Amazon Fresh beendet „Just walk out“: Mensch ersetzt KI
Hinter den kassenlosen Märkten von Amazon steckten Mitarbeiter in Indien, zeigt eine Recherche. Ohne Ausbeutung funktioniert Bequemlichkeit nicht.
Haben Sie auch an Tampons gedacht?“ – Im Laden ohne Personal empfiehlt die künstliche Intelligenz außerdem freundlich, noch ein Erkältungsmedikament zum Wochenendshopping zu legen. Sie sieht an Körperhaltung und Stimmmodulation der Kundin, dass ein Schnupfen im Anmarsch ist. Die Preise auf den digitalen Anzeigen werden in Millisekunden dem jeweils vorm Regal verweilenden Individuum angepasst. Kassen gibt es keine. Sensoren haben die Waren erfasst und direkt auf der Kreditkarte abgerechnet. Ohne Wartezeiten oder extra Zahlungsvorgang, mit dem Einkauf schon im Rucksack, tritt die Kundin vor die Tür.
„Just walk out“ – „Einfach rausgehen“ lautet ein Konzept des Internetkonzerns Amazon zum kassenlosen Einkauf. Laut einem Bericht des Nachrichtenportals The Information soll das Experiment mit den kassenlosen Lebensmittelgeschäften jedoch beendet werden. Anscheinend ist nicht nur der hohe Preis der Technologie ein Problem. Auch scheint der Enthusiasmus und die Bereitschaft der Kund:innen, ihr Verhalten den Anforderungen der Technik zu unterwerfen, wie so oft bei der Nutzung „neuer“ Ideen aus der Sphäre digitaler Erlösungsfantasien, hinter den Erwartungen des Anbieters zurückzubleiben.
Ein bemerkenswert kritischer Aspekt der Just-Walk-Out-Läden ist dabei die Tatsache, dass der ursprünglichen Idee widersprechend, doch eine Menge unsichtbar gemachter menschlicher Arbeitskraft in die Ladengeschäfte fließen muss. So wird von mehr als tausend Klick-Arbeiter:innen in Indien berichtet, die alle Einkaufsvorgänge in den Amazon-Stores aufs genaueste überprüfen.
Ganz so reibungslos wie beworben funktioniert das kassenlose Geschäft offenbar nicht. Dass menschliche manuelle Arbeit hinter einer sterilen, von jeder Erinnerung an Blut und Schweiß gereinigten Fassade pseudodigitaler Erfahrungswelten versteckt wird, ist nicht einmal eine Neuigkeit. Ob in Kenia, Indien oder Nigeria – eine stetig wachsende Armee unterbezahlten digitalen Prekariats wird damit beschäftigt, den Datenmüll aus den reicheren Regionen der Welt aufzubereiten.
Folgen trägt Allgemeinheit
Während nämlich Unmengen an Daten maschinell erfasst, verarbeitet und wieder in das immer gewaltiger werdende digitale Grundrauschen eingespeist werden, müssen Menschen die sich potenzierenden Fehler und Ungenauigkeiten permanent ausgleichen. Tun sie das nicht, werden die Dienste und Produkte zunehmend unbenutzbar.
Alle, die jemals eine Reisereklamation oder Verständnisnachfrage zu einem Formular mit einem KI-gesteuerten Chatbot zu klären versuchten, sind den systemischen Problemen in immerhin noch überschaubarer Dimension bereits begegnet. Von sich rasend schnell verbreitenden Fehlinformationen, die zu gegebenenfalls katastrophalen und tödlichen Entscheidungen führen, ganz zu schweigen.
Denn das ist es, was passiert, wenn die digitale Transformation dem Profitinteresse internationaler Konzerne unterworfen ist: Jegliche unkommerzielle Aktivität wird verdrängt, während globale Monopolisten ihre dysfunktionalen Dienste unter Zuhilfenahme weltumspannender kolonialer Ausbeutung zu verkaufen suchen.
Die Dividenden steigen, während die Verantwortung für die Folgen unkontrollierten Gewinnstrebens bei der Allgemeinheit verbleibt. Welchen Namen das nächste große Ding des Kapitalismus auch tragen mag, eines wird sich unter gegebenen Bedingungen nie ändern: Selbst wenn gelegentlich für einen tatsächlich bestehenden Bedarf entwickelt und produziert wird, geht es doch immer vorrangig um den Profit. Und der wird zu ganz wesentlichen Teilen in den brutalen Arbeitshöllen und Sweatshops dieser Welt erwirtschaftet. Egal ob das nun 1850 in Manchester oder 2024 in Bangalore geschieht.
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