Berlins SPD-Chef Saleh: „Gespart werden muss trotzdem“

SPD-Landeschef Raed Saleh über die anstehenden Rekordkürzungen im gerade erst verabschiedeten Doppelhaushalt – und den Koalitionspartner CDU.

SPD-Chef Raed Saleh beim taz-Interview in seinem Büro im Abgeordnetenhaus

„Was wollen Sie jetzt von mir hören?“ – Raed Saleh beantwortet Fragen in seinem Büro im Abgeordnetenhaus Foto: Doro Zinn

taz: Herr Saleh, erst verkündet die CDU, dass Berlin dringend eine Magnetschwebebahn braucht, jetzt sollen die Tempo-30-Abschnitte auf den Hauptstraßen großflächig abgeräumt werden. Die SPD erfährt von alldem aus der Zeitung. Nerven Sie die unabgesprochenen Vorstöße des Koalitionspartners?

Raed Saleh: Ach, wissen Sie, wenn man Sachen in der Öffentlichkeit kommuniziert, wo man nicht weiß, ob das am Ende auch kommt, dann tut man sich selbst keinen Gefallen, um es mal vorsichtig zu formulieren.

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner kann sich seine Pläne für ein Ende der „bevormundenden Erziehungsmaßnahme“ Tempo 30 also klemmen?

Flächendeckendes Tempo 50 auf Hauptstraßen ist nicht zeitgemäß. Und das wird es mit uns auch nicht geben. Wir wollen zwar einen gut funktionierenden Verkehrsfluss. Auf der anderen Seite brauchen wir aber eine Verkehrspolitik, die die Lebenswirklichkeit der Berlinerinnen und Berliner abbildet, vor allem die der schwächsten Verkehrsteilnehmer, eine Verkehrspolitik der Entschleunigung. Dazu gehört, dass geprüft werden muss, ob wir nicht tatsächlich viel mehr Tempo-30-Abschnitte einführen. Ich glaube, da wollte jemand ein neues Thema setzen.

Sie spielen an auf die Beziehung des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner mit Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, beide CDU. Weshalb hüllen Sie sich da eigentlich so sehr in Schweigen?

Was wollen Sie von mir jetzt hören?

Ich bitte Sie, das liegt doch auf der Hand. Was Sie zum Thema Interessenkonflikte zu sagen haben zum Beispiel? Zum Thema Compliance?

Berlins SPD-Chef, 46, geboren in einem Dorf bei Nablus im Westjordanland, wuchs unter beengten Verhältnissen in der Spandauer Großsiedlung Heerstraße Nord auf. Mit 18 wurde er Mitglied der SPD, mit 29 zog er ins Abgeordnetenhaus ein. Seit 2011 steht Saleh an der Spitze der Berliner SPD-Fraktion, Ende 2020 übernahm er gemeinsam mit Franziska Giffey den Landesvorsitz der Partei. Der Spandauer gilt mit Abstand als mächtigster Mann der Hauptstadt-SPD.

Gut, dann hören Sie von mir, dass es mir wichtig ist, dass die Professionalität gewahrt bleibt. Und Sie hören von mir, dass Berlin ganz große Aufgaben hat, die anstehen, und da brauchen wir die volle Konzentration auf die Herausforderungen, auf die wichtigen Themen. Das sind die Themen der funktionierenden Stadt, dass die Menschen pünktlich Bürgeramtstermine bekommen, das sind all die Themen rund um die Sicherheit, das sind die Themen einer guten Bildung und einer bezahlbaren Stadt.

Warum verweigern Sie sich der Debatte?

Wir haben gehört, wie der Regierende Transparenz sicherstellen will, aber auch Professionalität. Daran werden wir ihn messen. Aber ich rede jetzt nicht mit Ihnen über Beziehungen. Ich will, dass der Senat funktioniert.

Anders als in der Beziehung: Aktuell hat man nicht das Gefühl, dass der Senat so perfekt funktioniert. Zuletzt hatte es in der Kiste gerappelt, als CDU-Finanzsenator Stefan Evers alle Senatsverwaltungen aufgefordert hat, bis Februar zu sagen, wo sie 5,9 Prozent ihres Etats einsparen können.

Ganz im Ernst, die Koalition läuft gut. Sie ist verlässlich, arbeitet auch die wichtigen Themen in der Stadt ab. Und ich möchte, dass das auch so bleibt, und erwarte, dass nach wie vor Verlässlichkeit und Sachlichkeit und Stabilität garantiert bleiben.

Bleiben wir bei Evers’ 5,9-Prozent-Aufforderung. Vor allem SPD-Innensenatorin Iris Spranger hatte lautstark gemeutert, Sie waren ihr zur Seite gesprungen. Hört der Koalitionsfrieden beim Geld auf?

Ich finde, dass wir darauf achten müssen, dass wir bei den Einsparungen eine Priorisierung vornehmen und nicht pauschal sagen, alle Häuser müssen 5,9 Prozent einsparen. Das ist vielleicht der leichtere Weg, aber nicht unbedingt der bessere.

Nun, wir sprechen von 1,75 Milliarden Euro, die die Verwaltungen allein in diesem Jahr einsparen sollen. Sie selbst haben gesagt, dass alle ihren Beitrag leisten müssen. Und das gilt jetzt beim SPD-geführten Innenressort nicht mehr?

Ich verstehe ja, dass der Finanzsenator einen Brief rausschickt, irgendwie geht das schon gut, 5,9 Prozent über alle Häuser, egal wie viel Geld dort jeweils gebunden ist. Tatsächlich erwarte ich aber, dass hier etwas mehr Zeit investiert wird. Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Man muss doch die Steuerschätzung im Mai abwarten, um sagen zu können, wie die Gesamthaushaltslage aussieht. Daher ist das auch kein Streit, wie immer gern erzählt wird, sondern ein nett gemeinter Hinweis aus dem Parlament.

Der Finanzsenator freut sich sicher über den Hinweis.

Haben Sie die Aussagen meines CDU-Kollegen Stettner gesehen? Der unterstützt das voll und ganz. Also, ich erwarte, dass der Senat sich damit beschäftigt, welche Herausforderungen es jetzt gibt. Welche größeren Projekte kann man zum Beispiel schieben? Gibt es Sachen, auf die man verzichten kann? Wir haben ja die Schwerpunktsetzungen, die sind definiert im Koalitionsvertrag.

Ist es nicht absurd, dass Sie als Legislative erst einen Haushalt verabschieden, in dem Pauschalen Minderausgaben, also Einsparungen, in Rekordhöhe festgeschrieben sind, und dann wie im Fall der Innenverwaltung sagen: Kommt überhaupt nicht infrage?

Das ist doch ganz normal, wenn man Haushalte aufstellt. Wir haben einen Haushalt verabschiedet und hier Schwerpunkte gesetzt. Trotzdem muss der Senat jetzt überprüfen, wo man am Ende aus diesem Haushalt wieder Luft rauslassen kann. Und es ist auch normal, dass der Finanzsenator sagt, jetzt löst mal 5,9 Prozent Pauschale Minderausgaben auf. Ebenso normal ist es, dass es einen politischen Diskurs darüber gibt.

Was soll das bringen, wenn Sie die politische Diskussion über die 1,75 Milliarden nach hinten schieben?

Ich als Sozialdemokrat sage: Leute, schaut euch erst die Steuerschätzung an, welche Auswirkungen die hat, nach oben oder nach unten. Man weiß ja nicht, was am Ende für eine Zahl rauskommt. Und wenn die Zahl da ist, schaut euch bitte an, welches Haus wie viel einsparen kann. Ich möchte nur eines nicht: dass es einen sozialen Kahlschlag gibt.

Was machen Sie, wenn CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner sagt: Ist mir egal, ob das eine Herzensangelegenheit der SPD ist, ich streiche in meinem Haus die mit enormen Kosten verbundene Einführung des 29-Euro-Tickets AB?

Das versuche ich, Ihnen gerade zu erklären. Am Ende sind wir eine Koalition, und es gibt einen Koalitionsvertrag, eine gemeinsame Grundlage. Und natürlich gelten die Sachen, die hier verabredet sind. Ich glaube, dass das 29-Euro-Ticket dankend angenommen werden wird, und sehe nicht die Notwendigkeit, dass man anfängt, an wichtigen Vorhaben für die Berlinerinnen und Berliner zu rütteln. Man muss sehen, welche Projekte tatsächlich entbehrlich sind.

Es hieß die ganze Zeit: In der Krise spart man nicht. Die Krisen dauern an. Nun muss trotzdem gespart werden.

Ja, gespart werden muss trotzdem. Der Haushalt basiert ja noch auf dem Entwurf des alten Senats. Eingeflossen sind die Ideen der neuen Regierung und natürlich auch die gezielten politischen Schwerpunktsetzungen der Fraktionen von SPD und CDU. Nun muss der Senat prüfen: Welche Gelder wurden zum Beispiel jahrelang nicht abgerufen, welche Mittel sind jahrelang nicht kritisch hinterfragt worden?

Als da wären?

Netter Versuch. Ich hätte Vorschläge, aber erst einmal erwarte ich die Vorschläge des Senats.

Noch ein Wort zur Berliner SPD. Nach der Ankündigung von Franziska Giffey, im Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zur Verfügung zu stehen, sind Forderungen laut geworden, auch Sie müssten Ihren Hut nehmen. Auch hier haben Sie sich bislang um eine klare Aussage gedrückt. Warum?

Wir haben gerade die Aufgabe, uns auf die Teilwiederholung der Bundestagswahl zu konzentrieren, und darauf konzentriere ich mich voll und ganz, wie auch auf die Vorbereitung der Europawahl.

Ich weiß. Das haben Sie schon vor ein paar Tagen erklärt, beantwortet aber die Frage nicht. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass sie weiter Landeschef bleiben wollen.

Ich bin Sozialdemokrat mit Herzblut und sehe meine Verantwortung darin, dass wir uns jetzt voll und ganz auf die Aufgaben konzentrieren, die gerade anstehen, und den Wahlkampf.

Warum sagen Sie nicht einfach, dass Sie wieder antreten?

Ich bin gern Landesvorsitzender und konzentriere mich jetzt gerade voll und ganz auf den Wahlkampf.

Ja, das erwähnten Sie. Und solange Wahlkampf ist, legen Sie die Hände in den Schoß? Ach, kommen Sie!

Natürlich führe ich intern Gespräche, wie wir die Breite der Partei im Landesvorstand abbilden können, wie man die Partei eint. Aber die führe ich eben intern und nicht mit Ihnen.

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