: Fisch und Fritten für den Treibstofftank
Bald soll der Kraftstoff HVO 100 in Deutschland zugelassen werden: Er hat eine sensationelle CO2-Bilanz, weil er aus Schlachtabfällen, Altfett und Klärschlamm gewonnen wird. Bloß reicht das Müllaufkommen hinten und vorn nicht
Von Benno Schirrmeister
Momentan sind es noch vereinzelte Punkte auf der Landkarte, an denen HVO 100 zum Einsatz kommt: Hoya, Cloppenburg, die Rangierloks im Bremer Hafen und alle Linienbusse, die Baddeckenstedt bei Salzgitter bedienen. HVO steht für Hydrotreated Vegetable Oil und bezeichnet einen synthetischen Kraftstoff für Verbrennermotoren. Er kann wie Diesel eingesetzt werden, er verursacht aber, wie Studien bescheinigen, 90 Prozent weniger CO2-Emissionen, außerdem rußt er weniger. Etwas irreführend berichten die meisten Medien von „Sprit aus Frittenfett“. Der NDR beziffert dessen Anteil sogar mit 100 Prozent.
Der wirkliche Mix ist weniger werbeträchtig: Hydrotreated Vegetable Oil wird nicht nur aus Altspeiseöl und flüssigem Kollophonium oder Tallöl, einem Abfallprodukt der Zelluloseherstellung, gewonnen, sondern auch aus Fischfett und vor allem aus Schlachtabfällen. Was nicht schlimm ist: Jenseits der PR gilt ja beim Recycling ohnehin: je unappetitlicher der Sekundärrohstoff, desto besser. Klärschlamm als Ausgangsmaterial für das flüssige Gold wäre also ideal, aber daran wird noch geforscht.
Die Zulassung in Deutschland für HVO hätte schon im März da sein sollen, zusammen mit der des neuen so genannten B10-Diesel, dem zehn Prozent Fettsäuremethylester beigemischt werden. Momentan stehen beide aber gerade beim Bundesrat im Stau: Kommende Woche beugen sich noch der Verkehrs- und der Umweltausschuss der Länderkammer über die Zehnte Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes, kurz 10. BimSchV. Bis dahin aber gibt es halt nur genehmigte Ausnahmen, Pilotprojekte, Versuche.
So hat die Tankstellenkette Classic in Hoya an der Weser eine Art beitragsfreien Club gegründet. „Jeder kann beitreten“, sagt Hartmut Engelke, warnt aber auch: „Nicht jeder Motor kann damit betrieben werden.“ Die Herstellerangaben sind zu beachten. Noch müssen sich die Club-Mitglieder mit einem Transponder-Chip an der Zapfsäule anmelden, um an den etwas teureren, aber klimaverträglicheren Kraftstoff zu kommen.
Weiter im Westen gibt’s seit Herbst eine Schnellbuslinie zwischen Vechta und Cloppenburg, die mit HVO-Diesel betrieben wird. Und seit Anfang des Monats tanken das auch alle zwölf Fahrzeuge, die für die Regionalbus Braunschweig GmbH Baddeckenstedt bedienen, dessen geringe Größe es besonders gut ermögliche, „den Einsatz des neuen Kraftstoffs zu testen“, wie Alexander Siems, der Niederlassungsleiter der Deutschen Bahn-Tochter zum Start des Versuchs erklärt hatte. Dessen Ergebnis steht freilich längst fest: Es funktioniert.
Gerade die Deutsche Bahn (DB) profiliert sich schon länger im Güterverkehr als Treiberin der Entwicklung. Die 800 DB-Cargo Fahrzeuge tanken seit einem Jahr nur noch Recycling-Sprit, das Sylt-Shuttle nach Niebüll sogar schon seit Sommer 2022. Und ohnehin ist er im übrigen Europa schon lange gang und gäbe.
Vorreiter ist Schweden, wo der Kraftstoff bereits rund 40 Prozent des umgesetzten Diesels ausmacht. Zwischen 1990 und 2018 hat das gereicht, den CO2-Reifenabdruck des Lastverkehrs um 15 Prozent zu verbessern. In Deutschland hat sich der Ausstoß von Bussen und Lastern im selben Zeitraum fast veranderthalbfacht, auf 130 Prozent des Ausgangswerts.
„Wir brauchen solche Lösungen“, sagt Hartmut Engelke von der Classic-Tankstelle. Die Autos, die momentan unterwegs sind, werden ja auch weit übers Verbrennerverbot hinaus im Einsatz sein, macht er klar. „Es ist doch sinnvoll, die zu dekarbonisieren.“
Alternative Kraftstoffe sollen es ermöglichen, dass Autos mit Verbrennermotoren klimafreundlich, das heißt weitgehend CO2-frei weiterbetrieben werden können. Es gibt mehrere Alternativen:
Hydrotreated Vegetable Oil (HVO) wird aus pflanzlichen Reststoffen hergestellt – vom alten Speisefett bis zum Schlachtabfall. Geforscht wird auch bereits daran, ob sich Klärschlamm verwenden ließe. Damit ließe sich das stark begrenzte Aufkommen an Ausgangsstoffen erheblich vergrößern.
E-Fuels (Electrofuels) werden mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Energien, Wasser und CO2 aus der Luft hergestellt. Ein Vorteil der E-Fuels ist, dass sie bei ihrer Herstellung der Atmosphäre CO2 entziehen. Allerdings geht bei diesem Prozess auch ein Großteil der eingesetzten Energie verloren.
Kraftstoff aus Anbaubiomasse wie etwa Rapsdiesel. Sie können nicht wesentlich zum Klimaschutz beitragen, weil sie erneuerbare Energie aus der ineffizienten Photosynthese beziehen.
Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom hergestellt wird. Der Wasserstoff kann direkt in Brennstoffzellen verbrannt werden, die wiederum Strom erzeugen; alternativ lässt sich damit auch Methan, also im Prinzip Erdgas herstellen.
Zudem treibt der Recycling-Diesel die Autos wesentlich effizienter, als Batteriestrom: Die benötigen 15 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Den Energieaufwand eines HVO-betriebenen Autos hat der Verfahrenstechnik-Prof Thomas Willner von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften auf 7,5 Kilowattstunden bilanziert, also die Hälfte. Und wenn der Sprit in einem von ihm entwickelten neuartigen Verfahren produziert wird, wäre es sogar möglich, das noch auf 5 KW/h pro 100 Kilometer runterzudimmen.
Dennoch, mit Skepsis betrachtet man die Entwicklung bei der Deutschen Umwelthilfe, gerade mit Blick auf die Diesel-Strategie der Bahn. Man setze sich „im Bereich von Straße und Schiene für die direkte Elektrifizierung ein“, sagt die Fachreferentin Kathrin Anna Frank. Das sei der umweltverträglichste Weg – weil HVO „keine skalierbare Lösung für den Klimaschutz im Verkehr“ darstelle.
Grund: Es gibt viel zu wenig Abfall. „Die Rohstoffmengen reichen keinesfalls aus, um daraus relevante Mengen an Kraftstoff herzustellen“, sagt Kathrin-Anna Frank. „Im besten Fall handelt es sich also um eine winzige Nischenlösung – definitiv nicht um eine skalierbare Klimaschutzoption für den Verkehr.“
Tatsächlich hatte das Umweltbundesamt schon 2019 „das theoretische Potenzial“ von Altfetten und Speiseölen in Deutschland auf gerade einmal 250.000 Tonnen hochgerechnet. Das ist, gemessen am Bedarf des Verkehrs, herzlich wenig –etwa ein Prozent –und es wird zudem „in den allermeisten Fällen bereits in anderen – sinnvolleren – Anwendungen genutzt“, erinnert Kathrin Anna Frank.
Die Chemische und Kosmetik-Industrie lecken sich beispielsweise die Finger nach dem Altfett. Erhebliche Mengen werden bereits jetzt importiert. Würden diese Sekundärrohstoffe „von dort abgezogen, hat das klima- und umweltschädliche Folgeeffekte“, warnt daher Frank. Denn dann müssten wieder verstärkt Palmöl oder fossile Öle eingesetzt werden, was massive Umweltschäden nach sich ziehe. „In den Klimabilanzen für den HVO-Diesel werden diese Effekte komplett ignoriert“, sagt Frank.
Das Altfett ist also erst mal weltweit unterwegs, bevor es in Raffinerien zu Kraftstoff verwandelt wird. „Wir beziehen unsere erneuerbaren Rohstoffe weltweit von Lieferanten in mehr als 60 Ländern“, bestätigt eine Sprecherin des Recycling-Diesel-Weltmarktführers Neste aus Finnland die Importabhängigkeit. Woher genau?
Der Europäische Rechnungshof hat 2016 mal gefordert, für die Herkunft von Importabfall eine Kontrollinstanz einzurichten. Passiert ist das nicht. „Unsere Rohstofflieferanten wählen wir sorgfältig aus, indem wir immer eine Nachhaltigkeitsbewertung durchführen“, heißt es von Neste. „Alle unsere Verträge mit Lieferanten enthalten strenge Bestimmungen zur Nachhaltigkeit.“ Muss man halt dran glauben. Dass der Rohstoff Altfett knapp ist, bestätigt sie: Die für 2030 erwartete weltweite Verfügbarkeit von Fettabfällen gibt auch sie mit gerade einmal 40 Millionen Tonnen an.
Die Zahl stammt aus einem Bericht von McKinsey und dem World Economic Forum von 2020 – und der vermittelt auch eine Vorstellung, was sie bedeutet. Mit diesen 40 Millionen Tonnen Altfett decken ließen sich fünf Prozent des weltweiten Treibstoffbedarfs. Aber nur im Flugverkehr.
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