Iranische Regisseurin über Zensur: „Sie wollen, dass wir vergessen“
Wer private Filme sammelt, rettet die Geschichten der Menschen. Ein Gespräch mit der iranischen Regisseurin Farahnaz Sharifi über „My Stolen Planet“.
Die iranische Regisseurin Farahnaz Sharifi bringt sich mit dem Filmen bei den Demonstrationen von „Woman Life Freedom“ in Gefahr. Aber sie hat sich auch mit einem Archiv aus gesammelten Homemovies aus der Zeit vor der Revolution einen privaten Fluchtpunkt in ihrer Teheraner Wohnung geschaffen. Dort arbeitete sie an einem Film über ihr Material. Als sie für ein Stipendium in Deutschland ist, werden mehrere Freundinnen von ihr festgenommen, Sharifis Wohnung wird durchsucht und das Archiv beschlagnahmt. Um all das geht es in ihrem höchst sehenswerten persönlichen Filmessay „My Stolen Planet“.
taz: Frau Sharifi, vielen Dank für Ihren großartigen Film. Doch zuerst eine persönliche Frage. Wie Sie in Ihrem Film erzählen, wurde aus einem geplanten einjährigen Arbeitsaufenthalt ein dauerhaftes Zwangsexil. Wie geht es Ihnen jetzt, auch mit dem verlorenen Archiv?
Farahnaz Sharifi: Das ist die schwierigste Frage. Ich kam hierher, um meinen Film zu vollenden. Ich kannte meinen deutschen Produzenten schon aus dem Iran und wollte mich in Hamburg an einem friedlichen Ort auf die Arbeit fokussieren. Es ist nicht einfach, wenn man das nicht selbst entschieden hat. Ich liebe Hamburg. Aber es ist und bleibt kompliziert. Es war nicht meine Wahl. Aber ich finde meinen Weg, damit zu leben.
Was ist mit Ihren Freundinnen und Filmemacherinnen, die damals festgenommen wurden?
Die Filmemacherin wurde 1979 in Teheran geboren, wo sie auch Film studierte und ihre Karriere begann, die sie auf internationalen Filmfestivals fortführte. Sie lebt derzeit in Hamburg im Exil. Mit den Protesten der Frauen im Iran ist sie verbunden. Ihre Filmessays gewannen internationale Preise. Bekannt wurden etwa die Filme „Revolutionary Memories of Bahman Who Loved Leila“ (2013) und „Missing“ (2016), der von Vermisstenmeldungen in iranischen Zeitungen ausgeht.
„My Stolen Planet“ auf der Berlinale:
23.2. 18:45 Cubix 524.2. 15:30 Colosseum 125.2. 11:00 Cubix 5
Ihnen wurden die Pässe abgenommen. Die Filmemacherinnen geraten immer mehr unter Kontrolle.
Kommen wir zu Ihrem Film. Können Sie mir erzählen, wie es anfing?
Ich arbeite jetzt seit etwa fünfzehn Jahren mit Archivmaterial. Vor fünf Jahren habe ich online Leyla (eine Exil-Iranerin in den USA, Anm. d. Red.) kennengelernt und dachte, unsere Korrespondenz eignet sich als Grundlage für eine Narration. Nach drei Jahren hatte ich einen Rohschnitt, mit dem ich nach Deutschland kam. Dann passierten diese Dinge im Iran, und ich habe noch einmal von Null begonnen. Die Grundidee blieb, doch das Archiv bekam einen neuen Stellenwert.
Was bedeutet dieses Archiv für Sie?
Ich glaube, alles, was wir im Iran tun, kann ein politischer Akt sein. Denn wenn sie dein privates Leben kontrollieren, dann kann auch dieses private Leben politisch oder ein Akt gegen die Zensur sein. Für mich hat es damit zu tun, Geschichte zu retten. Denn sie wollen, dass wir vergessen, was wir waren und was wir früher hatten. Wenn du die Bilder dieser Vergangenheit sammelst, rettest du diese Geschichten und Menschen können studieren, was wir waren und wo wir hingehen.
Woher bekamen sie die Home Movies für ihr Archiv?
In Teheran gibt es überall Second-Hand-Läden, die Kameras verkaufen, alte Fotos und eben auch Filme. Für ein anderes Projekt hatte ich Kontakt mit einem Händler und bat ihn, mich anzurufen, wenn er 8-mm-Filme bekommt. Einige Jahre lang habe ich Material angekauft und gesammelt und dann von einer Freundin einen Scanner ausgeliehen und begonnen, es zu digitalisieren.
Damals wusste ich nicht, was ich damit anfangen würde, ich wusste nur, dass ich das Material liebe. Eines Tages habe ich den Händler gefragt, woher die Filme kommen. Und er sagte mir, dass die meisten von Menschen sind, die ihre Wohnungen und Häuser in Teheran verkauft haben. Sie sind nicht mehr dort.
Auf auffällig vielen dieser Filme wird getanzt. Liegt das nur an Ihrer Auswahl?
Allgemein ist Tanzen sehr wichtig im Iran. Und das ist es auch oft auf den Filmen. Ein Grund ist, dass die meisten Menschen filmen, wenn sie glücklich sind: wenn sie Geburtstag oder Hochzeit feiern oder einfach zusammenkommen. Viele solcher Szenen habe ich gefunden. Und als ich mir meine eigenen Videos von meiner Familie und meinen Freunden angesehen habe, bemerkte ich, dass auch dabei eine Menge Tanzvideos sind.
Es ist auch eine Art des Widerstands, weil es uns nicht erlaubt ist, draußen zu tanzen. Aber in jeder Wohnung wird es getan. Da fühlen wir uns frei, an unseren privaten Fluchtorten
Dann gibt es die Filme im Netz, in denen vom Regime ermordete Menschen tanzen.
Während der „Women Life Freedom“-Bewegung wurde das ikonisch, weil – wie ich im Film erzähle – die Menschen Tanzvideos ihrer Liebsten veröffentlichen, die auf der Straße erschossen wurden. Das war für mich eine sehr inspirierende Idee, dass eine Mutter ein Tanzvideo ihres getöteten Sohnes ins Netz stellt. Ich würde es genauso machen. Ich finde das sehr schön, sehr stark. Diese Filme preisen das Leben.
Der Film schlägt auch ganz bewusst eine Brücke von der Revolution 1979 bis heute.
Viele außerhalb wissen wenig von der Geschichte des Iran und denken, dass „Women Life Freedom“ erst seit zwei Jahren existiert. Aber diese Bewegung hat einen viel tieferen Hintergrund. Ich glaube, dass der erste Tag des Widerstands genau am Tag meines Geburtstags begann, eine große Demonstration gegen den aufgezwungenen Hijab am 8. März 1979. All die Jahre danach haben Frauen gekämpft. So war es mir wichtig, im Film eine Brücke über die 45 Jahre bis heute zu schlagen.
Stimmt es wirklich, dass sie genau an diesem Internationalen Frauentag 1979 geboren wurden?
Ja, das stimmt, ich danke meinen Eltern (lacht).
In Ihrem Film gibt es eine Stelle, an der Sie und Ihre Freundinnen nach einer Demonstration darüber reden, ob es Hoffnung gibt oder nicht. Was denken Sie dazu?
Beides gleichzeitig. Sie wissen, was mir passiert ist. Ich bin zugleich hoffnungsvoll und hoffnungslos. Aber generell denke ich, es ist eine hoffnungsvolle Periode. Wenn wir die Dinge weiter treiben, werden wir weiterkommen. Aber wir brauchen Zeit. Es ist hoffnungsvoll, weil die Frauen jetzt in ihrem persönlichen Alltag kämpfen, wenn sie ohne Hijab auf die Straße gehen. Das ist ein Kampf, bei dem sie ihr Leben riskieren. Man kann sie verhaften, man kann sie bestrafen, man kann sie töten.
Wie ist das außerhalb der großen Städte?
Sie versuchen, unser Leben zu kontrollieren. Aber „Women Life Freedom“ schafft Bewusstsein über die Situation von Frauen in vielen unterschiedlichen Teilen Irans, auch in kleinen Städten und Dörfern. Ich denke, wir sehen Resultate dieser Bewegung. Ich lese manchmal, dass Leute auf Instagram oder Twitter schreiben: Für meinen Vater ist es jetzt okay, wenn ich ohne Hijab ausgehe oder vor den anderen Männern in der Familie keinen Hijab trage.
Was, würden Sie sagen, ist die Rolle der Dokumentarfilmerinnen derzeit in Iran?
Die Filmemacherinnen im Iran haben eine Menge Probleme, wenn sie einen Film ohne Zensur über die reale Situation im Land machen. Denn das ist nicht erlaubt. Aber ich denke, sie sind mutig genug, das trotzdem zu tun, wie die anderen Frauen auch, die ihr Leben riskieren, wenn sie ohne Hijab auf die Straße gehen. Diese Situation zu zeigen, ist ein sehr wichtiger Aspekt unseres Kinos, nicht nur für Dokumentarfilmer. Es ist eine Herausforderung. Ich denke, das Resultat wird in den nächsten Jahren sichtbar und sehr interessant sein. Vielleicht können wir eine neue Welle des iranischen Kinos sehen.
Aber diese Filme werden dann nicht im Iran zu sehen sein?
Nein. Aber das hatten wir jetzt für viele Jahre, das ist nicht neu. Zumindest nicht offiziell. Im Untergrund ja, in informellen Spielstätten, im Freundeskreis oder in Familien. Manche veröffentlichen ihre Filme auf Social Media oder auf Telegram, um von iranischen Menschen gesehen zu werden. Ich hoffe, auch mein Film kann die Menschen im Iran motivieren.
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