Kein Raum für Wiener Subkultur: Prunkes Wien – bald ohne Punks?

Weil Wien seine Gemeindebauten nie verscherbelt hat, gilt die Stadt als Insel der Seligen. Subkulturelle Orte aber haben keinen Platz.

Hochhäuser und ein Altbaugebäude mit Graffiti

Wer Wohntürme nahe der Arena baut, muss mit Lärm rechnen Foto: Gilbert Novy/picture alliance

WIEN taz | Zwei Mädchen im Prinzessinenkostüm düsen auf Bürostühlen über die Fliesen, ein drahtiger Mann verteilt Thunfischtramezzinis. „So good“, sagt Eva, eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt, und nimmt sich nach. Sie macht Verschnaufpause und beobachtet den Mann mit der zackigen Vorhand, der den Tischtennisschläger zwischen Daumen und Zeigefinger hält. „Wie Stäbchen“, hat er vorhin erklärt.

Jeden Sonntag treffen sie sich mit einer Handvoll anderer Leute, um Tischtennis in dem alten Unigebäude zu spielen, das der Wiener Verein „4lthangrund“ rund 30 Gruppen zur Verfügung stellt. Ende nächsten Jahres ist die Zwischennutzung vorbei, dann soll das Gebäude abgerissen und ein Bildungscampus gebaut werden. Auch das Wiener Punklokal „Venster99“ ist aktuell in seiner Existenz bedroht.

Wieso haben es subkulturelle Orte schwer im sogenannten Roten Wien, von dem man sagt, dass es in Sachen Stadtentwicklung alles richtig gemacht hat?

Wie ein Raumschiff ist jenes Unigebäude in den 80ern auf einer Parkgarage im neunten Wiener Gemeindebezirk gelandet, nahe der Müllverbrennungsanlage Spittelau. Über zehntausende Quadratmeter erstrecken sich die ineinander verschachtelten, kubusförmigen Gebäudeteile.

Kritik ergänzt durch Utopie

Einmal durch die Tür getreten, schwindet die glatte Oberfläche. Überall kleben Sticker. Die Goldfolie, auf der „Luxus für alle“ steht, ist zerknittert. Alte Couches stehen rum. _willi Hejda tritt im Kapuzensweater durch eine Tür und winkt. _willi (verwendet keine Pronomen und setzt deswegen einen Unterstrich vor den Namen) ist Mitglied im „4lthangrund“-Kollektiv und der Terminkalender ist wie immer voll.

Trotzdem ist _willi gelassen, lässt sich in die Sofaecke sinken und fängt an, die Geschichte der Wiener Stadtpolitik im Detail zu rekonstruieren. Neun Jahre war _willi im Vorstand der Interessensvertretung für Kulturvereine, das bringt so ein Wissen mit sich. Jede kritische Diagnose ergänzt _willi aber gleich um eine Utopie.

Der Verein „4lthangrund“ ist eine kleine Utopie auf großem Grund, ganze 1500 Quadratmeter, um genau zu sein. Vor elf Jahren zog die Wirtschaftsuni hier wegen Platzmangel aus, und ein paar Institute der Haupt­uni zogen ein, riesige Flächen stehen seitdem leer.

In der alten Mensa, wo „4lthangrund“ unter anderem untergekommen ist, passieren jetzt aber Dinge. Hier wird eingetopft (Gartentag), zerschnippelt (solidarity kitchen), diskutiert („Festung Europa“) und über die Tischtennisplatte befördert (Ping Pong) – fast jeden Tag gibt es Programm. Menschen kommen zusammen, und da gewöhnt man sich an so einen Ort. Irgendwann hat er kein Ablaufdatum mehr, selbst wenn der Mietvertrag eines hat.

Für jeden Raum kämpfen

Rund tausend Personen sind inzwischen als Mitglieder eingetragen, der Verein möchte auch einen Platz im neuen Bildungscampus haben und fordert ein Kulturzentrum. Keine Lösung zu finden, sei keine Option.

„Es gibt wenige Orte, die Raum bieten für Gegenkulturen und Dinge, die kein Geld bringen“, sagt _willi. „Ich wünsche mir eine Politik, die sich hinstellt und sagt, das ist wichtig, wir kämpfen für jeden Raum“.

Anderswo Flächen zu bekommen, die so viel zu bieten haben, sei wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Im vergleichsweise günstigen Gemeindebau, in dem ein Viertel der Stadt lebt, werden nur Gewerbelokale und Wohnflächen vermietet. Gemeinnützige Vereine müssen sich im Rest der Stadt auf die Suche begeben. Dort steigen die Mieten wegen der Inflation stark, im vorigen Jahr um 8 Prozent.

Illegales Gewerbe?

In den letzten zwei Jahrzehnten haben einige subkulturelle Räume wegen Problemen mit Behörden oder Vermietern schließen müssen: 2007 das linke Alternativlokal „Movimento“, 2014 das Tanzlokal „Aparat“, 2016 der Kulturverein „moë“, in dem Performances, Lesungen und Konzerte stattfanden. Auch dem „Venster99“ könnte das bevorstehen.

Laut den Behörden wegen Lärmbeschwerden wurde das Lokal Anfang Februar kontrolliert und daraufhin geschlossen – ihm wird vorgeworfen, ein „illegales Gewerbe“ zu führen. Eins anzumelden, dem verweigert sich der Verein. 19 Jahre lang waren dort Studis, Punks und andere Leute mit wenig Kohle und großer Vorliebe fürs Pogotanzen Stammgäste. Auch in der internationalen Punkszene hat das Lokal einen Ruf. Bands kamen von überall, um zu spielen, und es gab auch schon mal bis zu 20 Konzerte im Monat.

Wie viele andere alternative Orte hat sich das „Venster99“ bisher in einer Grauzone bewegt. Gemeinnützige Vereine haben Vorteile, brauchen keine Betriebsanlagengenehmigung, die kostspielig werden kann, wenn bauliche Anpassungen wie der Einbau einer Lüftungsanlage gefordert werden. Außerdem müssen sie weniger Steuern zahlen und können Förderungen beantragen.

Wiener Vereine sind verschuldet

Eigentlich eine gute Grundlage für ein Kulturangebot, das nichts oder wenig kostet. Doch es gibt auch Auflagen für gemeinnützige Vereine, wie etwa dass sie nicht über 72 Stunden im Jahr veranstalten dürfen. Denn das wäre unfairer Wettbewerb, argumentieren Befürworter, und auch Getränke dürfen sie qua Gewerberecht nicht verkaufen.

Dass Vereine trotzdem häufiger Events veranstalten und versuchen, laufende Ausgaben über den Verkauf von Getränken zu decken, ist gang und gäbe. Gewinn machen sie dabei eher nicht, waren doch laut einer Studie 2012 ein Viertel der unabhängigen Wiener Kulturvereine verschuldet. 2016 legte die IG Kultur, die Vertretung der Wiener Kulturvereine, deswegen einen Gesetzesvorschlag vor, der für Speisen und Getränke eine Einnahmegrenze von 30.000 Euro vorschlug, die Vereine vor dem Vorwurf der Gewerblichkeit schützt. Umgesetzt wurde er nie.

Bisher gab es stets eine gewisse Toleranz seitens der Stadt, doch ein Politikum, das waren linke Vereine schon immer. Die rechtsextreme FPÖ macht schon mal mit Presseaussendungen gegen sie mobil. Und gibt es Beschwerden aus der Nachbarschaft, findet das Störenfried-Image auch über die Medien Verbreitung. Ein Blick ins Archiv der Lokalberichterstattung zeigt, wie rasch es dann mit der gelebten Toleranz vorbei sein kann.

„Terror in der Grillgasse“, sagt FPÖ

2006 beschwerten sich An­wohner:in­nen über das alternative Veranstaltungs- und Vereinslokal „Movimento“ im Arbeiterbezirk Simmering, Gäste hätten am Weg dahin Sachschäden angerichtet. Parallel machte die Bezirks-FPÖ mit Flugblättern mobil, und es dauerte nicht lange, bis auch die Bezirks-SPÖ zu einem Gespräch über „Terror in der Grillgasse“ lud. Anfang 2007 ließ der Vermieter das Lokal gerichtlich räumen.

Weil ein Verein ungefähr so viel Geld wie sein Publikum hat, verfügt er in den meisten Fällen nicht über die Mittel für einen Rechtsstreit. Das „Venster99“ konnte über Spenden immerhin die nächsten Mieten sichern.

Dritter Wiener Gemeindebezirk, zwischen Busbahnhof und Autobahn. Im Schatten dreier Hochtürme züngeln Graffitiflammen auf den Mauern, Bomberjacken passieren das Eingangstor und das Wummern einer Bassdrum dringt gedämpft in die laue Abendluft.

Es ist eine Geldsache

Georg und Ida, zwei Anfang Zwanzigjährige in Baggy Jeans, die nur ihren Vornamen nennen, sitzen vor dem roten Backsteingebäude der „Arena“. Sie rauchen schweigsam Selbstgedrehte. Früher waren sie wöchentlich im Punklokal „Venster99“, sagen sie. Bald wird es wieder aufmachen, da sind sie optimistisch. Sie müssen das vielleicht, denn eine dauerhafte Alternative gibt es für sie nicht in der Stadt. „Es ist halt auch eine Geldsache“, sagt Georg und dämpft die Zigarette aus.

Im Konzertraum passieren sie die Armverschränker und stellen sich vor die Bühne, auf der sich Bad Boys aus London aus ihren Tarnjacken schälen. „Louda“ schreit der Gitarrist und growlt los, bevor er plötzlich das Konzert unterbricht. „No peeing on the stage!“ ruft er verärgert, dann schleudert jemand Taschentücher zum trockenwischen auf die Bühne. Auch wenn der Gitarrist soeben die erste Regel dieses Abends aufgestellt hat, fühlt es sich spätestens jetzt so an, als würde es bei diesem Konzert keine geben.

Lange galt das für die Arena als Ganzes. „Wir waren ein gallisches Dorf, wir wurden in Ruhe gelassen und hatten unsere Freiheiten“, sagt Petra Ruckendorfer, Obfrau des Vereins Forum Wien Arena. Tausende Wie­ne­r:in­nen besetzten in den 80ern das Gelände, davor wurden hier Schweine geschlachtet, heute treten Bands wie Die Ärzte auf.

Lärmbeschwerden, Sperrstunde

Abgesehen davon ist es nicht mehr ganz so punk wie früher. Veranstalter mieten die Hallen an. Meist muss man Eintritt zahlen, und weil die Behörden ein Auge auf den Ort haben, muss die Arena diesen Sommer erstmals auch die Sperrstunden für die Open Airs einhalten. Von den rund 40 geplanten dürfen 10 bis 23 Uhr dauern, der Rest nur bis 22 Uhr.

Seit letztem Jahr ist es auch mit dem Lautsein vorbei. Fünf Minuten entfernt wurde von vier Bauträgern das Hochhausquartier „The Marks“ fertiggestellt, drei slimfitte Wohntürme mit Namen wie „the One“, „Helio Tower“. In den oberen Stockwerken kostet eine Eigentumswohnung schon mal 700.000 Euro.

Nach dem Einzug der Nach­ba­r:in­nen gab es ein paar Lärmbeschwerden. Schließlich musste für die Außenbühne eine neue, klangbündelnde Soundanlage für eine Million Euro her, die die Stadt mit 595.000 Euro mitfinanzierte. Außerhalb des Areals hört man die Konzerte im Freien jetzt nur noch halb so laut.

Nix mit Anarcho

Direkt gegenüber wird aber schon das nächste Bauprojekt geplant, eine Hotelanlage mit Wohnungen. Noch setzt die Arena darauf, dass es diesmal die Stadt verhindert. Dass sie ihr bisher entgegengekommen ist, liegt wohl daran, dass viele Wie­ne­r:in­nen die Arena kennen und an ihr hängen – setzt sie doch der Zeit ein Denkmal, in der halb Wien einmal Anarcho war.

Venster99, Arena und 4lthangrund, sie alle setzen nun auf diplomatische Mittel und suchen Gespräche mit der Stadt. Wohin diese führen, wird sich erst zeigen.

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