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Stadtforscher über Hamburger Hafen„Nicht mehr das Tor zur Welt“

Die Bedeutung des Hafens wird in Hamburg überschätzt, meint Dieter Läpple. Das Gelände sollte auch für eine Innovationsoffensive genutzt werden.

Kräne bauen Kräne: Der Hamburger Hafen in permanentem Wandel Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

wochentaz: Herr Läpple, Sie sagen, Hamburg müsse seinen Hafen neu denken. Warum?

Dieter Läpple: Der Hafen hat durch den Siegeszug des Containers weitgehend sein Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotenzial verloren. Die Tendenz geht zur automatisierten Containerschleuse. Beim Umschlag wird immer mehr Arbeitskraft eingespart. Traditionelle Hafenfunktionen wie Lagerung und Verarbeitung von Waren verschwinden. Der Hafen wird zu einem reinen „Umschlaghafen“.

Im Interview: Dieter Läpple

Jahrgang 1941, ist emeritierter Professor für Stadtforschung an der HafenCity Universität Hamburg.

Der Arbeitsplatzeffekt betrifft ja nicht nur das Hafengebiet oder Hamburg, sondern er macht sich bundesweit bemerkbar. Das kann man ja nicht vernachlässigen.

Heute sind nicht mehr die Transportkosten, sondern vor allem Forschung und Entwicklung die entscheidenden Treiber ökonomischer Dynamik. Die Zentren der dynamischen Industrie haben ihren Standort im Süden Deutschlands. Die Export- und Importwirtschaft ist zwar immer noch „hafenbezogen“, aber nicht mehr abhängig vom Hamburger Hafen. Hamburg ist nicht mehr das privilegierte „Tor zur Welt“. Es gibt viele maritime Alternativen für die deutsche Wirtschaft.

Diese Alternativen bestehen schon lange.

Aber sie werden zunehmend effizienter. Die Handelsströme verlagern sich. So hat unter anderem der Mittelmeerraum stark an Bedeutung gewonnen. Deutschland braucht zwar ein leistungsfähiges Hafensystem und eine nationale maritime Souveränität, aber die kann Hamburg als Flusshafen mit seinen Tiefgangsbeschränkungen nicht sichern. Durch die Abhängigkeit vom Kreislaufbaggern wird nicht nur die Elbe zum toten Fluss, sondern Hamburg zu einem der unzuverlässigsten Häfen der Welt. Die Lösung liegt auf der Hand. Zusammenschluss der norddeutschen Häfen: Kooperation statt Konkurrenz, Bündelung der Ressourcen und gemeinsamer Ausbau eines verlässlichen Tiefwasserhafens. Hamburg wäre der Gewinner einer solchen Lösung.

Noch klammert sich der Senat daran, dass die jüngste Elbvertiefung erst noch voll umgesetzt werden müsse und der Hafen dann wieder zuverlässig bedient werden könne.

Da haben sich die Reeder bereits anders entschieden. Die beiden großen Reedereien Hapag-Lloyd und Mærsk haben angekündigt, dass sie mit ihren ganz großen Schiffen im Asien-Verkehr Hamburg gar nicht mehr anfahren werden, sondern nur noch große Zentralhäfen, wie Rotterdam und Tanger, von denen Verteilschiffe die Landung in die übrigen Häfen wie Hamburg transportieren. Hamburg würde damit zum Regionalhafen.

Warum will sich dann die weltgrößte Reederei MSC in Hamburgs wichtigsten Hafenbetrieb HHLA einkaufen?

Durch seine dominante Marktmacht schwimmt MSC im Geld. Diese Reederei kauft gegenwärtig weltweit Hafenanlagen und Hinterlandverkehrssysteme, um die Transportketten von den Fabriktoren bis zum Endkunden zu kontrollieren. Der HHLA-Deal ist für MSC ein „Schnäppchen“. Sie erwirbt damit die HHLA-Tochter Metrans, ein hochmodernes, europaweit aktives Eisenbahn- und Logistikunternehmen. Vor allem in Südeuropa ist MSC bereits ein führender Gütertransport-Anbieter. Durch die zunehmende Kontrolle der Containerverkehre im europäischen Binnenland versucht MSC ihre Marktmacht weiter auszubauen. Metrans spielt dabei eine zentrale Rolle.

Deckt sich das mit dem Interesse der Stadt?

Der Deal mit MSC ist meines Erachtens eine irreparable Fehlentscheidung. Die Zukunft des Hamburger Hafens liegt in der Kooperation der norddeutschen Häfen. Doch durch den MSC-Deal wird das Tischtuch zwischen Hamburg und Bremen zerschnitten, weil dadurch Ladung und Arbeitsplätze von Bremenhaven abgezogen werden. Bei dem Deal gibt es zwei entscheidende Probleme: Zum einen bekommt MSC mit Metrans die Kontrolle über die Hinterlandverkehre und kann die Preise diktieren. Zum anderen wird durch den Deal eine Hafenallianz zwischen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven blockiert. Eine solche Allianz wäre entscheidend, um eine Gegenposition gegen die dominante Marktmacht der Reeder aufzubauen.

Sie haben geschrieben, dass der Hafen Hamburgs Entwicklung zunehmend im Wege stehe. Wie das?

Hamburg hat sich zu lange verlassen auf die natürlichen Standortvorteile des Hafens und Wissenschaft und Forschung vernachlässigt. Heute sind die natürlichen Standortvorteile weitgehend entwertet und Hamburg ist – vor allem im Vergleich mit den süddeutschen Städten – mit einer weit unterdurchschnittlichen Innovationskapazität konfrontiert. Erforderlich ist eine strategische Neuorientierung in Form einer Innovationsoffensive. Mit dem Hafenentwicklungsgebiet verfügt Hamburg über ein einmaliges Potenzial. Dieses innerstädtische, gut erschlossene Gebiet birgt mit seinen unter- und ungenutzten Flächen im östlichen und südlichen Bereich Räume für Reallabore und Experimentierfelder. Aber die Nutzung der potenziellen Innovationsräume ist gesetzlich blockiert. Das geltende Hafenentwicklungsgesetz erweist sich als ein Innovationsverhinderungsgesetz. Es verbannt alle nichthafenbezogenen Funktionen aus dem Hafengebiet. Es erlaubt nur ökonomische Aktivitäten, die dem Hafen ein Ladungsaufkommen sichern. All das, was man für eine Innovationsoffensive bräuchte – Flächen und Räume für Forschungs- und Entwicklungslabore, Start-ups, Experimentierbauten, attraktive Nutzungsmischung – verbietet dieses Gesetz. Die Folge: eine hochgradige Unternutzung der Flächen mit vier bis fünf Beschäftigten pro Hektar. Es ist überfällig, dass das östliche Hafengebiet aus dem Hafenentwicklungsgesetz entlassen wird. Aber die Hafenwirtschaft, an die die Flächen spottbillig verpachtet sind, verteidigt den Status quo. Dabei haben wir einen unglaublichen Flächenmangel in Hamburg.

Wenn es denn möglich würde, einen Teil des Gebiets durch eine Gesetzesänderung anders zu nutzen: Welche Zukunftsbranchen und -technologien könnten das sein?

Es könnte ein Innovationshafen entstehen mit Reallaboren und Experimentierfeldern für die wirtschaftliche, technologische und soziale Transformation unserer fossilen Lebens- und Produktionsweise. Die zentralen Stichworte sind Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Ein zentrales Themenfeld könnte der Komplex zirkuläres Bauen, postfossiles Wohnen und nachhaltige Quartiersentwicklung sein. Hamburg hat bereits große Expertise auf diesem Feld und hier besteht großer sozialer und ökonomischer Bedarf. Über das Konzept der Reallabore könnten mit spezieller Förderung und unter regulativen Sonderbedingungen Forschung, Entwicklung, Entwurf, Bau von Prototypen verknüpft werden. Im südlichen Bereich des Hafens könnte ein Cluster Erneuerbare Energien mit einem entsprechenden Forschungscampus entstehen.

wochentaz

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Was könnte sich im Hafen entwickeln?

Ich stelle mir eine Zweiteilung des Hafens vor: Container­umschlag im Westteil und im Osten einen Innovationshafen, ähnlich wie ihn Rotterdam geschaffen hat. Rotterdam hat den Container- und Massengutumschlag aus der Stadt in Richtung See verlagert und innerstädtische Flächen in einen pulsierenden Innovationshafen transformiert. Zusammen mit Universitäten, Forschungsinstitutionen und Start-ups hat die Stadt ein sehr vitales Innovationsökosystem aufgebaut. Wenn wir nach Rotterdam schauen, sollten wir nicht nur nach dem Containerumschlag schauen, sondern vor allem auf diese Innovationsstrategien, von denen Hamburg einiges lernen könnte.

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16 Kommentare

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  • Mit einem scholzomatischen Tschentscher werden sich die innovativen Ideen, die Herr Läpple seit 2 Jahrzehnten überzeugend vertritt, aber nicht umsetzen lassen. Und eine Korrektur durch die zweite Bürgermeisterin Fegebank, eine der schlafmützigsten Grünen, die ich kenne, wird es nicht geben.

    • @dites-mois:

      Diese "innovativen" Ideen werden doch schon seit mehr als zwei Jahrzehnten umgesetzt. Noch nie etwas von der HafenCity und der Elbphilharmonie gehört?

      • @Knuty:

        Zu dem Namedropping können sie gerne ihre Gedanken und ihr Wissen mitteilen was warum Innovativ ist oder sein soll. Ich erkenne aber an das man die Elbphi architektonisch Interessant finden kann. Dafür war sie aber m.E. nach viel zu teuer.

    • @dites-mois:

      Die haben evtl eigene "innovative" Ideen. Es soll wohl ein spezieller Plan für die Errichtung eines Leuchtturms existieren, der an einem städtebaulich markanten Standort, am Nordufer der Norderelbe, eingefasst durch die Freihafenelbbrücke und die Eisenbahnbrücken im Westen und die Billhorner Brücke und die Neue Elbbrücke im Osten realisiert werden soll. Unmittelbar am Bahnhof Hamburg Elbbrücken.

  • Daneben verhindert der Hafen in der Stadtmitte, dem Verkehrskollaps entgegenzuwirken: Hamburg ist für den Personenverkehr von Süden her an die völlig überlastete Strecke über Hamburg-Harburg (Schiene) bzw. Elbbrücken/-tunnel (Straße) gebunden. Alternativen, insbesondere Querungen flussabwärts, sind nicht zu erkennen. Nicht einmal die aus anderen Gründen bedenkliche und überdimensionierte Brücke bei Stade könnte der Hafenentwicklung entgegenstehen, so wie die Politik sie derzeit denkt.



    Selbst flussaufwärts gibt es dann nur die Fähre bei Zollenspieker und sonst direkt auf Hamburger Gebiet gar nichts mehr, die Eisenbahn quert erst bei Lauenburg wieder, an der Strecke Lüneburg-Lübeck mit Umstieg in Büchen Richtung Hamburg. Die Hamburger scheinen das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 immer noch nicht verwunden zu haben und eine Zusammenarbeit mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein findet nicht statt. Auch das hemmt die Entwicklung.

    • @Zangler:

      Elbquerungen flussauf- und abwärts von Hamburg aus machen keinen Sinn, weil es an der nötigen Infrastruktur fehlt, die den Verkehr dorthin leiten würde.



      Außerdem gibt es ja die erwähnten Fährverbindungen, die allerdings nicht ausgelastet sind.

      • @Knuty:

        Man könnte theoretisch schon eine Bahnverbindung zwischen Altona und Stade bauen oder bauen können, die durch den Elbtunnel (A7) gehen würde. Und eben Finkenwerder, Neuenfelde, Jork und Mittelnkirchen mitnimmt. Gibt Pendler aus Hamburg nach Stade bzw. den Bereichen und umgekehrt. Und die Strecke wäre nur zwei-drittel der Strecke per S-Bahn über Harburg.

  • Da ist ja nichts verkehrtes dran, bloß werden im Hamburger Hafen schon seit Jahrzehnten Flächen umgewidmet. Ein ganzer neuer Stadtteil, die HafenCity, ist im östlichen Teil entstanden. Von der Elphi bis zum Elbtower, samt Kraftwerk, Schulen, Kitas, Uni, U-Bahn, Restaurants, Museen, Büros, Wohnungen, Parks, Einkaufsstraßen und Center.

    • @Knuty:

      Können sie mir ihre Aussage bitte einmal Konkretisieren, was den Zeitraum und die Änderungen anbelangt? Mir persönlich wäre im Bereich des Hafens seit 1997 nur eine Änderung im Flächennutzungsplan bei der Hafencity bekannt www.hamburg.de/con...lbphilharmonie.pdf, sonst kenne ich keine.

      • @serious?:

        Wieso "nur"? Die Änderung betrifft das gesamte östliche Hafengebiet. Mehr geht nicht.

        • @Knuty:

          Möchte bzw. wollte ihnen da jetzt kein Unrecht tun, was die Größe der Fläche anbelangt. Habe den Masterplan von 2000 nicht erwähnt, der ja Flächentechnisch die Umnutzung für den gesamten Bereich (inkl. Grasbrook) beinhaltet hat. Gut der wurde nochmal überarbeitet u.a. wegen der U-Bahn.

        • @Knuty:

          Wenn sie meinen da wird seit Jahrzehnten umgewidmet. können sie doch bitte einfach schreiben was und wann, oder nicht? Gerne einfach nach ihren Wissensstand.

          • @serious?:

            Lesen Sie selbst:



            de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-HafenCity

            • @Knuty:

              Den Artikel kenne ich, mir ging es zuletzt darum, das sie m.E. nach fälschlicherweise suggeriert haben das es mehrere Umwidmungen über Jahrzehnte gibt. Davon ist aber im Artikel nie die Rede.

              Im Artikel ist die Umwidmung quasi der Masterplan, der dort aber als Umwandlung bezeichnet wird, sonst taucht der Begriff Umwidmung auch m.E. nach nicht auf.

              Auf mich vermitteln/vermittelten sie so den Eindruck, das Hamburg ziemlich Flexibel mit der Form der Flächennutzung umgeht, was meines Wissens nach halt nicht stimmt. Bzw. hätte ich gern gesehen das sie nachvollziehbarer Belegen, wenn sie anderer Meinung sind, und eine gute Quelle haben. Beim Wikipediartikel hätten sie z.b. einfach sagen können in dem Teil steht das was ich meine.

              Ich gehe davon aus, das der Interviewte sich zu der Aussage „Das geltende Hafenentwicklungsgesetz erweist sich als ein Innovationsverhinderungsgesetz. Es verbannt alle nichthafenbezogenen Funktionen aus dem Hafengebiet.“ schon mehr Gedanken gemacht hat. Und eher Recht behalten wird.

              Die Idee der Hafenallianz z.b. ist, mein ich, schon 20 Jahre alt, man hätte da schon weiter sein können, wobei eben als Nebeneffekt nach Interview auch mehr Flächen frei geworden wären. Hamburg wollte aber sozusagen immer den ganzen Kuchen statt zu Teilen, Innovativ und Flexibel wirkt das in meine Augen nicht. Der andere Artikel taz.de/Nationale-H...chlossen/!5996536/ stützt so eine Einschätzung auch eher.

              Aber die Verantwortlichen in Hamburg dürfen natürlich gerne ein Wunder vollbringen, dran glauben tue ich aber nicht.

              • @serious?:

                Nochmals: Das gesamte östliche Hafengebiet ist umgewidmet worden. Außer ein paar Personen-Fähren und Kreuzfahrtschiffen gibt es dort nur noch Museumsschiffe.



                Die Container- und Massengutschiffe werden ausschließlich im westlichen Hafenteil abgefertigt, der in den letzten 30 Jahren ausgebaut worden ist, wie z.B. Altenwerder.

                Und ja, die Idee einer Hafenallianz ist sogar schon fast 100 Jahre alt und wurde von Hamburg nie ernsthaft verfolgt. Bis jetzt ist Hamburg damit auch gut gefahren, aber in Zukunft sind dafür Grenzen gesetzt.

  • Interessantes Interview. Die Antwort auf die Frage „Deckt sich das mit dem Interesse der Stadt?“ erscheint mir schlüssig, und den Teil:

    „Zum anderen wird durch den Deal eine Hafenallianz zwischen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven blockiert. Eine solche Allianz wäre entscheidend, um eine Gegenposition gegen die dominante Marktmacht der Reeder aufzubauen.“

    Würde ich als Armutzzeugniss der Akteure, u.a. des Poltikbetriebs, ansehen. Die Umweltproblematik kommt ja wie erwähnt auch noch dazu.