Eltern eines YPG-Kämpfers über Klage: „Wir wollen unseren Sohn beerdigen“

Der Kieler Konstantin Gedig starb im Kampf gegen Islamisten durch türkische Bomben. Seine Eltern klagen beim Generalbundesanwalt gegen die Türkei.

Ein Polizeihubschrauber kreist über einer Demonstration gegen die türkische Militär-Offensive in Nordsyrien

Ein Polizeihubschrauber kreist über einer Demonstration gegen die türkische Militäroffensive in Rojava Foto: Fabian Strauch/dpa

taz: Frau Ruß, Herr Gedig, warum haben Sie Anzeige gegen die Türkei beim Generalbundesanwalt erstattet?

Thomas Gedig: Unser Sohn Konstantin ist von der Türkei ermordet worden. Das ist ein „Offizialdelikt“, da müssen die Justizbehörden eigentlich von sich aus Ermittlungen aufnehmen. Wir gehen aber davon aus, dass das nicht passiert ist. Deshalb haben wir uns an die Bundesanwaltschaft gewandt.

Ute Ruß: Wir sind der Ansicht, dass das Kriegsverbrechen, durch das Konstantin getötet wurde, aufgeklärt werden muss. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat ja festgestellt, dass die Türkei bei ihrer Militäroffensive gegen die kurdischen YPG-Milizen 2019 das Völkerrecht gebrochen hat, indem sie in Nord- und Ostsyrien einmarschiert ist und die kurdischen Gebiete bombardiert hat.

Konstantin war in Rojava, um mit den kurdischen Milizen gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ zu kämpfen. Was wissen Sie über den Tod Ihres Sohnes?

Gedig: Das meiste wissen wir aus eigenen Recherchen. Am 16. Oktober, dem Tag seines Todes, war er mit seiner Einheit im nordsyrischen Serêkaniyê, wo die Türkei die Bevölkerung bombardierte. Kampfbedingt mussten sie sich aufteilen, Konstantin sollte mit drei Ka­me­ra­d*in­nen durch einen Tunnel hinter die feindlichen Linien gehen. Er wurde am Kopf und am Bein verletzt, wahrscheinlich durch einen Splitter. Er verarztete sich selbst und wollte weiter, aber seine Ka­me­ra­d*in­nen zogen ihn raus und brachten ihn zu einem Sammelpunkt für Verletzte. Dieser Sammelpunkt wurde dann bombardiert. Dabei starben Konstantin und mehrere andere.

Woher haben Sie diese Informationen?

Ruß: Im vergangenen Jahr sind wir selbst nach Syrien gereist. Wir wollten die Menschen treffen, die Konstantin kennengelernt haben und so viel wie möglich über seine Zeit in Rojava und die Umstände seines Todes erfahren. Wir konnten mit vielen seiner Mit­strei­te­r*in­nen und einigen hochrangigen Kom­man­dan­t*in­nen der YPG und SDF (Syrisch-demokratische Kräfte, A. d. Red.) sprechen. Das hat uns sehr geholfen.

Eigentlich ist das Auswärtige Amt zuständig, wenn Deutsche im Ausland sterben.

Gedig: Wir haben uns schon oft an die Behörde gewandt. Im vergangenen Jahr hatten wir auch ein gutes Gespräch mit Staatsministerin Katja Keul, aber leider folgte daraus nichts.

Was hätte folgen sollen?

Ruß: Wir möchten Konstantin endlich beerdigen. Aber die Türkei rückt seinen Leichnam nicht heraus. Allerdings wissen wir nicht, ob die deutschen Behörden die türkischen überhaupt danach gefragt haben. Das Auswärtige Amt kommuniziert sehr intransparent mit uns, wir haben mittlerweile einen ganzen Aktenordner an Kommunikation mit der Behörde. Aber der Tenor ist immer: Man weiß nichts.

Glauben Sie das?

Gedig: Nein. Der nordsyrische Luftraum war zu der Zeit, als Konstantin getötet wurde, der am besten überwachte der Welt. Natürlich könnte man herausfinden, welcher Pilot die Bombe auf Konstantin abgefeuert hat. Aber für den Staat ist Konstantin nur ein Einzelfall, ein junger Mann, der freiwillig im Krieg war. Dafür legt man sich nicht mit dem Nato-Partner an. Für uns ist das unerträglich.

Warum war Konstantin so entschlossen?

Gedig: Die Medienberichte über die Gräueltaten des „Islamischen Staats“ und was diese Verbrecher mit der jesidischen Bevölkerung machten, gingen ihm sehr nahe. Als er zum ersten Mal in den Nord­irak ging, erfuhren wir davon erst, als er schon vor Ort war. Er schrieb uns: „Ich versuche jenen zu helfen, die nicht fliehen können, weil sie an der türkischen Grenze erschossen werden. Und denen, die beschlossen haben zu bleiben.“

Einmal kam Konstantin wieder.

Ruß: 2017 kam er, um eine Verletzung zu heilen, die vor Ort nicht operiert werden konnte. Er war bei der Befreiung von Rakka angeschossen worden. Er machte uns klar, dass er wieder losziehen würde, wenn die Wunde verheilt wäre. Das war sehr hart für uns.

64, Politologin, lebt in Kiel. Von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist sie enttäuscht.

Gedig: Man versucht das dann nicht dauernd zu thematisieren, sondern jede Stunde zu genießen, die man zusammen hat.

Ruß: Ich habe es schon thematisiert. Ich konnte nicht anders. Aber wer Konstantin kannte, kannte auch seine Entschlossenheit. Er sagte „Daesh (abwertende arabische Bezeichnung für den „Islamischen Staat“, A. d. Red.) ist noch nicht besiegt. Ich muss wieder hin.“ Am 4. März 2019 haben wir uns am Kieler Hauptbahnhof von ihm verabschiedet. Das letzte Mal, dass wir ihn sahen.

Was erhoffen Sie sich von der Anzeige?

Ruß: Wir erwarten, dass deutsche Behörden die Täter ermitteln und zur Verantwortung ziehen. Und zwar auf militärischer und politischer Ebene. Da es sich um ein Kriegsverbrechen handelt, ist im nächsten Schritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuständig. Bevor man den anruft, muss man den nationalen Weg ausschöpfen. Der Generalbundesanwalt sollte aber seine Arbeit tun!

65, Verwaltungswirt, arbeitete bis 2022 für den freien Jugendhilfeträger Pädiko. Seit er in Rente ist, hat er noch mehr Zeit, die Nachrichten aus den kurdischen Gebieten im Irak und Nordsyrien zu verfolgen.

Für wie realistisch halten Sie es, dass die Behörden aktiv werden und türkische Generäle vor Gericht bringen – und letztlich Präsident Recep Tayyip Erdoğan?

Gedig: Wir sind ja nicht allein mit der Ansicht, dass es sich hier um ein Kriegsverbrechen handelt. Und derzeit laufen ja in Deutschland zum Beispiel auch Prozesse gegen mutmaßliche syrische Folterknechte. Gegen die türkischen Mörder von Konstantin kann das auch passieren. Wir sehen nicht, warum da zweierlei Maß gelten sollte.

Ruß: Wir erwarten von den deutschen Behörden ernsthafte Unterstützung, damit wir Konstantin beerdigen können.

Was wissen Sie über den Verbleib des Leichnams Ihres Sohnes?

Ruß: Als Konstantin getötet wurde, war es seinen Mit­strei­te­r*in­nen nicht möglich, seinen Leichnam zu bergen – sie wurden ja bombardiert. Wir haben auf türkischen Internetportalen Hinweise gefunden, dass die offiziellen türkischen Stellen meldeten, den deutschen Terroristen „Andok Cotgar“, sein kurdischer Kampfname, identifiziert und seinen Leichnam zusammengesetzt zu haben. Leider zeigt die Türkei im Umgang mit Toten und ihren Angehörigen keinerlei Menschenwürde.

Gedig: Deshalb erwarten wir, dass der deutsche Staat Druck auf Erdoğan ausübt. Sei es mit Sanktionen, oder wie auch immer.

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