Die Tram M10 steht immer öfter im Stau: Lang, langsam, am langsamsten

Die M10 legt eine lange Strecke zurück. Nicht immer hat sie ein eigenes Gleisbett. Das bringt Verspätungen ein. Ein Video macht sich darüber lustig.

Eine Straßenbahn der Linie M10 fährt auf der Warschauer Brücke in Friedrichshain zum Endhaltepunkt

Idealfall: auf der Warschauer Brücke (hier am Endhaltepunkt) fährt die M10 auf eigenem Gleisbett – aber nicht auf ganzer Strecke Foto: dpa/Wolfgang Kumm

BERLIN taz | Carsten Meyer muss man sich als entspannten Menschen vorstellen. Er lebt im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg und hat die Zeit, sich eines Themas anzunehmen, das immer mehr Menschen ärgert, nervt und erbost, die entlang der Strecke wohnen, die die Straßenbahnlinie M10 nimmt. Doch Meyer bleibt erstaunlich entspannt dabei, wie man den kurzen Filmen, die in seinem Youtube-Kanal zu sehen sind, entnehmen kann.

Die M10 verbindet den S- und U-Bahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain mit dem U-Bahnhof Turmstraße in Moabit und braucht dafür laut Fahrplan 43 Minuten.

Das klappt eher selten. Denn die M10 verbindet gleich mehrere Bezirke, die Strecke wurde mit den Jahren immer länger, die Reise führt am Frankfurter Tor, an Eberswalder und Bernauer Straße, am Naturkundemuseum, Hauptbahnhof und Nordbahnhof vorbei. Und die Linie soll die nächsten Jahr ja noch länger werden: Bis Tegel soll die M10 ab 2030 führen. Der Senat hat dafür Anfang Januar die nächsten Planungsschritte beschlossen. Doch die brauchen Zeit: sage und schreibe 7 Jahre (für die dann fertigen 7 Kilometer).

Das alles kann ja irgendwie nicht gut gehen. Genau das bildet Carsten Meyer mit seinen Videos ab. Vor ein paar Wochen schon teilte er zum Beispiel einen sechs Minuten langen Film, der in Echtzeit das Dilemma ironisch überhöht auf den Punkt bringt. „M10-Meditation – tiefenentspannt auf Achse“ lautet der Titel.

Die Kamera verfolgt eine Straßenbahn der Linie M10, die sich, aus Richtung Nordbahnhof kommend, die letzten 100 Meter zur Haltestelle U-Bahnhof Eberswalder Straße – ja, man muss es so sagen – vorkämpft.

Im Schneckentempo

Die Tram kriecht im Schneckentempo voran, immer nur ein paar Meter kann sie fahren, mehr sind nicht drin: Denn sie fährt auf der Straße, also nicht in einem eigenen Gleisbett, konkurriert also mit den vielen Autos – und die bremsen die M10 eben aus.

Das geht so mehrere Minuten lang, bis die Tram die Kreuzung an der Schönhauser Allee/Eberswalder Straße überqueren kann. Und solche Kreuzungen gibt es ja auch woanders. Die Ampelvorrangschaltungen zugunsten von Pkw und Lkw tun das Übrige zur Entschleunigung der Tram.

Das Stop-and-go-Tempo hat Meyer auf eine schöne Idee gebracht: Es hat das Video mit sanften wie monotonen tibetanischen Mönchsgesängen unterlegt; eine männliche Stimme lädt dazu ein, diese kleine unverhoffte Auszeit für eine Entspannungsübung zu nutzen.

Was für eine grandiose Idee. Es bringt ja auch nichts, sich aufzuregen, wenn man festsitzt. Wir sollen den Ärger einfach wegatmen! Ganz im Sinne eines autogenen Trainings soll man sich der Enge in der Tram bewusst werden, sich auf sich selbst und den Atem konzentrieren, egal ob stehend oder sitzend. „Du bist an einem sicheren Ort und kannst jetzt nicht raus, du kannst nichts tun außer entspannen …“

„Nutzen Sie die nächste Bahn“

Allerdings ist das leichter gesagt als getan, wenn man regelmäßig den öffentlichen Personennahverkehr benutzen muss – so wie der Autor. In diesem Falle die M10 am Montagmorgen viertel vor neun. Die Haltestelle an der Straßmannstraße ist schon voller Leute, das bedeutet: Da kam schon länger als geplant keine Tram, der Profi erkennt das sofort. Als die Bahn endlich eintrudelt, ist sie erfreulicherweise leer (wie das?). Alle wollen einsteigen, da springt die Anzeige um auf „Fahrschule“.

Alle drängen in die nächste Tram, die zwei Minuten später in die Haltestelle einfährt. Folgerichtig ist es recht voll in der Bahn, aber noch erträglich, man hat schon Schlimmeres erlebt. „Nutzen Sie bitte auch die nächste Bahn“, ertönt da plötzlich die Stimme der Fahrerin beim Einsteigen, „die ist eine Minute hinter mir.“ Nützt aber nichts. Alle gehen auf Nummer sicher und wollen mit. Tja, das Vertrauen in die BVG ist erschüttert.

Beim nächsten Stopp wiederholt sich das Ganze. „Steigen Sie doch nicht alle ein!“, heißt es mit Verweis auf die angeblich gleich folgende Bahn. Haut aber wieder nicht hin, alle wollen rein in den Zug. „Das ist ja, als ob ich gegen eine Wand rede“, echauffiert sich die Fahrerin diesmal, „wieso machen Sie das?“, zetert sie und wiederholt ihre „Bitte“ auch an der Haltestelle Frankfurter Tor. „Fahren Sie doch nicht alle bei mir mit … Aber es ist ja egal, was ich sage“, wird der Ton ärgerlicher.

Derweil müssen Fahrgäste schmunzeln, andere zucken bloß mit den Schultern, aber die meisten kriegen eh nichts mit, sie tragen Kopfhörer. Beim nächsten Halt bleibt die Fahrerin still, sie hat wohl aufgegeben. Oder kurz eine Atemübung zur Entspannung eingelegt.

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