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Wo bleibt denn jetzt das Positive?Grauer Himmel

Das Jahr ist erst einige Wochen alt, aber es ist schon ganz und gar verdreckt. Es gibt genug Gründe für Niedergeschlagenheit. Aber auch für Zuversicht.

Blick auf Hamburg als Blick ins Grau Foto: Christophe Gateau/dpa

W ie sieht die Stadt aus, an diesem 15. Januar 2024, was ist meine persönliche Aussicht? Grauer Himmel, nackte Bäume, Autos, Müll. Jeden Morgen die Nachrichten. Am Abend Fernsehen. Niedergeschlagenheit.

Meine Freundin fuhr mit der S-Bahn und eine Frau bat sie um Geld. Meine Freundin griff in die Tasche und gab ihr das, was sie fand. Die Frau spuckte drauf, warf es ihr ins Gesicht und beschimpfte meine Freundin. Meine Freundin war niedergeschlagen.

Was noch? Unsere Mülltonnen sind voll, die Leute schmeißen alles daneben. Am Abend Fernsehen, am Morgen die Nachrichten, Niedergeschlagenheit, und immer so weiter.

Manche Leute haben gute Vorsätze für das neue Jahr. Ich habe mir vorgenommen, alles langsamer zu machen. Ich bin eigentlich schon langsam, aber noch nicht langsam genug. Ich finde das einen guten Vorsatz.

Die Möglichkeit, laut zu sein

Vergangene Woche war ich auf einer Demonstration vor dem Hamburger AfD-Büro. Es gab mir die Möglichkeit, laut zu sein. In den AfD-Fenstern brannte manchmal Licht, dann wieder nicht. Sahen sie aus ihren Fenstern auf uns nieder? Oder standen sie hier vielleicht zwischen uns? Oder saßen sie zu Hause und sahen fern?

Ich bin niedergeschlagen, aber ich bin nicht gelähmt

Das Jahr ist erst zwei Wochen alt, aber es ist schon ganz und gar verdreckt. Auf den Straßen, vor unseren Müllcontainern, in den Nachrichten. Ein verdrecktes Land, Hass und Dreck und Angst. Ist das jetzt eine positive Kolumne zum Jahresbeginn, die irgendjemandem etwas schenkt, Katrin?

Ich reiße mich zusammen und überlege mir ein paar schöne und nützliche Worte. Ich wünsche allen ein gutes neues Jahr! Ein gutes, neues Jahr, in dem wir nicht alleine sind, nicht alleine bleiben. Ich möchte mich zuwenden, möchte unterstützen, zuhören, aufmerksam sein, mutig. Niedergeschlagenheit ist in Ordnung. Ich bin niedergeschlagen, aber ich bin nicht gelähmt, niedergeschlagen, aber aktiv, das geht doch.

Der Anfang ist kein richtiger Anfang

Einige Tage hatten wir Frost und Schnee. Und da waren sie Sonntagmittag alle draußen, die ganzen Eltern und Kinder und Hunde, und sie liefen durch den Schnee und die Sonne schien und alle machten einen guten Eindruck. Die Hunde sprangen rum, waren ganz außer sich, vergnügt. Die Kinder freuten sich und waren auch vergnügt. Sonnenstrahlen auf meiner Netzhaut, die Stadt glitzerte und strahlte. Da war keine Niedergeschlagenheit, das war auch das neue Jahr, Schönheit und Melancholie, es gehört zusammen.

Wir wünschen uns vielleicht alle einen Anfang, der rein ist. Damit wir hoffen können, dass alles gut wird. Aber der Anfang ist ja kein richtiger Anfang, sondern eine Fortführung des Alten. Wir sind ja nicht nackt, nicht gerade geboren.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Meine Straße ist kurz und hat dies und das, einen Sportplatz, Bäume, Autos, zwei Büros, viele Wohnungen, viele Menschen. Manche Menschen habe ich noch nie gesehen. Andere sehe ich so gut wie jeden Tag. Ich weiß sehr wenig oder gar nichts über die meisten von ihnen. Das ist die Stadt. Wir wohnen hier und kennen uns nicht und wir wohnen hier und haben uns angefreundet, feiern zusammen Silvester und wissen schon, was uns bedrückt, sind uns nah.

Die Stadt ist alles. Man kann hier alles finden. Man kann verzweifeln, kann alleine bleiben. Wer ich hier bin, in diesem neuen Jahr, in dieser alten Stadt, in meiner Straße wird sich noch herausstellen. Aber es ist nicht alles Schicksal, ich bin nicht gelähmt und bin bereit, mich zu ändern, jeden Tag, ich bin bereit, etwas zu tun. Wir brauchen Mut und Zuversicht, trotz allem. Und schon wieder schneit es.

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