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Urbane Mitte am GleisdreieckPolitik darf doch mitbestimmen

Die Pläne für Bürohochhäuser am Gleisdreieckspark dürfen verändert werden. Ein Gutachten sieht keine Entschädigung für den Investor.

Wie es am Gleisdreieck aussehen würde Illustration: 2024 Urbane Mitte am Gleisdreieck

Berlin taz | Die Stimmung in Friedrichshain-Kreuzberg ist ein­deu­tig:­ Kaum jemand hält das Bauvorhaben Urbane Mitte, das vorsieht, 7 Bürohochhäuser auf einem schmalen Streifen nördlich und südlich des U-Bahnhofs Gleisdreieck zu errichten, für wünschenswert. Dennoch blieb das Projekt unangetastet, seitdem 2005 ein städtebaulicher Rahmenvertrag mit dem damaligen Investor Vivico geschlossen wurde, der ihm zusicherte, 119.000 Quadratmeter Gewerbefläche zu errichten. Es war eine Zeit, als Wohnungsnot, Home Office, selbst Klimaschutz noch Fremdworte in Berlin waren.

Doch dem Bezirk schienen die Hände gebunden. 100 bis 150 Millionen Euro Schadenersatz stünden dem Investor bei Änderungen an den Projektplänen zu, so hieß es von Seiten des Senats. Kein Handlungsspielraum also für die Abgeordneten der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), die zuständig für die Erstellung eines Bebauungsplans sind.

Doch das hat sich nun geändert: Ein von der BVV beantragtes und vom Bezirksamt in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten der Kanzlei GGSC kommt zu dem Ergebnis, dass zwar der Rahmenvertrag Gültigkeit besitzt, jedoch der darin vereinbarte Entschädigungsmechanismus unwirksam ist. Dieser verstoße „gegen das Verbot der unzulässigen Planbindung“.

Zumindest was die Baumasse angeht, also die Zahl und Größe der geplanten Neubauten, dürfen die Abgeordneten von den einst getroffenen Vereinbarungen abweichen. Möglich sei ein „Interessenausgleich“ zwischen den öffentlichen und privaten Belangen. Die Bedarfe des Bezirks sollen damit gleichberechtigt neben den Interessen des aktuellen luxemburgischen Investors stehen – „unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“.

In einem ersten, im vergangenen Sommer veröffentlichten Gutachten der Anwohnerinitiative AG Gleisdreieck und der Naturfreunde Berlin, das den Bezirk unter Handlungszwang setzte, hatte es geheißen, der Rahmenvertrag stelle eine „unzulässige Vorabbindung“ für die BVV dar und sei daher „unwirksam“. Ein Gegengutachten der Eigentümer widersprach dieser Auffassung.

Was macht der Bezirk?

Im Bezirk führt das neuerliche Gutachten nun zu Betriebsamkeit. Bereits am Mittwoch wollen die regierenden Grünen, wohl unterstützt von Linken und SPD, einen Dringlichkeitsantrag in die BVV einbringen, dessen Inhalt am Dienstag noch nicht feststand. Laut der Fraktionsvorsitzenden Sarah Jermutus sei es wichtig, „dass die BVV deutlich sagt, was sie möchte und wie der weitere Weg ist“. Der bisherige Plan jedenfalls hätte Nachbesserungsbedarf in den Punkten „Baumasse, Nutzung und Versiegelung“. Der Auftrag der BVV sei es, so Jermutus, dem Bezirksamt „Hinweise und einen Auftrag“ für das weitere Handeln zu geben.

Vom Bezirksamt hat Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) angekündigt, die „Begründung des Bebauungsplanentwurfs“ für das südliche Baufeld zu überarbeiten, ergo, sie den Vorgaben aus dem Gutachten anzupassen, ohne aber den B-Plan selbst zu verändern. In der Vergangenheit hatte Schmidt das Projekt verteidigt und dabei auch mit den „erheblichen Entschädigungen“ argumentiert. Jermutus sagt dagegen der taz, es gehe nicht alleine um „eine alleinige Anpassung des Begründungstexts“.

Wie ein „rosa Elefant“ im Raum stehe jedoch die Gefahr, dass letztlich der Senat das Vorhaben an sich zieht und im Sinne des Investors umsetzen lässt. So sagt es die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger. Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt hatte zuletzt im Sommer 2022 das Projekt in seiner bisherigen Planung verteidigt und festgehalten, „dass kein Erfordernis zur Änderung des Städtebaulichen Rahmenvertrages“ bestehe.

Die Bezirks-Grüne Jermutus aber sagt: „Wir können nicht aus Sorge vor dem Senat nicht handeln.“ Gegenüber den Engagierten der Bürgerinitiative sei man „in der Pflicht“ zu versuchen, die Pläne zu ändern.

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