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75 Jahre Max-Planck-GesellschaftErben der Nazi-Forscher

Die 1948 in Göttingen gegründete Max-Planck-Gesellschaft ging aus der NS-nahen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervor. Das hat sie spät aufgearbeitet.

Gründung der Max-Planck-Gesellschaft mit Niedersachsens Kulturminister Adolf Grimme (Mitte l.) und Professor Otto Hahn (Mitte r.) Foto: dpa/Max-Planck-Gesellschaft

Osnabrück taz | „Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“: Größer kann ein Name in der Welt der Forschung kaum klingen. Rund 24.000 Mitarbeiter. Bilanzen, in denen Milliardensummen stehen. Dutzende Nobelpreisträger hervorgebracht. Mehr als 15.000 Publikationen pro Jahr. Dutzende Institute und Forschungseinrichtungen, von der Quantenoptik bis zur Psycholinguistik, von Hamburg bis Heidelberg, von Italien bis in die USA. Weltweite Kooperationen, von Australien bis Südamerika.

Die 1948 in Göttingen gegründete Gesellschaft (MPG), Hauptsitz München, Hauptgeldgeber Bund und Länder, steht für Grundlagenforschung, von den Natur- über die Geistes- bis zu den Sozialwissenschaften. 2023 hat sie ihr 75-jähriges Bestehen gefeiert. Was man dazu wissen muss: Ihr Vorgänger, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (KWG), stammt von 1911. Das Problem: Die KWG hat die Rassenideologie des NS-Staats unterstützt, war im Dritten Reich an der Waffenentwicklung beteiligt, war Profiteur des Massenmords der NS-„Euthanasie“-Aktion T4.

Dass die MPG in Paragraf 1 ihrer Satzung sagt, sie setze die „Tradition“ der KWG fort, kann also irritieren. Aber sie meint damit „die Kontinuität mit den Organisationsprinzipien der KWG“, erklärt MPG-Sprecherin Christina Beck der taz: Dazu gehöre „das Harnack-Prinzip, die interdisziplinäre Methodik, außerhalb des etablierten Kanons zu forschen, der Auftrag der außeruniversitären Forschungsförderung, die ja von der KWG erfunden und erstmals umfassend praktiziert wurde in Strukturen, die auch die heutige MPG hat“.

Adolf von Harnack, der erste Präsident der KWG, hatte eine Forschungsorganisation begründet, die Institute rund um Spitzenforscher entstehen ließ; die MPG praktiziert sie bis heute. Zur Tradition gehöre zudem der „verantwortungsvolle Umgang mit der Geschichte“ durch die Erinnerung an die „Verfehlungen“ der KWG im Nationalsozialismus und die „Mitschuld der KWG an den NS-Verbrechen“, sagt Beck. Bis in die späten 1990er hatte es gedauert, bis eine Historikerkommission eingesetzt wurde, um die Verflechtung der KWG mit dem NS-Staat zu untersuchen.

Giftgas für den Ersten Weltkrieg

Gern zählt die MPG die Nobelpreisträger der KWG zu ihren eigenen dazu. Auch das kann irritieren. Unter ihnen ist der Chemiker Fritz Haber, der im Ersten Weltkrieg für Deutschland nicht zuletzt Giftgas entwickelte. Die MPG verschweigt das zwar nicht und hat heute Ethikregeln für Forschungsfreiheit und -risiken, für Dual Use, aber ein Fritz-Haber-Institut unterhält es gleichwohl.

Die Arbeitsplätze der MPG-WissenschaftlerInnen reichen von der Tiefsee bis in den Dschungel. Und die MPG kommuniziert ihre Arbeit gern auch populär. Mit ihren Podcasts „Ach, Mensch“ und „Das Forschungsquartett“ können auch Nicht-Wissenschaftler etwas anfangen.

Auch in jüngerer Vergangenheit hat die MPG allerdings Anlass zur Kritik gegeben. Denn sie arbeitet mit Tierversuchen. Unvergessen der Fall des Max-Planck-Instituts Tübingen für biologische Kybernetik, in dem 2014 ein als Pfleger eingeschleuster Tierrechtler schockierende Videos von Experimenten an Affen machte.

„Ethisches Dilemma“ Tierversuche

Man stehe hier vor einem „ethischen Dilemma“, für das es „keine befriedigende Lösung“ gehe, räumt die MPG ein: Einerseits wolle man neues Wissen schaffen, um Krankheiten zu heilen, anderseits das Leben der Tiere schützen.

Das White Paper „Tierversuche in der Max-Planck-Gesellschaft“ erweitert daher das 3-R- zum 4-R-Prinzip: Replacement, Reduction, Refinement, Responsibility. „An etwas mehr als 20 der insgesamt 84 Max-Planck-Institute wird tierexperimentelle Forschung betrieben“, sagt Beck. „Forschung an Primaten ist nicht mehr dabei.“

Lernen geht also auch außerhalb der Wissenschaft. „Die Vorfälle in Tübingen“, sagt Beck, hätten die MPG „zumindest darin bestärkt, dass es hilfreich ist, ein solches Grundsatzpapier zu haben“.

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