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Internationales Frauen Film FestZurück zu den Gefühlen

Das Internationale Frauen Film Fest zeigte in Köln „Rage & Horror“. Sein Programm bewegte sich zwischen weiblicher Transgression und historischer Wut.

Szene aus dem Film „Ellbogen“, der den Preis für die beste Regie eines Debüt-Spielfilms erhielt Foto: Massimo Di Nonno

Letztes Jahr in Dortmund ging es im sogenannten Fokus des Internationalen Frauen Film Fest Dortmund + Köln um „Komplizinnen“. In Köln nun waren es unter dem Titel „Rage & Horror“ individuelle und kollektive Gefühle von Wut und Zorn und ihre Konsequenzen, die in dieser Sektion in unterschiedlichsten Genres durchgespielt wurden.

Die Re-Aktivierung der dem Weiblichen entweder per Natur abgesprochenen, sozial abtrainierten oder als unangemessen sanktionierten und pathologisierten negativ aufbrausenden Gefühle ist unter FrauenrechtlerInnen schon seit dem 17. Jahrhundert ein Topos. Im Kino wurde es besonders lustvoll und unverblümt im frühen von Konventionen noch ungeschliffenen Stummfilm der Vorkriegszeit ausagiert und mit der neu entdeckten und ausgiebig angewandten Filmtechnik der Montage vorgeführt.

So setzt sich in „The Dairymaid’s Revenge“ von 1899 (Regie: Frank S. Armitage) eine junge Milchmagd gegen die Belästigung durch einen Kollegen oder Chef mit einer erst durch das Ende des Films gestoppten Serie kübelweise über seinen Kopf gekippter und zu einem See wachsender Milch zur Wehr: Vermutlich die filmische Weltpremiere in Sachen weiblicher Me-Too-Gegenwehr. Da der Film insgesamt nur eine Minute kurz ist, wurde er zum längeren Genuss des Publikums bei IFFF in Zeitlupe gezeigt.

In „La paresse de Polycarpe“ (Regie: Ernest Servaès, 1914) knockt eine stattliche Matrone immer wieder ihren untätigen Ehemann aus, der bei jeder der ihm aufgetragenen kleinen Verrichtungen im Haushalt stante pede einschläft. Weibliche Durchsetzungsfähigkeit oder eine invertierte Version häuslicher Gewalt?

Übersinnliche Kräfte und weibliche Natursäfte

Im aktuelleren Filmschaffen hat Sektions-Kuratorin Betty Schiel sich vor allem (aber keineswegs nur) feministisch gewendetem Horror zugewandt, der auch jenseits von Cannes-Gewinner „Titane“ kraftvolle Ausformungen findet. So macht die malaysische Regisseurin Amanda Nell Eu in „Tiger Stripes“ (2023) die Menarche eines rebellischen Mädchens zum Initiationspunkt für eine (auch bild)mächtige metamorphotische Selbstermächtigung mit dämonischem Hintergrund.

Übersinnliche Kräfte und weibliche Natursäfte wirken auch in dem als klein-familiä­res No-Budget-Kollektiv-Projekt realisierten „Hellbender“ (Regie: Toby Poser), der dramatische Umbrüche einer matrilinearen Hexendynastie in der überschwänglichen Natur der US-Ostküste mit Rockmusik, Mutter-Tochter-Clinch, veganen Essstörungen und einem Touch Münchhausen-Syndrom durchexerziert.

Doch es ging auch um konkrete historische Wut wie etwa die der AfroamerikanerInnen in den USA, die in zwei Dokumentarfilmen der Sektion („Black Panthers“ von Agnès Varda, 1968, und „A Place of Rage“, Pratibha Parmar, 1991) Thema waren. Und unter dem Titel „Pretty Deadly Self Defense“ wurde sogar ein Kurzkurs zur Selbstverteidigung gegen Filmzombies und Slasher angeboten.

Wut und Frustration

Auch in anderen Sektionen des Festivals waren der Zorn als Thema präsent. Ganz deutlich etwa in Aslı Özarslans vom Publikum gefeierten (wegen der großen Nachfrage wurde er mehrfach nachprogrammiert) und dann auch mit dem Debüt-Preis des IFFF ausgezeichneten Wettbewerbs-Spielfilm „Ellbogen“ (Filmstart 3. Oktober), wo Wut und Frustration der jungen Berlinerin Hazal über ihre eigene Situation und die gesellschaftlichen und familiären Verhältnisse erst in einer Gewalttat und dann leider nicht in kluger weiblicher Selbstermächtigung münden.

Formen weiblicher Transgression betrieb beispielhaft auch die im Februar 2023 in Berlin verstorbene außerordentliche Filmemacherin Birgit Hein, die von Festivalleiterin Maxa Zoller mit einem Filmporträt (R: Karin Jurschick, 2001), zwei von Heins eigenen Filmen und einer anrührenden verbalen Hommage ihres ehemaligen Studenten, Experimentalfilmers und jetzigen Professors Matthias Müller gewürdigt wurde. Nicht nur mit ihren expliziten „Kali-Filmen“ oder „Die unheimlichen Frauen“ (1991) hat Hein filmische Pionierarbeit für die – auch sexuelle – Unbotmäßigkeit von Frauen geleistet.

Integration der Architektur

Die Kölner Ausgabe des alternierend dort und in Dortmund laufenden Festivals ist traditionell auch den Kamerafrauen gewidmet, die bei Oscars und Lolas immer noch zu spärlich Würdigung erfahren – beim Deutschen Kamerapreis 2023 waren von acht Nominierten immerhin zwei Frauen.

Umso wertvoller der beim IFFF in zwei Sparten vergebene Nationale Preis für die beste Bildgestalter*in, der dieses Jahr für den Spielfilm an Greta Isabella Conte für „Die feige Schönheit“ ging, der unter anderem für den „Mut zu besonderen Kadrierungen“ und die Integration der Architektur gewürdigt wird. Interessanterweise werden von der Jury auch bei Caroline Spreitzenbart für den Collage-Film „Life Is Not a Competition, But I’m Winning“ der Mut zur Kreativität und die Einbindung der Architektur hervorgehoben.

Ein Glanzpunkt des Festivals ist seit 2009 ein vierstündiges Werkstattgespräch der Kamera­frau Sophie Maintigneux (Professorin für Kinematografie für fiktionale Medien und neue mediale Formate an der „Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf“) mit einer anderen Kinematografin anhand ausgewählter Filmszenen. Diesmal war dies die Dokumentaristin Susanne Schüle, die ebenfalls Kamera-Professorin in Babelsberg ist.

Auch wer nicht vom Fach ist, konnte hier aus dem Detail jede Menge darüber lernen, wie eng Planung, exakte Durchführung, Intuition und Erfahrung das künstlerische Ergebnis formen. Das Gespräch wurde – wie auch fast alle anderen Teile des Festivals – vom Publikum begeistert angenommen, soll aber leider im letzten Durchgang gewesen sein.

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