Regisseurin über russischen Autor Charms: „Wie Nawalny, nur 100 Jahre früher“

Daniil Charms konnte komisch schreiben und wurde im Stalinismus wiederholt inhaftiert. Erla Prollius hat aus seinem Leben ein Theaterstück gemacht.

Daniil Charms fotografiert einmal im Profil und einmal von vorne

Eher kein verlässlicher Genosse: Daniil Charms 1931, vermutlich auf einem Arrestfoto der frühen sowjetischen Geheimpolizei OGPU Foto: ОГПУ при СНК СССР/Wikimedia Commons (gemeinfrei)

taz: Erla Prollius, nehmen wir an, jemand hat noch nie von ihm gehört: Warum Daniil Charms? Und warum gerade jetzt?

Erla Prollius: Ja, ich hatte von ihm vorher auch gar nichts gehört, als ein Freund von mir, der Slawist ist, mich auf Charms aufmerksam gemacht hat: Ob mir nicht aufgefallen sei, jetzt gerade die Nawalny-Geschichte, und genau das sei Charms doch auch widerfahren, 100 Jahre früher …

Charms, geboren 1905, war im Stalinismus wiederholt inhaftiert und starb Anfang 1942, während der Blockade Leningrads durch die Deutschen, in der psychiatrischen Abteilung eines Gefängnisses. Der russische Regimekritiker Alexei Nawalny wiederum starb jüngst, im Februar, auch in Haft und unter dubiosen Umständen.

Diese Parallele hat mich wachgerüttelt, ich habe mir dann Material zu Charms kommen lassen, seine Werke erworben und mit einer guten Bekannten, Saskia Junggeburth, eine Dramaturgin gefunden, mit der ich auch schon oft zusammen gearbeitet habe. Charms hat enorm viel geschrieben, unter anderem zauberhafte Kindergeschichten. Theaterstücke. Hinreißend gezeichnet hat er auch, hatte dabei etwas fast Kindliches, was ja eine große Qualität haben kann bei einem intelligenten Mann. Oh, einen enormen Verschleiß an Frauen hatte er wohl auch.

Wir hauen die Natur entzwei – ein Daniil-Charms-Abend:

Fr., 3. 5., 20 Uhr, Hamburg, Goldbekhaus, Moorfuhrtweg 9

Sa, 29. 6., 20 Uhr, MUT! Theater, Amandastraße 58

Wie kam nun der Abend zustande?

Mit der Dramaturgin zusammen haben wir die ganzen Materialien zu einem Stück zusammengebaut, die Hauptarbeit hat sie gehabt. Es war eine richtige Fleißarbeit, aber so wurde Charms jeden Tag ein wenig lebendiger für uns. Es gibt ja ein Tagebuch, auch sein Ende ist darin geschildert, nicht von ihm selbst, sondern von seiner Frau: Die schildert seine letzten Stunden. Mit meinen vier Schauspielern haben wir an den Texten entlang gearbeitet, auch improvisiert. Aus dieser einen Berichterstatterin habe ich dann eine Frau gemacht: Das war die, die Charms ständig verhaften ließ und auch untersuchen durch Mediziner. Übelste Machenschaften also, aber heute eben wieder schrecklich vertraut.

Wie ist das Ganze strukturiert?

Wir haben eine Erzählerin, im Grunde die Ehefrau, die auch seine Untreue ertragen musste und damit sehr tolerant umgegangen ist. Charms lasse ich von zwei männlichen Schauspielern spielen: Das ist einmal der introvertierte Charms und einmal der extrovertierte. Den einen, der stolz auf seine Ehe ist, auf seine Vielweiberei aber auch; der andere ist ein ganz Stiller, der auch mal im Schrank spielt: Wenn er schreibt, sitzt er da sehr beengt und tippt seine Texte in die Maschine. Überhaupt: In dem Schrank spielen die Hauptszenen, das drängt sich bei Charms geradezu auf. Der Bühnenbildner musste gar nicht lange nachdenken, den Hinweis hat der Autor selbst gegeben. Das hat natürlich einen eigenen Zauber: Es gibt einen Text über die Moskauer Straßenbahn, ein irrsinnig schöner Text, da drängen sich nun alle Schauspieler in den Schrank und spielen Straßenbahnfahrt mit Hindernissen. Das ist sehr publikumswirksam, aber es war echte Feinstarbeit, bis wir das hatten. Komik funktioniert ja nur über Präzision. Es hat Riesenfreude gemacht, das zusammenzubauen und das zum Leben zu erwecken.

Haben sie einen Lieblingstext von Charms? Und ist der auch untergekommen in dem Stück?

geboren 1940 in Bayreuth, ist Schauspielerin, Sprecherin, Schauspiellehrerin und Regisseurin.

Ach, ich habe so viele … die erwähnte Straßenbahnszene. Oder „Die vierbeinige Krähe“: „Es war einmal eine Krähe, die hatte vier Beine. Sie hatte eigentlich sogar fünf Beine, aber darüber lohnt nicht zu reden (…)“

Ich sprach mal mit Alexander Nitzberg, der als Übersetzer viel getan hat für Charms’ Bekanntheit in Deutschland. Der erzählte, es gebe im Russischen richtiggehend ein geflügeltes Wort, also, wenn einem etwas Absurdes widerfährt, auch wenn Dinge nebeneinander stehen, vollkommen unkoordiniert, sagt man offenbar so etwas wie: „Das ist ja der reine Charms“, ein wenig wie es auch Kafka geschafft hat …

Also, wir haben zu ihm auf jeden Fall einen sehr schönen, lustigen Abend hinbekommen, der aber auch zum Nachdenken ist. Bei Charms ist es nie ein weiter Weg von ausgesprochen Komischem zu etwas ganz anderem, sehr Ernsten, Abgründigen.

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