Scholz Absage zum Taurus: Munition für Ampel-Streit
Kanzler Scholz bringt mit seiner Begründung zum Nein zum Taurus die Koalitionspartner wieder gegen sich auf.
Genau zwei Jahre ist es her, dass Kanzler Scholz im Februar 2022 kurz nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Zeitenwende ausrief. Seitdem sind Waffenlieferungen im großen Stile aus Deutschland kein Tabu mehr. Zur Zerreißprobe für die Ampel wird nun schweres Kriegsgerät – konkret: der Taurus. Ein panzerbrechender Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern.
Lange zögerte Scholz das Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Am Montag machte der Kanzler in ungewohnter Klarheit offen, warum er gegen eine Taurus-Lieferung ist. Er stehe dafür, dass es „keine Verwicklungen unseres Landes und der militärischen Strukturen unseres Landes in diesen Krieg gibt“, sagte Scholz bei der halböffentlichen dpa-Chefredakteurskonferenz in Berlin.
„Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht verknüpft sein.“ Und das hieße, so Scholz auf Nachfrage, weder in der Ukraine noch in Deutschland.
Beim Taurus, einer Rakete, die vorprogrammiert ihr Ziel trifft, geht es vor allem um die sogenannte Zielsteuerung. Scholz deutete an, dass die französischen und britischen Marschflugkörper, die die Ukraine bereits nutzt, von Frankreich und Großbritannien technisch entsprechend begleitet werden. Das könne „in Deutschland nicht gemacht werden“, so Scholz. Was der Ukraine gegenwärtig vor allem fehle sei „Munition, Munition und Munition.“
Frust bei den Grünen
Rückendeckung bekommt Scholz aus der SPD. Außenpolitiker Nils Schmid sagte der taz, er unterstütze die Linie des Kanzler voll. „Wir sollten die Abwägung des Kanzlers auch in der Koalition respektieren und der Regierung den notwendigen Entscheidungsspielraum geben“, kritisierte Schmid stattdessen die Kritiker:innen und zielte damit vor allem auf Äußerungen aus FDP- und Grünen.
Letztere treffen sich derzeit zu ihrer jährlichen Klausurtagung in Leipzig. Am späten Vormittag trudeln die Abgeordneten im Tagungshotel ein – mit reichlich Frust über den Kanzler. Dass die Meinungen über Taurus-Lieferungen zwischen ihnen und Scholz auseinandergehen, ist zwar für niemandem hier neu.
Mit seiner Begründung hat er die Grünen aber erneut gegen sich aufgebracht. Ahnungs- und Sorglosigkeit hatte Scholz denjenigen vorgeworfen, die die Taurus-Lieferung befürworten. „Beleidigen lassen müssen wir uns nicht“, sagt dazu der Parlamentarische Geschäftsführer Till Steffen.
Fraktionskollege Anton Hofreiter dreht den Vorwurf um: „Die Begründung des Kanzlers ist falsch und gefährlich“, sagt er. Die Ukraine könnte die Raketen nicht ohne Mitwirkung deutscher Soldat*innen einsetzen? Schon das Beispiel Südkorea widerlege das Argument, so Hofreiter. Dorthin werden Taurus-Raketen exportiert und Hilfe von Bundeswehrsoldaten bräuchte das Land für den Betrieb offensichtlich nicht.
Bloß keine Schwäche zeigen
Fachpolitiker*innen der Grünen verweisen auf Gespräche, die sie mit Expert*innen und Bundeswehrpersonal führten. Demnach müsste die Bundeswehr ukrainische Soldat*innen zwar in Deutschland an den Raketen ausbilden und ihnen Datenmaterial zur Verfügung stellen. Danach könne die Ukraine sie aber durchaus selbstständig einsetzen.
Die Sorge davor, dass sich der Ukraine-Krieg ausweiten könnte, bewegt zwar auch die Grünen. Ihre Schlüsse daraus unterscheiden sich aber von denen in der SPD: Putin könnte gerade dann einen Schritt weitergehen, wenn der Westen Schwäche zeige und die Ukraine im Stich lassen.
In der ersten Reihe der Grünen herrscht eigentlich die Erkenntnis, man solle den Kanzler in diesen Fragen nicht öffentlich reizen – sonst mache er erst recht dicht. An diesem Dienstag fällt ihnen das aber schwer. Europa müsse „gemeinsam entschlossen handeln“, sagt Fraktionschefin Britta Haßelmann während der Pressekonferenz zum Klausurauftakt. Dazu gehöre es auch, dass „Waffensysteme wie der Taurus geliefert werden“.
Nur Vizekanzler Robert Habeck, der direkt neben ihr steht, hält sich an das Schweigegelübde. Der Frage nach dem Taurus-Streit weicht er aus. Stattdessen kritisiert er Frankreichs Präsidenten Macron und dessen öffentliche Überlegungen über westliche Bodengruppen in der Ukraine. „Die klare Linie war immer, dass wir nicht Kriegspartei werden in der Ukraine. Das heißt, dass deutsche Soldaten nicht in die Ukraine gehen.“ Diese rote Linie hinterfragt bei den Grünen niemand. Und auch nicht der Kanzler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke