Verkehrspolitik in Neukölln: Der Siegeszug der Poller
Gute Verkehrspolitik soll die Lebensqualität für Anwohnende verbessern. Reichen dafür Verbote und Absperrungen?
A ls ich kürzlich in einer Berliner Tageszeitung las, die „Bürgerbeteiligung“ (sic!) am neuen Verkehrskonzept für den Kiez in Berlin-Neukölln, in dem ich wohne, sei abgeschlossen und das neue Konzept werde nun umgesetzt, musste ich erst mal ein bisschen lachen: Diese „Bürgerbeteiligung“ war mir komplett entgangen! Doch wohl hoffentlich nicht wirklich deshalb, weil ich mich als Bürgerin betrachte?
Nein, dass in Neukölln tatsächlich nur als männlich gelesene Menschen an Verkehrspolitik beteiligt werden, kann ich mir dann doch nicht vorstellen. Auch wenn die CDU bei den letzten Bezirkswahlen in Neukölln stets die Stimmenmehrheit geholt hat: Der Bezirksstadtrat für Verkehr ist immer noch grün!
Es muss dieser „Bürgerbeteiligung“ wohl irgendein anderes Auswahlverfahren zugrunde gelegen haben. Für mich jedenfalls ist es ein Rätsel, wann und vor allem wie die betroffenen Bürger:innen zu diesem Beteiligungsverfahren eingeladen worden sind. Ich lebe seit fast 17 Jahren in diesem Kiez, habe 16 davon als Lokaljournalistin gearbeitet und dabei wirklich viele Informationen aus allen möglichen Quellen und Kanälen wahrgenommen. Ehrlich: Wenn ich nichts von diesem Bürgerbeteiligungsverfahren mitgekriegt habe, muss da irgendwas schiefgegangen sein bei der Kommunikation.
Ich hätte mich jedenfalls sehr gerne daran beteiligt: Ich bin nämlich mit dem neuen Verkehrskonzept nicht so zufrieden, genauer gesagt: damit, wie es umgesetzt wurde.
In meinem Kiez stehen jetzt ganz viele rot-weiß gestreifte Poller und sperren Straßen für Autos ab. Eine Durchfahrt in den – von der es abgrenzenden Hauptstraße aus gesehen – hinteren Teil meines Stadtviertels ist zur Einbahnstraße erklärt geworden – und wer da einmal mit dem Auto hineingefahren ist, kommt wegen der vielen neuen Poller auch durch andere Straßen nicht mehr zurück. Er muss dann ebenso wie alle autofahrenden Leute, die in diesem hinteren Kiezteil wohnen, einen fast drei Kilometer langen Umweg durch eine bereits verkehrsberuhigte Straße nehmen, in der die Anwohnenden deshalb zur Hauptverkehrszeit nun stets einen langen Stau vor der Haustür haben. Und dann noch über zwei große Hauptstraßen fahren, um wieder zurück in sein Wohngebiet zu kommen und dort parken zu können.
Die Automaten, an denen man dafür neuerdings Parkscheine kaufen muss, standen eines Tages plötzlich da und waren in Betrieb – ohne dass es vorher irgendeine Information darüber gegeben hätte, dass man als Anwohner*in eine auf Dauer preiswertere und ein Jahr lang gültige Parkplakette kaufen kann oder wo und wie. Das Verkehrsaufkommen im Kiez ist seither tatsächlich geringer geworden, aber für anwohnende Autofahrer:innen sind diese Maßnahmen eine Last.
Ich fahre selbst nur sehr selten Auto, mich ärgert das also eigentlich persönlich nicht: Ich gehe zu Fuß. Was mich aber ärgert, ist das Autoritäre in dieser Verkehrspolitik. Da soll doch eigentlich die Lebens- und Aufenthaltsqualität für die Anwohnenden verbessert werden – oder habe ich da etwas falsch verstanden? Aber das einzige Mittel, mit dem dieses Ziel dann durchgesetzt wird, sind neue Verbotsschilder und Absperrpoller.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dagegen keine einzige positive Maßnahme: Nirgendwo wurden zum Beispiel Fahrbahnen schmaler und Gehwege dafür breiter gemacht, nirgendwo ein paar Parkplätze entfernt und dort Bäume gepflanzt oder gar Bänke aufgestellt. Das neue Verkehrskonzept besteht nur aus Verboten. Ich mag solche Politik nicht: Ich fühle mich da als Bürgerin nicht gesehen, sondern nur bevormundet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!
Human Rights Watch zum Krieg in Gaza
Die zweite Zwangsvertreibung