Eurovision Song Contest: Israel-Ausschluss beim ESC?

Schwedische Musikstars wollen Israel vom ESC ausschließen. Nicht das erste Mal, dass das vermeintlich unpolitische Event Schauplatz von Politik wird.

Die Sängerin Netta am Abend ihres Seges beim ESC - sie lacht, ihre Anhänger feiern sie, Konfetti fliegt und eine iraelische Flagge wird hochgehalten

Die Sängerin Netta Barzilai, die für Israel am ESC teilgenommen hat, am Abend ihres Sieges in Lissabon 2018 Foto: Vyacheslav Prokofyev/TASS/imago

Das war zu erwarten: dass sich in den 37 Ländern, die Mitte Mai im schwedischen Mal­mö am 68. Eurovision Song Contest teilnehmen, starke Vorbehalte wegen der Teilnahme Israels am TV-Popwettbewerb entwickeln würden.

Schließlich hatte es schon 2019, als der Contest nach Netta Barzilais Eurovisionstriumph im Jahr zuvor in Lissabon, in Tel Aviv ausgetragen werden sollte, massive Kampagnen gegen dieses nahöstliche Land gegeben, meist von dem Bündnis Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) initiiert und gefordert. Ende 2023 meldeten sich nun Künstler in Island, Irland und Finnland mit ihrem Ansinnen, dass Israels ESC-Teilhabe kritisch gesehen werde.

Nun hat sich in Schweden selbst, voriges Jahr Sieger mit Loreen und ihrem Lied „Tattoo“, eine über tausendköpfige Künstlerinnenschar in einem offenen Brief für den Ausschluss Israels ausgesprochen.

Die Begründung, auch nicht überraschend: Israel sei wegen seines Krieges gegen die Palästinenser in Gaza nicht akzeptabel und müsse vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, schließlich sei auch Russland teilzunehmen nicht erlaubt, wegen des Ukrainekrieges. Im Schriftlichen dieser Initiative gibt es, wie in den meisten propalästinensischen Statements seit dem 7. Oktober, keinen Hinweis auf den Anlass der militärischen Einsätze im Gazastreifen durch die Armee: die Hamas-Massaker an eben jenem ersten Samstag im Oktober vorigen Jahres. Dass Russland die Ukraine am 22. Februar 2022 anlasslos zu bombardieren begann, bleibt als Unterschied ausgespart.

Stars der schwedischen Musikszene

In der Riege der Unterzeichnenden befinden sich einige größere Stars der schwedischen Musikszene, Robyn, Mauro Scocco oder Idde Schultz. Am prominentesten aber ragt die Opernsängerin Malena Ernman heraus, selbst 2009 Teilnehmerin am ESC in Moskau. Dort allerdings unter „ferner sangen“ auf dem 21. Platz endend. Sie ist die Mutter von Greta Thunberg und entscheidende Ghostwriterin hinter der 2019 lancierten Familienbiografie der Klimaaktivistin, „Szenen aus dem Herzen“. Sie selbst definiert, wie neulich wieder in Leipzig bei einer Palästinademo, ihr Engagement antiisraelisch.

Das schwedische Fernsehen SVT äußerte zum Ausschlusswunsch der Künstlerinnen*: „Es ist die EBU, die entscheidet, wer an dem Wettbewerb teilnimmt, und als Gastgeberland hält sich SVT an die Entscheidung der EBU“, so Åsa Barsness vom SVT. Heißt, dass die EBU, die in Genf ansässige Zentrale der öffentlich-rechtlichen Sender der Eurovisionszone, allein entscheidet, wer mitmachen kann und wer nicht.

Weiter schrieb sie: „Das menschliche Leid in diesem äußerst komplexen Konflikt ist schrecklich. Niemandem kann es gleichgültig sein, wie es im Gazastreifen aussieht, oder wie die Hamas in Israel angreift. Auch wir sind besorgt über diese Entwicklungen. Wir verstehen und respektieren, dass sich Gruppen Gehör verschaffen wollen.“

Das heißt: SVT wird die Boykott- und Ausschlusswünsche in puncto Israel ignorieren – immerhin erwähnt das Statement das Massaker vom 7. Oktober korrekt. Die EBU hingegen verweist auf den unpolitischen Charakter des ESC selbst, bei diesem handele es sich um Entertainment, nicht um ein politisches Goodwill-Plenum. Das ist zwar richtig und war es in der Selbstbeschreibung der Show immer.

Beispiele für politischen ESC

Da der ESC aber keine amerikanische Grammy-Gala ist, sondern wie eine Europameisterschaft des Pop inszeniert wird, an der Länder, nicht nationsneutrale Künstlerinnen* teilnehmen, wird ein Eurovisionswettbewerb immer auch in politische Symboliken verstrickt – und wurde es immer.

Beispiele? 1975 in Stockholm beim ESC nahm erstmals die Türkei teil – worauf Nachbar Griechenland auf eine Teilnahme verzichtete; im Jahr darauf kam Griechenland wieder ins Spiel zurück, woraufhin die Türkei beleidigt zurückzog. 1980 war erstmals ein arabischsprachiges Land dabei, Marokko – weil Israel in jenem Jahr aus Kostengründen keine Teilnahme wollte.

Im Jahr darauf war das maghrebinische Land wieder außen vor, selbstgewählt, weil Israels TV-Sender wieder Geld hatte, wissend, dass eine ESC-Partizipation im gesamteurovisionären Konzert positiv auffällt.

Georgien verzichtete auf den ESC-Ausflug nach Moskau, weil es mit seinem offenkundig putinkritischen Act nicht antreten sollte. Aber immer wieder, in neuerer Zeit, ist es Israel, das den Zorn von eigentlich Pop-fernen Menschen beim ESC weckt.

Vorwurf des Imperialismus

Nebenbei: Israels ESC-Act vor 23 Jahren erntete Wut im eigenen Land, weil er eine palästinensische Fahne während des Auftritts schwang. Ping Pong, so der Name der Band, wurde in Israel damals aber nicht wegen der politischen Geste kritisiert, sondern weil sie ein so schlechtes Lied ablieferten, das fast keine Punkte bekam.

Kurios: Im Jahr 1975 war der ESC erstmals in Schweden zu Gast, im Jahr zuvor hatte Abba mit „Waterloo“ gewonnen. Das führte rund um den Austragungsort Stockholm zu buchstäblichen Hassattacken wider den ESC. Abba war das glühend verachtete Pop-Objekt, das für Imperialismus, unwahre Kultur und westlich-amerikanische Verderbnis stand.

Alternativ war ein Fest anberaumt – mit sogenannter Weltmusik, unter anderem mit Darbietungen aus Chile, Sami-Folklore aus dem nördlichen Skandinavien und Folk aus den Niederlanden. Demonstrantinnen* aus dem schwedischen Kulturestablishment, mit ihnen sollen es 5.000 Menschen gewesen sein, forderten bei einem Umzug durch Stockholm, den ESC zu bannen – unter ihnen etliche, die eben noch von Kulturtrips aus Asien zurückgekommen waren, Hof machend bei Kambodschas blutigem Schlächter Pol Pot, ausgerüstet mit Fantasien, dass Chinas Mao Wege in eine bessere Welt bahnen kann.

Schwedens Kulturleute hatten auch schon damals ein recht eigenwilliges Verhältnis zu populärer Kunst: Besser, man lenkt das Volk von Opiaten aus der Pop­industrie ab.

P.S.: Falls demnächst in Island der in (Ost-)Jerusalem lebende Künstler Bashar Murad gewinnen sollte – er alliiert seit Langem mit einer Punkband von dort –, soll er sich überlegt haben, auf einen Start in Malmö zu verzichten.

Klingt mutig, denn: Warum sollte er auf diese Performance vor 150 Millionen Zuschauern verzichten? His chance in a lifetime …

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