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Geheimdienst auf Jugendarbeit angesetztKlima der Einschüchterung

Landesjugendamt lässt interkulturelle Jugendverbände beim Verfassungsschutz überprüfen. Betroffene vermuten dahinter „schnöden Rassismus“.

Verdächtig? Auch die Deutsch-Lateinamerikanische Tanzgruppe MALCA gehört zur Arbeitsgemeinschaft Interkultureller Jugendverbände Foto: MALCA.EV

Hamburg taz | Das Hamburger Landesjugendamt hat sich beim Verfassungsschutz über die Arbeitsgemeinschaft Interkultureller Jugendverbände (AGIJ) erkundigt. Im Juli fragte die Amtsleitung den Inlandsgeheimdienst, ob über die 38 Mitgliedsverbände der AGIJ „Informationen“ vorlägen, die „Anlass zu einer kritischen Einschätzung“ gäben. Das ein Jugendamt das tut, gilt als bundesweit einmalig.

Die AGIJ zeigte sich erschüttert: Man sei bewusst zurückhaltend mit dem Rassismus-Vorwurf, heißt es in einem Schreiben. Doch hinter den Aktivitäten des Landesjugendamtes vermutet die migrantische Jugendorganisation „schnöden Rassismus“.

Wie aus Mails hervorgeht, die mit geschwärzten Namen bei „Frag den Staat“ zu lesen sind, schrieb die Jugendamtsleiterin am 7. Juli an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), sie sei für die finanzielle Förderung von Jugendverbänden zuständig und wolle „angesichts der Diversität der Verbände“, sich „gerne einmal austauschen“ ob das LfV Hinweise habe, die „für unsere Arbeit von Bedeutung sind“.

Die Antwort kam am gleichen Abend. Da gebe es „ganz bestimmt Punkte für einen Austausch“, man melde sich „zeitnah“. Gut drei Wochen später schickt die Amtsleiterin dem LfV den Link zur den Mitgliedsverbänden der AGIJ: Mit „Blick auf ein geplantes Projekt zur Stärkung migrantischer Selbstorganisationen“ wolle sie wissen, ob dort Informationen zu einzelnen Gruppen vorliegen, die „auch unterhalb der Beobachtung zumindest Anlass zu einer kritischen Einschätzung geben“.

Unschöne Gespräche

Die AGIJ existiert schon seit gut 30 Jahren, hat ihr Büro in Altona und vertritt etwa 5.000 Jugendliche aus 75 Ländern – von China über Spanien und die Türkei bis nach Lateinamerika. Der Verband ist staatlich anerkannt und möchte die Integration von Jugendlichen fördern, „unter Wahrung und Pflege der kulturellen Herkunft, auf Basis der Hilfe zur Selbsthilfe“, schreibt der Vorstand. Ziel sei ein friedliches Zusammenleben und „Respekt der anderen Kulturen“.

Doch seit diesem Sommer hat es gleich mehrere unschöne Gespräche mit der Leitung des Landesjugendamts gegeben. „Wir wurden von der Behörde sehr unter Druck gesetzt“, berichtet Geschäftsführerin Melanie Martinez.

Zum einen sollte die AGJI schriftlich zusichern, dass ein Mitgliedsverein, der im Jahresbericht des LfV in Verbindung mit der Gruppe „Roter Aufbau“ erwähnt wird, von ihr kein Geld bekommt. Das sei aber unsinnig. „Wir dürfen sowieso kein Geld an Dritte weitergeben“, sagt Martinez. „Wenn, dann nur mit Erlaubnis der Sozialbehörde.“

Zudem habe ein Behördenvertreter die Vermutung geäußert, dass die AGIJ und ihre Verbände vom „geheim“ arbeitenden LfV beobachtet werden könnten – zu lesen in einer Gesprächsnotiz vom 20. Oktober.

Sozialstaatsrätin Petra Lotzkat will an einer Sitzung des Landesjugendrings teilnehmen, um die Sorgen zu klären

Bis zuletzt sei unklar gewesen, ob die AGIJ 2024 ihre Zuwendung für Miete und Gehälter bekommt. Martinez: „Erst Mitte Januar hatten wir die Bescheide. So spät wie noch nie.“

Dass es überhaupt diese Anfrage beim Verfassungsschutz gab, wurde im November durch eine Anfrage der Linksfraktion publik. In der Antwort begründet die Sozialbehörde ihr Interesse damit, dass laut dem Verfassungsschutzbericht von 2022 ein als „extremistisch“ eingestufter Träger Verbindungen zu einem Jugendverband habe.

Da habe das Landesjugendamt „ausnahmsweise“ aus „Sorge um die Reputation“ Kontakt zum Verfassungsschutz gesucht. Das Ergebnis habe „erwartungsgemäß bestätigt“, dass keine weiteren Risiken bestünden. Der Wortlaut jener Kontaktaufnahme wurde erst kurz vor Weihnachten übers Transparenzportal publik.

„Erst aus dieser Korrespondenz wird die Chronologie ersichtlich“, sagt die Linken-Abgeordnete Olga Fritzsche. Nämlich dass die Landesjugendamtsleitung zunächst ohne Anlass beim LfV gefragt habe, ob gegen die migrantischen Verbände etwas vorliege. „Für so ein Vorgehen gibt es keine Grundlage“, sagt sie und verweist auf eine Senatsauskunft aus 2020. Behörden dürfen ohne „ausreichenden Verdacht über einen Rechtsverstoß“ keine Bewertung der Sicherheitsbehörden einholen.

Mitarbeiter irregeführt

Zudem geht aus einer Telefonnotiz hervor, dass das LfV schon am 1. August mitteilte, dass es „keine weiteren Informationen zu den angeführten Trägern gibt“. Doch statt den Vorgang auf sich beruhen zu lassen, soll die Jugendamtsleiterin laut Fritzsche am 30. August ihre Mitarbeitenden über die LfV-Anfrage informiert haben – und zwar „ohne offenzulegen, dass diese bereits am 7. 7. erfolgte und ihr seit dem 1. 8. die Antwort vorlag, dass keine Erkenntnisse vorlägen“.

Dadurch seien die Jugendamtsmitarbeitenden verunsichert worden, sagt Fritzsche. Es sei ein „Klima der Einschüchterung“ im Umgang der Jugendamtsmitarbeiter mit den Verbänden entstanden, schreibt sie in einer neuen Anfrage. Die Bürgerschaftsabgeordnete will wissen, weshalb ausgerechnet die interkulturellen Gruppen in den „Verfassungstreue-Focus“ gerieten und warum die AGIJ trotz „Entwarnung“ durch das LfV durch die Jugendbehörde „immer wieder zu Korrespondenz und Gesprächen aufgefordert wurde“.

Auch der „Verband für Kinder- und Jugendarbeit“ warnt, das Landesjugendamt dürfe sich nicht das Geschäft von Rechtsaußen zu eigen machen. Erschreckend sei der „rassistisch konnotierte Verdacht gegen migrantische Selbstorganisationen“.

Die Sozialbehörde äußert sich zum Mailwechsel nicht. Dieser sei ein „bilateraler Vorgang“ zwischen der Leitung des Landesjugendamtes und dem LfV, sagt Sprecher Wolfgang Arnhold. Er verweist auf einen Brief von Sozialstaatsrätin Petra Lotzkat an den Landesjugendring, in dem diese den „Schaden“ bedauert, den die Anfrage beim LfV ausgelöst habe, und versichert, dies sei ein einmaliger Vorgang, von dem die übrigen für die Jugendverbände tätigen Kollegen im Amt nichts gewusst hätten.

Lotzkat will am 24. Januar an einer Sitzung des Landesjugendrings teilnehmen, um die Sorgen zu klären. „Dazu gehört auch der Vorwurf, die Anfrage sei rassistisch motiviert“, sagt Arnhold. So ein Verhalten sei den Mitarbeitenden des Amtes noch nie vorgeworfen worden und er sei auch als genereller Vorwurf an das Landesjugendamt „zurückzuweisen“.

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6 Kommentare

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  • Unglaublich! Wer hat denn diese Jugendamtsleiterin auf ihren Posten gehievt? Vielleicht sollte man mal die Karriere dieser Frau überprüfen und ihre fachliche Qualifikation ...

  • Schon, dass die Links zu den Quellen im Artikel stehen. Mir fällt auf, dass

    a) die Liste der für unbedenklich erklärten Verbände in der Antwort des LfV nicht identisch ist mit der vom LJA verlinkten Mitgliederliste der AGIJ.

    b) die Anfrage des LJA beim LfV - anders als im Artikel behauptet - nicht durch die kleine Anfrage der Linken an den Senat herauskam, sondern dies der Fragestellerin schon vorher bekannt war.

    Der Skandal wird dadurch aber nicht kleiner, sondern größer.

  • Irgendwas muss der Verfassungsschutz ja beobachten wenn er schon auf allen rechten Augen blind ist.

    Wer hat noch gleich das Treffen der AfD und CDU mit den Nazis in Postsdam aufgedeckt?

    Nicht der Verfassungsschutz, der angeblich die AfD beobachtet jedenfalls.

    Wer glaubt, der braune Sumpf sei mit dem Weggang Maaßens aus dem Verfassungsschutz dort schon trockengelegt, der hat eine zu hohe Meinung von der "Arbeitsleistung" Maaßens.

    • @Jalella:

      Volltreffer! Danke...

  • Das könnte noch richtig Stunk geben: www.ljr-hh.de/index.php?id=2425

    Wenn die Vorwürde des Landesjugendrings stimmen, wird da ja generell richtig Scheiße gebaut, und es scheint wirklich ein Problem mit einer einzigen durchgeknallten, arbeitsverweigernden, tyrannnischen, und amtsanmaßenden Person zu sein.

    Hoffentlich erfahren wir bald mehr über diese Person und ihr Tun und Unterlassen und ihre Beweggründe.

    Sollen wir wetten, dass die nicht bei den Grünen ist, und vermutlich auch nicht bei der SPD?

    Dass "Roter Aufbau" nach den üblichen Oldschool-Antiimps klingen (inklusive Hamas-Verherrlichung) ist eine ganz andere Sache. Die wurden ja nur als Aufhänger genutzt, um Gruppen unter Generalverdacht zu stellen, die allesamt schon ein Bekenntnis zur Verfassungstreue abgegeben haben (denn sonst wären sie nicht förderungswürdig). Klar, so ein Bekenntnis kann man faken - sieht man ja an der AfD, die hat in ihrer Satzung auch Verfassungstreue drinstehen, und schert sich einen Dreck drum.

    Aber die absichtliche und fortdauernde Nichtbesetzung von etlichen wichtigen Stellen und die Gerüchte über Mobbing und toxische Arbeitsbedingungen legen nahe, dass die Jugendamtsleiterin da einen Privatkrieg gegen irgendetwas oder irgendjemanden führt, und dafür ihr Amt missbraucht, und womöglich sogar versucht, eine Falschverdächtigung zu konstruieren.

    Insofern: dranbleiben!

    [...] Beitrag gekürzt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

  • Und dann frage sich noch wer (hatten wir in diesem Forum), ob beim BfV und den LfVen alles in Ordnung sei, nachdem der Maaßen gechasst wurde.

    Nichts ist in Ordnung, so scheint's.