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Reform des Familienrechts„Kinder dürfen kein Puffer sein“

Ein neues Familienrecht soll Frauen und Kinder besser vor häuslicher Gewalt schützen. Für Expertin Ricarda Herbrand geht die Reform nicht weit genug.

Frauen und Kinder sollen besser vor häuslicher Gewalt geschützt werden Foto: skazovaalla273/imago
Anne Fromm
Interview von Anne Fromm

taz: Frau Herbrand, wird sich das Leben von Familien in Deutschland verbessern, wenn das Familienrecht so reformiert wird, wie das Justizministerium es skizziert hat?

Ricarda Herbrand: Teilweise. Die Pläne enthalten sehr moderne Ansätze, so sollen Regenbogenfamilien mehr Rechte bekommen. Helfen kann ihnen auch das „kleine Sorgerecht“. Damit sollen neben den rechtlichen Eltern bis zu zwei weitere Personen Sorgerechtsbefugnisse bekommen können. Das könnte auch für manche Alleinerziehende sinnvoll sein, wenn beispielsweise eine Freundin der Mutter das Kind mitbetreuen kann, und zwar rechtssicher. Enttäuschend sind allerdings die Pläne zum Schutz vor häuslicher Gewalt.

Im Interview: Ricarda Herbrand

Ricarda Herbrand arbeitet bei der Stiftung Alltagsheld:innen, die sich für die Rechte von Alleinerziehenden einsetzt. Sie leitet die Hotline Familienrecht der Stiftung.

Warum?

Deutschland hat 2017 die Istanbul-Konvention ratifiziert und sich damit völkerrechtlich verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen. Das passiert aber bisher nicht ausreichend. Die Reformpläne knüpfen da jetzt an: Fa­mi­li­en­rich­te­r*in­nen sollen in die Pflicht genommen werden, Anhaltspunkte für häusliche Gewalt systematisch zu ermitteln. Gut ist auch, dass ein gemeinsames Sorgerecht nicht mehr in Betracht kommen soll, wenn es Gewalt gegenüber dem Kind oder der Mutter gibt.

Warum sind Sie trotzdem unzufrieden?

In den Reformplänen fehlt eine Definition von Gewalt. Das klingt banal, ist aber wichtig. Der Großteil von häuslicher Gewalt passiert nicht körperlich, sondern psychisch. Das meint Demütigung, Beleidigung, Gaslighting, und kann schlimme Folgen haben. Die Opfer werden zerrüttet. Die Istanbul-Konvention benennt deswegen explizit vier Formen von Gewalt gegen Frauen, die der Staat bekämpfen soll: körperliche, sexuelle, psychische und finanzielle. Die Reform des Justizministeriums zielt nur auf das veraltete Verständnis als körperliche Gewalt.

Psychische Gewalt ist für Gerichte aber auch schwerer zu ermitteln als ein blaues Auge. Was bräuchte es, um das zu erleichtern?

Man muss bei den Rich­te­r*in­nen ansetzen. In der Beratung unserer Rechtshotline für Alleinerziehende hören wir immer wieder, dass Betroffene von Partnerschaftsgewalt vor Gericht nicht ernst genommen werden. Ihnen wird nicht zugehört, nicht geglaubt. Viele Rich­te­r*in­nen wissen nicht, wie sich häusliche Gewalt auswirkt. Sie kennen die Täterstrategien nicht, können das Verhalten im Gerichtssaal nicht richtig einordnen.

Die Ampel-Regierung hatte deswegen im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass Rich­te­r*in­nen einen Anspruch auf Fortbildungen zu dem Thema bekommen sollen. Der steht im Eckpunktepapier nun nicht drin.

Das ist fatal. Dabei bräuchten nicht nur die Rich­te­r*in­nen Fortbildungen zum Thema, sondern alle, die mit Gewaltbetroffenen arbeiten. Auch die Sachverständigen, Verfahrensbeistände, Jugendamtsmitarbeiter*innen.

Die Reform will auch das Umgangs- und Sorgerecht im Trennungsfall neu regeln. Das Wechselmodell soll gesetzlich verankert werden, bei dem ein Kind abwechselnd bei beiden Elternteilen lebt. Was halten Sie davon?

Rund fünf Prozent der getrennt lebenden Familien in Deutschland praktizieren heute das Wechselmodell. Jetzt soll es als eine unter vielen Möglichkeiten in das Gesetz kommen. Für Familien, die sich nach der Trennung gut einigen können – und das sind ja zum Glück die meisten –, kann das Wechselmodell eine Möglichkeit sein, benötigt aber einige Voraussetzungen. Bei Trennungspaaren, die im Konflikt miteinander sind, ist ein gerichtlich angeordnetes Wechselmodell keine gute Idee.

Warum nicht?

Kinder sollten nicht als Puffer den Konflikt zwischen Erwachsenen befrieden müssen. Es bringt sie in Loyalitätskonflikte, wenn sie sich hälftig aufteilen müssen, damit es für die Eltern gerecht ist. Auch für Eltern wird das Wechselmodell nicht zum Frieden führen, nur weil sie ihr Kind paritätisch betreuen. In Fällen von Gewalt sollte das Wechselmodell zwingend ausgeschlossen werden. Hier braucht es zuerst Schutz für die Gewaltopfer, Kinder wie Mütter.

Das klingt, als sähen Sie für Trennungsfamilien keinen Fortschritt durch die Reform?

Für Familien, die die Betreuung der Kinder ohne große Konflikte regeln können, bringt die Reform Erleichterung. Bei streitigen Fällen kommt es darauf an, wie das Gesetz genau aussehen wird. Kritisch sehen wir auch die Neuregelung zur einseitigen Sorgeerklärung von unverheirateten Vätern. Wenn die Mutter nicht widerspricht, erhält der Partner direkt das Sorgerecht. Schon heute erklären über 90 Prozent der Elternpaare die gemeinsame Sorge. Bei den übrigen gibt es meist gute Gründe dagegen, zum Beispiel Gewaltverhalten. Diese Mütter werden nun noch mehr unter Druck gesetzt.

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4 Kommentare

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  • Als Vater, der seinen Kindern das Wechselmodell „erkämpfen“ musste, finde ich den Kommentar schwer erträglich. Ja, es gibt gewalttätige Ehemänner (und Frauen!) und das alles. Es gibt auch super harmonische Trennungen. Und dann gibt es alles dazwischen.

    Bei uns gab es keine physische Gewalt, jedoch psychische Verletzungen auf beiden Seiten. Das war weder super konfliktbehaftet, noch voll harmonisch.

    In diesem Falle sieht man sich als Vater (und Mutter) einer Normalitätsvorstellung Residenzmodell gegenüber. Quasi die zweite Retraditionalisierung (das erste mal beim Kinder bekommen). An dieser Normailtätsvorstellung muss im Sinne der Kinder dringend gerüttelt werden, um einen selbstverständlichen dauerhaften Umgang beider Eltern zu ermöglichen.

    Ich denke, gerade in dieser unsicheren Phase ist die Normalitätsvorstellung der Gesellschaft oft Richtschnur für die Eltern. Was derzeit zu einem disengagement der Väter führt, weil Wochenedpapas halt normal sind.

    Unsere Kinder haben die Trennung stabil überstanden, allerdings war das ein Kampf für mich, der viel Kraft kostete. Ein bisschen gegenüber der Ex, viel mehr aber gegen verkrustete Vorstellungen der Institutionen (Berechnung Unterhalt, Wohnsitz, etc.)

  • Schön war zu lesen dass die meisten Familien sich gut einigen können. Das hätte ich so nicht erwartet bei den Geschichten die ich in meinem Umfeld wahrnehme.



    Allerdings frage ich mich, ob es in dem Artikel um das Kindeswohl geht oder um Stereotypen zu bestätigen. Wenn es ums Kindeswohl geht sollte es egal sein von welchem Geschlecht die häusliche Gewalt ausgeht. 20 Prozent sind männlichen Opfern. Ich würde sagen, dass ist keine vernachlässigbare Größe. Aus der Sozialpsychologie ist bekannt das Männer eher zu physischer Gewalt tendieren und Frauen zu psychischer Gewalt. Aber beide Geschlechter können beides nur in unterschiedlicher Verteilung gesamt gesehen.



    Also, wenn wir wirklich was für Kinder tuen wollen, sollten wir schauen was der Mensch macht nicht welches Geschlecht er hat. Es bringt nämlich keinem Kind was bei der gewalttätigen Mutter zu leben nur weil die Gesellschaft den Stereotype im Kopf hat der Mann ist ein Schläger und Frauen seien absolut friedvolle Wesen.

    Vllt mag der Vorwurf über whatabouttism kommen, aber leider finden sich recht selten Artikel zu häuslicher Gewalt an Männern und nahezu alle Artikel in verschiedenen Medien die ich zu dem hiesigen Thema gelesen habe erwähnen nur die Frauen. Weshalb ich sogar nachgeschaut habe, ob der Gesetzesentwurf ebenfalls nur weibliche Opfer beachtet. Aber dieser ist zum Glück Geschlechtsoffen gehalten.

    • @Hitchhiker:

      Sie haben recht, dieFormulierung war stark von den Erfahrungen (und dadurch bestärkten Biases) geprägt.



      Auch dagegen würde die erste Forderung, dass alle Mitarbeiter besser geschult werden, verschiedene Formen der Gewalt zu erkennen, helfen.

      • @Herma Huhn:

        Vllt wäre eine Schulung in der es um den Unterschied geht zwischen eigener "erfahrener" Realität und gesamtgesellschaflicher "Realität" sinnvoll auch für Journalisten.



        Die eigenen Erfahrungen sind gut um uns zurecht zu finden in unserem sozialen Umfeld, aber sie sind nicht gut für gesamtgesellschafliches Vorankommen.

        Wir haben das Problem ja in vielen Bereichen, in denen die eigene Realität oder was man hört die Grundlage bildet für unsere Meinung. Ob das jetzt der faule Bürgergeldbezieher ist, der kriminell Mensch mit Migrationshintergrund, schlechte Lehrer, das abnehmende Sicherheitsgefühl, die zu geringe Strafe vor Gericht, die bösen Polizisten, die faule Jugend und so weiter... Natürlich gibt es das alles, aber nur weil man jemanden kennt oder das so ein paar mal gehört hat, heißt es nicht dass die ganze Gruppe oder alle so sind. Daher wäre es manchmal sinnvoll sich vllt erst mit Statistiken vertraut zu machen bevor man etwas verändern möchte und stellt vllt fest, da gibt es zwar ein Problem und man sollte was dagegen tun aber es hat nicht das Ausmaß um alle in der Gruppe zu drangsalieren.



        Das würde auch weniger spalten, den Menschen mehr helfen und uns als Gesellschaft eher weiterbringen als Populismus und gefühlte Realität.

        Häufig bleibt das negative oder das unsere Meinung bestätigende eher hängen als die "Wirklichkeit". Wie wäre es ansonsten zu erklären, dass man den ganzen Tag mit "nichtdeutschen" Zusammenarbeit oder bedient wird und so weiter und abends heim kommt und beschwert sich über die faulen Migranten, weil man eine Geschichte gehört hat.



        Ob mein Gedankengang so sinnvoll ist müssen andere entscheiden, aber ich würde mir wünschen das insbesondere Journalisten und Politiker mit ihrer Reichweite sich darüber Gedanken machen, da sie maßgeblich den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen und so gutes wie schlechtes bewirken können.