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Pädagoge über Verschwörungstheoretiker„Argumente-Pingpong bringt nichts“

Die Beratungsstelle „ent-täuscht“ will Menschen helfen, die an Verschwörungstheorien glauben. Koordinator Christian Pfeil über Strategien zum Ausstieg.

Sieht nach einem Fall für die Beratungstelle aus: Demons­trant gegen die Corona-Politik im Februar 2022 in Osnabrück Foto: Lino Mirgeler/dpa
Interview von Anna Lindemann

taz: Glauben immer mehr Menschen an Verschwörungstheorien, Herr Pfeil?

Christian Pfeil: Da streiten sich die Experten. Fest steht: Verschwörungstheorien gab es schon immer. Das Internet befeuert sie aber. Soziale Netzwerke wie Telegram sind ideal, um die Theorien zu verbreiten. Früher gab es die Möglichkeit nicht, sich so schnell zu vernetzen und zu radikalisieren. Und: Es entstehen viel schneller neue Theorien, die Anhänger finden.

An die wenden Sie sich mit Ihrem Aussteiger-Programm. Wie erreichen Sie die?

Wir versuchen, Menschen mit Zweifeln und deren Angehörige anzusprechen. Die können sich dann über unsere Website bei uns melden, auch anonym.

Wann nehmen Menschen solche Angebote an?

Ohne die Zweifel funktioniert es nicht. Wenn jemand zu 100 Prozent von einer Theorie überzeugt ist, können wir auch nichts anbieten, das besser ist. Wir glauben aber: Anhänger von Verschwörungstheorien erleben in ihrem Umfeld oft Ablehnung, sie werden belächelt und es kommt zu Konflikten. Da können wir ansetzen.

Wie können Sie Menschen denn überzeugen, auszusteigen?

Das wichtigste ist für uns, dass wir den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Mit Anhängern von Verschwörungstheorien wird oft von oben herab umgegangen. Das führt aber in der Regel nicht dazu, dass sie sich tatsächlich von ihrem Glauben abwenden. Wir setzen deshalb auf Beziehungsarbeit und bieten uns erst mal als Gesprächspartner an.

Das heißt, Sie versuchen nicht, die Menschen mit Fakten zu überzeugen?

Nein, diesen Ansatz beobachten wir oft bei Angehörigen. Wir nennen das Argumente-Pingpong, das in der Regel zu nichts führt. Als gläubiger Mensch gehe ich ja davon aus, dass meine Fakten wahr sind und alles andere eben Teil der Verschwörung. Aber wir versuchen in der Beratung Angstgefühle abzubauen und fragen vielleicht auch: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass tatsächlich eine mächtige Gruppe die Weltmacht übernehmen will?

Im Interview: Christian Pfeil

49, ist Diplom-Pädagoge und koordiniert das niedersächsische Aussteigerprogramm „ent-täuscht“ für An­hän­ge­r:in­nen von Verschwörungstheorien. Davor hat er an der Uni Oldenburg zu Rechtsextremismus geforscht.

Warum glauben die Menschen, die zu Ihnen kommen, überhaupt daran?

Das hat viel mit Ängsten und Kontrollverlust zu tun. Während der Corona-Pandemie zum Beispiel wussten viele Leute nicht, wie sie damit umgehen sollen. Das hat dann ein Misstrauen in Machtstrukturen ausgelöst.

Wie kann so ein Beratungstreffen ablaufen?

Wir arbeiten mobil und treffen uns für die Beratung an öffentlichen Orten, an denen sich die Klienten wohl fühlen. Das kann ein Park, eine Bibliothek oder ein Café sein. Dann geht es erstmals darum, sich kennenzulernen und zu schauen, ob die Person sich überhaupt drauf einlassen will. Nur wer sich freiwillig beraten lässt, ist dafür auch empfänglich. Dann müssen wir schauen, warum die Personen einem überhaupt gegenüber sitzen. Es kann sein, dass es Konflikte mit dem Umfeld sind oder dass die Person merkt, die Theorien machen nicht so richtig Sinn.

Es gibt kein festes Programm?

Die Beratungsstelle

Drei So­zi­al­päd­ago­g:in­nen beraten bei „ent-täuscht“. Das Angebot ist kostenlos und richtet sich an An­hän­ge­r:in­nen von Verschwörungstheorien und deren Angehörige.

Die Beratungen finden an neutralen Orten statt und werden in Süd- und Nordwestniedersachsen angeboten.

Finanziert wird das Programm vom Bundesfamilienministerium und dem Niedersächsischen Justizministerium.

Mehr Infos finden sich unter www.ent-taeuscht.de

Nein, die Unterstützung wird dann individuell angepasst. Wir arbeiten prinzipiell an solchen Dingen wie Medienkompetenz und sprechen darüber, wie man Widersprüche besser aushalten kann. Aber das kann bei jeder Person unterschiedlich aussehen und unterschiedlich lange dauern. Wenn ein Klient das braucht, treffen wir uns auch zwanzig Mal mit ihm.

Kann es nach einer Beratung auch Rückfälle geben?

Das will ich nicht verneinen, auch nach einem Ausstieg können Menschen wieder Kontrollverluste erleben und für Verschwörungstheorien anschlussfähig werden. Aber unser Ziel ist es, Klienten und Klientinnen resilienter zu machen.

Wie kann man Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r:in­nen in seinem Umfeld unterstützen?

Soweit es möglich ist, hilft es, mit den Menschen im Kontakt zu bleiben. Dabei sollten Angehörige aber immer auf ihre eigenen Grenzen achten. Und ganz wichtig: Nicht auf das Argumente-Pingpong einlassen. Das bringt nichts.

Was ist denn zur Zeit die beliebteste Theorie?

Das wechselt immer wieder. Während Corona war es der Impfstoff, der uns töten sollte. Jetzt drehen sich viele Theorien um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die meisten Theorien verbindet, dass sie einen antisemitischen, rassistischen Kern haben.

Liegt da die große Gefahr von Verschwörungstheorien?

Auf jeden Fall. Anhänger von Verschwörungstheorien verlieren oft den Glauben an den Verfassungsstaat und haben ein hohes Risiko, sich zu radikalisieren. Wir haben bereits erlebt, dass Menschen, die sich radikalisiert haben, auch Gewalttaten begehen: 2021 hat ein Mann den Verkäufer einer Tankstelle erschossen, nachdem dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Wenn wir das belächeln, hat auch die Demokratie ein Problem.

Was für Maßnahmen braucht es noch, um Verschwörungstheorien in der Gesellschaft abzubauen?

Das wichtigste ist Präventionsarbeit. Wir müssen ganz dringend an der Medienkompetenz auch von älteren Menschen arbeiten. Viele wissen gar nicht, wie sich seriöse Quellen ausmachen lassen. Und wir müssen wieder mehr kommunizieren, ohne gleich einen Konflikt loszutreten.

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5 Kommentare

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  • Als gläubiger Mensch gehe ich ja davon aus, dass meine Fakten wahr sind und alles andere eben Teil der Verschwörung. Aber wir versuchen in der Beratung Angstgefühle abzubauen und fragen vielleicht auch: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass tatsächlich eine mächtige Gruppe die Weltmacht übernehmen will?



    ---



    Genau das ist auch mMn. der "Springende Punkt!"



    Wenn ein Mensch solche "Gedanken" fest in sein Welt & Lebensbild eingebaut hat, greifen "widersprechende Fakten" nicht eine "Meinung" die kann jeder leicht wechseln, sondern die Lebens-Grundlage der Person, des gesamten Menschen an!



    Das trifft mWn. nicht nur auf "Verschwörungsglauben" zu, sondern auf alle Glaubensrichtungen zu!



    Immer wenn "Glauben" & nicht nachvolziehbare, belegbare Fakten im Spiel sind, Esoterik, Religion, auch Verschwörungen, uvam. ist es sehr KOMPLEX diese Menschen wieder auf den "Gedankenweg" der Fakten, Kritik, usw. mit bedenkt zurückzuführen!



    Gleich ob da "Geister, Aliens, Illuminaten, oder sonst nicht belegbare Ansätze sind!



    Fazit: Ist mMn. ein Arbeitsfeld für Psychologen, Therapeuten, (das bitte nicht abwertend verstehen) als für Fakten orientierte Gesprächspartner!



    .



    Ps.Der Ansatz "Die da Oben!" & die entsprechende Wahl GEGEN eigene Interessen, sind mMn. der 1. Ansatz, der dann wie o.a. Enden kann!

  • Wer wissen möchte, warum es Verschwörungstheorien gibt:



    youtu.be/MvVQ1RK_kkQ?feature=shared

  • Es gibt eine schöne Sendung von und mit Sascha Lobo zum Thema "Radikalisierung", worin anschaulich ein paar Mechanismen erklärt werden. Kann man ansehen!

    Ansonsten hilf - wen wundert es - BILDUNG.



    Ich meine damit nicht Ausbildung oder Konzernspezialwissen oder Auswendiglernen! Sondern dass man ein paar Dinge über die Welt und über Menschlichkeit versteht, sich selbst helfen kann, argumentieren kann, wissenschafltich arbeiten kann und Spaß an der Gesellschaft hat.

    Diese Art Bildung ist natürlich nicht gerne gesehen, unsere Industrie braucht Futter. Und damit geht es immer schneller gen Abgrund.

    Ein Verbot von Werbetargeting (personalisierte Werbung) würde auch SEHR helfen, Radikalisierungen zu verlangsamen! Denn dann wären die Meinungsfilter und -vorschläge für die Werbeindustrie nicht mehr interessant und wir dürften uns unsere Inhalte wieder selbst suchen!



    Notfalls geht auch ein Handyverbot, zumindest für Leute unter 16. Analog zum beliebten Getränk "Bier". Wobei Handy natürlich sehr viel schädlicher ist als Bier, aber OK.

  • Ich würde mich wirklich freuen, wenn Journalisten und gerne auch Pädagogen von der Verwendung des Begriffs "Theorie" absähen.



    Die Definition lautet so:



    "Eine Theorie ist eine gut belegte Erklärung, die sich auf eine Reihe von Beweisen stützt, die durch Beobachtung und Experimente wiederholt bestätigt worden sind. In der Wissenschaft ist eine Theorie die höchste Stufe des wissenschaftlichen Verständnisses und stellt eine umfassende Erklärung für einen Aspekt der Natur dar, die durch eine Vielzahl von Beweisen gestützt wird."



    Nichts davon lässt sich auf die Verschwörungserzählungen übertragen, die aus reinen Erfindungen oder losen Assoziationen bestehen, weder kongruent noch konsistent, sondern schlicht und einfach Blödsinn sind.

    • @Stechpalme:

      Stimme voll zu. Ich verwende den Begriff des Verschwörungsmythos. Der passt soweit am besten und verwässert nicht den Begriff der Theorie.