erschöpften, modernen Helden der Weltliteratur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen