piwik no script img

Fotograf über Menschen im EinkaufscenterRaus aus dem Konsumfluss

Fotograf Wolfram Hahn porträtiert Menschen in Berliner Einkaufszentren. Dabei fängt er ein, wofür diese Orte außerdem stehen: Begegnung und Kontraste.

Einer von vielen Menschen, denen Wolfram Hahn in Einkaufszentren begegnete Foto: Wolfram Hahn
Interview von Erik Irmer

wochentaz: Herr Hahn, für Ihre Fotoarbeit „Center“ haben Sie Menschen in Einkaufszentren in Berlin fotografiert. Warum dort?

Wolfram Hahn: Ich begreife Einkaufscenter als Begegnungsorte. Wo Menschen zusammenkommen, die sonst eigentlich nicht zusammenkommen würden, denn einkaufen gehen muss jeder irgendwann. Und dadurch, dass Einkaufscenter vielerorts die Infrastruktur ganzer Einkaufsstraßen vereinnahmt haben, ist es schwierig ihnen aus dem Weg zu gehen. Teilweise befinden sich sogar Arztpraxen in diesen Centern. Nur sind diese Orte nicht öffentlich, sondern privatisiert. Man darf sich dort nicht politisch oder kulturell äußern wie im öffentlichen Raum. Für mich war das auch ein Grund, dort hinzugehen und genau das zu machen – kulturelle Arbeit.

Wie war es, in so einer Mall Menschen anzusprechen?

Die meisten Leute haben ja einen Plan, was sie einkaufen möchten, und rennen relativ schnell durch. Einfacher ist es mit Menschen, die dort verweilen. Das sind oft Jugendliche oder Rentner, die den Ort eben auch als Begegnungsort nutzen. Und es gibt viele Obdachlose, die dort den Tag überbrücken, bis die Notunterkunft wieder öffnet. In der Regel sind die Leute überrascht, dass jemand sie fotografieren will. „Warum ausgerechnet mich?“ Ich habe ihnen dann erklärt, wie ich versuche, das Einkaufszentrum durch künstlerische Arbeit umzufunktionieren. Das fanden viele interessant.

Ich höre oft von Fotograf:innen, die im öffentlichen Raum arbeiten, dass die meisten Menschen gar nicht mehr fotografiert werden wollen. Was haben Sie für Erfahrungen gemacht?

Von fünf bis zehn Personen, die ich anspreche, lässt sich ungefähr eine fotografieren. Es kommt immer darauf an, wer vor einem steht. Jugendliche haben oft ein bisschen Angst, dass ihre Bilder in falsche Hände oder Kanäle geraten könnten. Das kann ich verstehen. Ich versuche immer, direkt transparent zu machen, was mit den Bildern passiert, und das Konzept meiner Arbeit kurz und verständlich zu vermitteln. Neben der schriftlichen Einwilligung, die ich mir geben lasse, schicke ich der Person auch das Porträt per Mail zu. Natürlich können sie ihr Einverständnis auch jederzeit wieder zurückziehen.

Im Interview: Wolfram Hahn

Jahrgang 1979, hat an der FH Potsdam und der Folkwang Universität der Künste in Essen Fotografie studiert. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. Seit 2021 fotografiert er Menschen in Berliner Einkaufszentren, unter anderem im Ring-Center in Friedrichshain. Hahn möchte seine Fotoarbeit an den jeweiligen Aufnahmeorten ausstellen und später ein Foto-Buch daraus machen.

Diese Menschen, die Sie täglich in den Centern angetroffen haben und die dort auch länger verweilen – ist das üblich für ein Einkaufszentrum?

Ich denke, ja. Es hängt vielleicht ein bisschen davon ab, wo das Center ist. Wenn es in einer Infrastrukturwüste steht, dann verbringen die Leute da auch eher Zeit, weil sie dort auch einen Kaffee trinken können, wie in einem Café. Das ist der Gedanke vom Marktplatz, der den Centern innewohnt. Dass man sich dort regelmäßig trifft, dass die Nachbarschaft dort zusammenkommt. Ich mag es, die Leute dann immer wieder zu fotografieren, wenn sie es zulassen. Das ist mein Moment der Begegnung.

Den Ort selbst, also das Center, sieht man in Ihrer Fotoarbeit gar nicht wirklich. Sie haben meistens einen Oberkörperausschnitt gewählt mit einem unscharfen Hintergrund. Warum?

Ich benutze ein Stativ, das soll entschleunigend wirken. Ich will die Leute quasi raus ziehen aus dem Konsumfluss. Ich arbeite mit dem Licht, das dort ist, weil ich den Ort nicht durch einen Blitz, also künstlich gesetztes Licht, verfremden möchte. Ich möchte so die Atmosphäre des Centers im Bild einfangen, die erzeugt wird von den vielen Lichtern und den reflektierenden Materialitäten. Der einzelne Ort ist im Prinzip austauschbar. Ihn zu reproduzieren, das wäre Reklame.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie nehmen Sie die Atmosphäre wahr?

Alles ist leuchtend und grell und will Aufmerksamkeit haben. Wie sich dann diese Lichter auf den Gesichtern und auf den Körpern niederschlagen, das finde ich total spannend. Denn es erzeugt einen Kontrast zwischen dem Menschen, der in dem Moment der Aufnahme kein Konsument mehr ist, und dieser Lichtstimmung, die Aufmerksamkeit fordert, die den Menschen unablässig zum Konsum auffordert. Ich konzentriere mich auch deshalb auf den Menschen und nicht auf den Raum.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!