piwik no script img

Spionage-Sorge in NorwegenAufregung um „Russenhütten“

In Norwegen sind drei Ferienhäuser mit Blick auf den Militärflughafen im Besitz reicher Russen. Norwegen diskutiert über Enteignung.

Militärflughafen vor idyllischer Winterlandschaft: der Flugplatz Bardufoss im nördlichen Norwegen Foto: Heiko Junge/imago

Stockholm taz | Es fing so schön an: Neureiche russische Touristen entdeckten in den 2000er Jahren den Charme norwegischer Wintersportorte. Viele warfen quasi mit Geld um sich, vor allem auf dem Immobilienmarkt – so liest es sich in alten Berichten erfreuter örtlicher Geschäftsleute.

Mehr als 15 Jahre später herrscht Aufregung um drei ganz bestimmte „Hütten“ – wie in Norwegen selbst die Luxusklasse der Ferienhäuschen mit Sauna, Fußbodenheizung und Platz auf mehreren Etagen genannt wird. Sie liegen weit im Norden, in der Region Troms. 2009 warb man hier für die neu geplante Wintersportsiedlung Målselv um Käufer: fantastische Landschaft, neue Skianlagen, kommt und kauft. So berichtete es vergangene Woche der norwegische Fernsehsender TV2. Dass damals auch Russen Hütten kauften, sei in den Lokalmedien erwähnt worden, mehr auch nicht.

Nachdem der norwegische Inlandsgeheimdienst PST zuletzt im Februar vor verstärkten russischen Spionageaktivitäten vor allem in Nordnorwegen gewarnt hatte, schaute TV2 einmal genauer hin. Konkret sprach PST damals von Versuchen, sich in der Nähe militärischer Einrichtungen Grundstücke zu verschaffen. Im öffentlich zugänglichen Eigentümerregister fand TV2 bald darauf drei russische Namen. Ihre in Målselv gelegenen Hütten bieten nicht nur beste Aussicht auf die schöne Natur, sondern auch auf den Militärflughafen Bardufoss. Ebenfalls nicht weit: das Hauptquartier des norwegischen Heeres und militärisch genutzte Kaianlagen.

Russische Exiljournalisten der Organisation Dossier Center unterstützten die Norweger dabei, mehr über die Eigentümer herauszufinden. Und siehe da – sie sind nicht irgendwer. Igor Morar, geboren im heute russisch besetzten ukrainischen Luhansk, mittlerweile Bürgermeister der nordrussischen Stadt Murmansk, ist einer von ihnen. Ein weiterer: Viktor Saygin, schwerreicher Politiker. Saygin spiele unter anderem eine wichtige Rolle in der Organisation Russian Peace Foundation, die laut dem Exilmedium Meduza seit Jahren russische Propaganda im Westen verbreitet und Moskaus Nachrichtendiensten nahesteht.

Atomflot-Angestellter urlaubt wohl gerne in Europa

Ein Mann namens Alexander P. Timofejew übernahm den Erkenntnissen von TV2 zufolge eines der beiden zunächst von Saygin gekauften Grundstücke. Er habe ein gutes Verhältnis zu Norwegen und sehe kein Problem darin, dort eine Hütte zu besitzen, zitiert ihn TV2.

Das Militär mietete die Russenhütten als Schlafplatz für Teilnehmer einer Übung an

Timofejew besetzt eine Leitungsposition im russischen Staatsunternehmen Atomflot, das die russischen Eisbrecherschiffe betreibt und wiederum Teil von Ros­atom ist, der russischen Atomenergiebehörde. Er soll dort für das Museumsschiff „Lenin“, den weltweit ersten atombetriebenen Eisbrecher, verantwortlich sein. Atomflot steht auf EU-Sanktionslisten.

Diese Informationen gereichten der Öffentlichkeit in Norwegen allein schon zur Aufregung. Doch die Saga ging weiter: Im März waren 20.000 Nato-Soldaten aus 13 Ländern in Nordnorwegen unterwegs, um die Verteidigung gegen einen russischen Angriff zu proben. Irgendwo mussten die Teilnehmer der Übung „Nordic Defense“ ja schlafen, und da buchte man – nicht unüblich – Hütten.

Das Medienhaus Nordlys berichtete es zuerst: Sowohl das norwegische als auch das schwedische Militär hatten die „Russenhütten“ wohl angemietet. „Das ist tatsächlich sehr unglücklich gelaufen“, sagte eine schwedische Militärsprecherin anschließend der Nachrichtenagentur TT. „Da rollt schwedisches Steuergeld direkt in russische Taschen.“

Der Inlandsgeheimdienst PST bestätigte Ende der Woche, dass er bereits Untersuchungen zu ebendiesen Hütten durchgeführt habe und mit den „Akteuren“ in Kontakt sei. Er mahnte an: Auch wenn diese Grundstückskäufe legal waren, solle man in Norwegen verstärkt mögliche Folgen für die innere Sicherheit im Blick haben. Auch die Nationale Sicherheitsbehörde NSM hat dies längst thematisiert. Noch aber ist in Norwegen der Immobilienmarkt ohne entsprechende Regularien.

„Norwegen braucht strengere Regeln“, forderte nun unter anderem der Vorsitzende der norwegischen Grünen, Arild Hermstad. Er spricht sich dafür aus, die Häuser zu beschlagnahmen und das Geld an die Ukraine zu geben.

Inlandsgeheimdienst soll mehr Daten auswerten dürfen

Die norwegische Justizministerin Emilie Enger Mehl von der Zentrumspartei bestätigte unterdessen, dass das Problem grundsätzlich bekannt sei. Inzwischen seien sicherheitsrelevante Einrichtungen verpflichtet, die NSM auf Grundstücke hinzuweisen, die ein Risiko darstellen könnten.

Der Inlandsgeheimdienst sollte eigentlich auch die Erlaubnis haben, öffentlich vorhandene Daten systematisch zu speichern und auszuwerten – allerdings ist das Gesetz noch nicht in Kraft. Die norwegische Regierung will sich zudem einen Vorschlag genauer anschauen, wonach bestimmte Käufergruppen erst eine Genehmigung für den Erwerb beantragen müssen – ähnlich einer bestehenden Vorgabe in Finnland.

Für eine der drei Aufregerhütten von Målselv gab es derweil einen überraschenden Besitzerwechsel: Sie gehört nun Zhanna Petryaeva Tystad, Ehefrau des bekannten Bergener Lokalpolitikers Trond Tystad. Sie habe die Hütte als Rückzahlung für einen zuvor vergebenen Kredit angenommen, sagte die neue Besitzerin gegenüber der Zeitung Bergens Tidende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Neureiche russische Touristen entdeckten in den 2000er Jahren den Charme norwegischer Wintersportorte. Viele warfen quasi mit Geld um sich"

    Da hat der Trickle-Down-Effekt dem Durchschnittsnorweger sicher viel eingebracht

    "vor allem auf dem Immobilienmarkt"

    Die durchschnittlichen Immobilienbesitzer waren sicher entzückt