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Vogelbeobachter über Beziehungsmodelle„Viele Vögel lieben die Saisonehe“

In der Regel entscheidet bei den Vögeln das Weibchen, ob es zum Sex kommt oder nicht, sagt Ernst Paul Dörfler. Nur Enten sind die krasse Ausnahme.

Einvernehmlicher Sex: zwei Haussperlinge, auch Spatzen genannt, paaren sich Foto: dpa | Felix Kästle
Alina Götz
Interview von Alina Götz

taz: Herr Dörfler, woher wissen Sie so viel über das Liebesleben der Vögel?

Ernst Paul Dörfler: Das ist lebenslang gesammeltes Wissen. Ich bin in der Natur aufgewachsen und nach einem Ausflug über eineinhalb Jahrzehnte in die Hauptstadt wieder aufs Land zurückgekehrt. Ich lebe im ältesten Biosphärenreservat Deutschlands, der Mittelelbe. Insgesamt 310 Vogelarten wurden hier registriert.

Welche Beziehungsmodelle leben Vögel?

Fast unendlich viele Varianten. Sie unterscheiden sich in Dauer der Beziehung und in der Anzahl der Partner. Die meisten Vögel lieben die Monogamie. Aber einige leben auch die Polygamie, also eine Beziehung mit zwei oder noch mehr Partnern, entweder gleichzeitig oder kurz hintereinander. Viele stellen sich vielleicht ein Männchen mit vielen Weibchen vor. Das gibt es zwar, nennt sich Vielweiberei – tut mir leid, das heißt wirklich so. Das gibt es aber auch andersherum: die Vielmännerei.

Sind die monogamen Vögel wirklich treu?

Katja Zumpe
Im Interview: Ernst Paul Dörfler

73, ist Öko­chemiker und Autor. Er wohnt in einem Dorf zwischen Magdeburg und Wittenberg und ist Grünen-Kandidat für die anstehende Kommunalwahl.

Lange Zeit glaube man fest daran. Nach Vaterschaftsanalysen von Nestern von über 100 Singvögeln musste man aber feststellen: Nur selten sind darin Eier von nur einem Männchen. Das erforderte eine neue Definition von Monogamie hin zu einer sozialen Monogamie.

Warum?

Weil die Weibchen das so wollen. Sie allein haben das Wahlrecht. Sie müssen auch Ja sagen, es ist immer einvernehmlicher Sex. Das Männchen ist völlig machtlos. So friedlich ist das bei Enten aber nicht, hier kommt es zu Vergewaltigungen durch Erpel. Immer wird über die Enten berichtet, das nervt mich. Denn die Menschen merken sich das. Enten sind die krasse Ausnahme. Die Regel ist eine andere. Vögel leben familiäre Partnerschaften viel mehr als die meisten Säugetiere.

Welche Varianten gibt es bei der Dauer von Beziehungen?

Wir unterscheiden Saison- und Dauerehen. Die meisten lieben die Saisonehe: Nach der Saison erfolgt die Trennung, im nächsten Jahr wird neu gewählt. Bei Dauerehen braucht die Entscheidung für einen Partner auch etwas länger.

Wie bei Pinguinen!

Ja, aber bleiben wir mal in der Nähe: Auch Schwäne, Gänse und Kraniche halten am Partner fest, wenn die Beziehung von Erfolg gekrönt ist. Erfolg heißt hier, wenn Nachwuchs rauskommt, der fit ist.

Wenn Sie ein paar Eigenschaften von Vögeln an uns Menschen weitergeben könnten, welche wären das?

Friedfertigkeit, aber auch das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter, das sogar Mindeststandard ist. Singvögel-Weibchen wählen nicht nur den Partner, sondern auch den Nistplatz. Und sie legen den musikalischen und modischen Trend fest: Dass wir so viele bunte Vögel haben, die so schön singen, verdanken wir nur ihrer kritischen Auswahl. Das alles ist fair, wenn man bedenkt, dass sie viel mehr Arbeit leisten und das höhere Risiko haben, im Nest gefressen zu werden.

Die Lesung

„Das Liebes­leben der Vögel“: Fr, 19. 4., 19.30 Uhr, Haus der Natur, Bornkampsweg 35, Ahrensburg, Eintritt 12 Euro

Sie schreiben, der Klimawandel verstärke Polygamie unter Vögeln. Warum ist das so?

Bei Experimenten wurden Meisen durch starke Temperaturschwankungen Wetterextreme vorgetäuscht. Wieder in die Freiheit entlassen, hat man bei ihnen mehr Eier von fremden Vätern im Nest gefunden als bei anderen Meisen. Die Hypothese ist, dass die Weibchen durch den vermehrten Partnerwechsel Nachwuchs mit mehr genetischer Vielfalt hervorbringen, denn Vielfalt ist immer gut zum Überleben.

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