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Austausch der Regierung in FrankreichAuslaufmodell Macron

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Nicht nur in Frankreich schwindet die Überzeugungskraft der politischen Elite. Politische Tatkraft muss deshalb in der Gesellschaft sprießen dürfen.

Hat die Technokratisierung der Macht auf die Spitze getrieben: Emmanuel Macron, hier am 14. Juli 2022 in Paris Foto: Michel Christophe/ABACA/imago

D ie Auswechslung des Premierministers ist in einer Präsidialrepublik wie Frankreich kein politisches Erdbeben. Der Staatschef hat die Macht, er sitzt dem Kabinett vor und hat die Richtlinienkompetenz; der Regierungschef organisiert bloß die Umsetzung der Beschlüsse und verantwortet sie vor dem Parlament. Nicht umsonst gilt Frankreich als eine Art Wahlmonarchie mit festen Amtszeiten.

Emmanuel Macron, selbsternannter Erneuerer dieses fundamental undemokratischen politischen Systems, hat sich inzwischen in dieses System verliebt und die Technokratisierung der Macht auf die Spitze getrieben. Aber in drei Jahren ist seine Zeit um, und da er sich um lästige Dinge wie eine funktionierende Regierungspartei nicht kümmert, ist kein Erbe in Sicht. Fliehkräfte am linken und rechten Rand werden stärker, im Zentrum herrscht Stagnation – dort, wo der schon wieder vergessene Bewegungsname La République En Marche einst Tatendrang und Optimismus suggerieren sollte. Die Beförderung eines 34-jährigen Elitezöglings aus Macrons Bewundererzirkeln der ersten Stunde zum neuen Regierungschef verschärft dieses Problem eher, als es zu lösen.

Nicht nur in Frankreich schwindet die Überzeugungskraft der politischen Elite. In fast allen europäischen Ländern wächst der Verdruss darüber, dass die Bedürfnisse der Menschen gegenüber den Bedürfnissen der Politiker das Nachsehen haben. Auch in Deutschland wollte die Ampelkoalition einst „mehr Fortschritt wagen“ und festgefahrene politische Raster aufbrechen – heute stolpert sie ständig über sich selbst und ihren technokratischen Hang, die rea­len Folgen ihrer gedanklichen Schnellschüsse erst hinterher erschrocken zur Kenntnis zu nehmen.

Führer hatte Europa immer zu viele. Normale Menschen, die auch ohne führende Hand die Politik bewegen – die gibt es zu wenig

Zu den beliebtesten Worthülsen des Jahres 2024 gehört die Feststellung, dass Europa Führung braucht, um gegen die Monster in Moskau, Peking und demnächst vielleicht wieder Washington zu bestehen. Europa suchte Führung und bekam Macron und Scholz. Sie stecken nun im ermüdenden Wettlauf mit Populisten – von Geert Wilders über Marine Le Pen bis Sahra Wagenknecht. Es sind Bestätigungen des Diktums des italienischen Marxisten Antonio Gramsci vor 100 Jahren: „Die Krise besteht genau darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann; in diesem Zwischenreich tritt eine Vielzahl von morbiden Symptomen auf.“

Führer hatte Europa eigentlich immer zu viele. Normale Menschen, die auch ohne führende Hand die Politik bewegen – die gibt es zu wenig. Europa muss seine Politik vom Kopf auf die Füße stellen, von den Führungspersönlichkeiten auf die gesellschaftliche Basis. Macrons Stil von der Politik als Wüste, mit sich selbst als einziger Oase, hat ausgedient. Politische Tatkraft muss überall in der Gesellschaft sprießen dürfen. Das ist die Herausforderung, vor der Europa steht und die Europas Regierende endlich begreifen müssen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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3 Kommentare

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  • Es läuft auf eine simple Sache raus: Weder in Frankreich noch in Deutschland werden wohlhabende und reiche Menschen korrekt und angemessen besteuert. Es gibt über die EU noch Steuersparmittel, die auch genutzt werden, etwa von Amazon oder Facebook.

    Platt gesagt: Die sogenannte freundliche Mitte, garantiert eine Handlungsunfähigkeit, wenn es um die sinnvolle Finanzierung des Gemeinwesens geht. Und dazu kommen noch Lobby-Gruppen, die sinnlose Gelder eintreiben, die schon lange nichts mehr bringen, aber sofort Aua und Halt schreien, wenn etwas verändert werden soll.

    In diesem Sinne werden sowohl in Deutschland als auch in Frankreich immer Regierungen gebildet, die nicht halten können, was sie versprechen. Am interessantesten war es bei Nicholas Sarkozy, der versprach Hilfen für die Vororte, dann härte gegen Kriminelle, am Ende passierte nur was unter dem Mikroskop. Dem Vernehmen nach war Sarkozy dann überrascht, dass die Wähler ihn nicht mehr haben wollten. Anscheinend verlieben sich die Regierenden in Frankreich ein wenig in sich selbst.

  • Nur die wenigsten Menschen sind wirre Radikalinskis. Dass sie fatalerweise in immer größerer Zahl eben solche wählen liegt zumindest in Teilen daran, dass die bisher in den Parlamenten und Regierungen sitzenden Parteien zu wenig liefern. Probleme werden beschrieben, teilweise wäre sogar eine Lösung möglich, dennoch pertetuiert sich der Stillstand immer weiter, wird sogar ein schleichender Verfall achselzuckend hingenommen. Infrastruktur, Bildung, Sozialsysteme, die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Alles nicht neu, etwa PISA ist seit vielen Jahren ein Thema, ohne dass sich etwas bewegt, es werden die gleichen Phrasen wie vor vierzig Jahren gedroschen, andere Länder machen es besser, und doch scheint das Problem hierzulande nicht lös- oder verbesserbar. Das fördert den Frust, zumal es in vielen Bereichen so trist vor sich hindümpelt. Neben den realen Problemen werden geringfügige Probleme noch via Social Media zum Weltuntergang aufgebauscht, wird die Wut noch hochgepeitscht und plötzlich ist eine Witzfigur, die wie ein Brot heißt heißer Kandidat als Ministerpräsident in Thüringen.

  • leider lässt sich so etwas nicht organisieren, so etwas entsteht oder eben auch nicht. die hier angesprochenen politiker können da nichts beeinflussen. wollen sie ja auch gar nicht, weil sie selbst im szstem stecken.



    eine demokratiebewegung von unten, wäre schön, leider stehen da schon die rechtspopulisten davor.



    in frankreich LePen und anderswo eben andere.



    da wird wohl kein weg dran vorbeiführen