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Foto: imago;spotify

Jahresrückblick für die OhrenDie besten Podcasts des Jahres

Von „Boys Club“ bis „Teurer Wohnen“, von einem mysteriösen Mädchen bis zu Long Covid: Hier sind die zehn besten Podcastproduktionen des Jahres.

L abern können ja fast alle. Deswegen haben heute auch so viele Menschen einen Podcast, vom Sportler über die Influencerin bis zu Hans ausm Keller. Der Podcastmarkt in Deutschland ist in den letzten Jahren zwar ziemlich gewachsen, aber anregende Gesprächspodcasts oder gut recherchierte Storytelling-Produktionen? Dafür braucht es schon ein bisschen mehr und deswegen gibt es davon auch noch nicht so viele.

Wir haben in der Redaktion und bei unseren Autor_innen nachgefragt, was sie im Jahr 2023 am liebsten gehört haben. Nach einer (fast) demokratischen Wahl sind diese Top Ten zustande gekommen, nicht ganz ohne US-Produktionen. Sortiert nicht nach Platzierung, sondern alphabetisch. Und ganz sicher haben wir das ein oder andere Schmankerl auch vergessen.

„Boys Club“

Ein Blick auf die Bild Foto: spotify

Die Nachricht hat vermutlich die wenigsten überrascht und schlug trotzdem ein: Gegen Bild-Chef Julian Reichelt werden 2021 interne Untersuchungen wegen Machtmissbrauch eingeleitet. Kurz darauf verliert er seinen Posten. Der Fall bewegt die deutsche Medienlandschaft. Zwei Jahre legen die Journalistinnen Pia Stendera und Lena von Holt mit einem Podcast nach. In acht Episoden zeichnen sie das „System Springer“ nach, in dem Missbrauch befördert und Täter geschützt werden. Keine große Enthüllung, aber eine detaillreiche Chronologie, die viele Fans gefunden hat und in diesem Jahr wohl der deutsche Podcast ist.

„Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer“ (TRZ Media / Spotify) – zu hören bei Spotify

„Fighting Long Covid“

Moderatorin Visa Vie bei der Verleihung Deutscher Podcast Preis, Juli 2023 Foto: Annette Riedl/dpa

Die seit 2021 an Long Covid erkrankte Moderatorin Visa Vie schildert sehr eindringlich, wie sich ihr Leben seit der Diagnose verändert hat. Im Gespräch mit der Bremen-Vier-Moderatorin Malin Kompa erzählt sie von Todesangst, von zerbrochenen Zukunftsplänen, von nächtelangen medizinischen Recherchen in eigener Sache, von coronoleugnenden Hatern in ihren DMs – aber auch von Hoffnung. Der siebenteilige Podcast macht begreiflich, was diese Krankheit für Betroffene bedeuten kann.

„Fighting Long Covid“ (Radio Bremen) – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Heavyweight“

Foto: spotify

Seit sieben Jahren schon präsentiert der Melancholiker Jonathan Goldstein persönlich-kleine, aber liebevoll recherchierte Geschichten. In jeder Folge kommt ein Gast zu Besuch, der Hilfe von Goldstein möchte. Dafür dringt er in das Leben dieser Menschen ein und sucht Lösungen für deren ungelöste Fragen. Wie für Victor (Folge 54), der nicht aufhören kann, Porträts seine Ex-Frau zu malen, dabei sind sie seit Jahrzehnten kein Paar mehr. Oder Yasser, der in seiner Kindheit einen Cartoon gesehen hat, den er seitdem nicht mehr vergessen kann. Problem nur: Dieser Cartoon scheint nicht zu existieren. Auch wenn die Geschichten mal schwer sein mögen, dank Goldstein werden sie immer empathisch und lustig angegangen.

„Heavyweight“ (Gimlet Media), in englischer Sprache – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Hitze“

Klimaprotest in Den Haag, September 2023 Foto: Remko de Waal/imago

Die „Klimakleber“ werden sie von vielen nur noch genannt. Egal wo sie hinkommen und für besseren Klimaschutz demonstrieren, die Aktivist_innen der Letzten Generation nerven. Und sie nerven anscheinend so sehr, dass keine differenzierte Debatte über Protestformen und Klimaschutzmaßnahmen mehr möglich ist. Aber wer sind diese Aktivist_innen überhaupt und warum sind sie bereit, für ihren Protest ins Gefängnis zu gehen? Host Daphne Ivana Sagner und Reporterin Céline Weimar-Dittmar haben ein paar von ihnen monatelang begleitet. In der ganzen hitzigen Diskussion geht der sechsteilige Podcast angenehm kühl der Motivation und Organisation der radikalen Klimabewegung nach.

„Hitze“ (RBB / TRZ Media) – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Springerstiefel“

Die Hosts Don Pablo Mulemba (links) und Hendrik Bolz Foto: Moise Youmba/MDR

Don Pablo Mulemba ist der Sohn eines Vertragsarbeiters aus Angola und arbeitet heute als Reporter. Gemeinsam mit dem Rapper und Autor Hendrik Bolz begibt er sich auf eine persönliche Spurensuche. In den fünf Folgen des Doku-Podcasts reisen die beiden in ihre ostdeutschen Heimatstädte Eberswalde und Stralsund zurück und fragen sich, warum es in der Zeit ihrer Kindheit plötzlich cool wurde, Neonazi zu sein. Gerade die Geschichte von Pablo Mulembas Eltern, welcher rechten Gewalt sie in Eberswalde ausgesetzt waren, berührt.

„Springerstiefel“ (MDR / ABC Stories) – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Teurer Wohnen“

Schicke Baustellen! Berlin, April 2022 Foto: Sabine Gudath/imago

Wer in Berlin aktuell nicht auf Wohnungssuche ist, sollte sich glücklich schätzen. Denn der Mietmarkt ist eine Zumutung. Doch wieso gibt es in der Hauptstadt eigentlich einen so eklatanten Mangel an bezahlbarem Wohnraum? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Podcast „Teurer Wohnen“, ein gemeinsames Projekt von Radioeins und Detektor.fm. In sieben Folgen will die Reporterin und Podcast-Host Charlotte Thielmann den Hö­re­r*in­nen am Beispiel Berlin erklären, wie bundesweite Wohnungspolitik funktioniert. Die Antworten sind kompliziert, das Zuhören erfordert Konzentration – aber es lohnt sich!

„Teurer Wohnen“ (RBB / Detektor FM) – zu hören bei allen bekannten Podatchern

„The Retrievals“

Ein Blick auf Frauen und Medizin Foto: Erik Tanner/NYT

Mindestens 200 Frauen mit Kinderwunsch mussten im Yale Fertility Center ihre IVF-Prozedur ohne Schmerzmittel durchstehen. Denn eine Krankenschwester hatte das Fentanyl für den Eigenverbrauch geklaut und den Patientinnen stattdessen Kochsalzlösung gespritzt. Klingt nach Stoff für einen True-Crime-Podcast, doch die New York Times und Serial Productions konzentrieren sich in „The Retrieval“ auf die gesellschaftspolitischen Aspekte des Falls. Die Host Susan Burton arbeitet in fünf Folgen heraus, wie die Medizin noch immer das Schmerzempfinden und die Körper von Frauen vernachlässigt.

„The Retrievals“ (New York Times / Serial Productions), in englischer Sprache – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Think Twice Michael Jackson“

Star und Beschuldigter Foto: Leonhard Foeger/reuters

Es ist mittlerweile über zehn Jahre her, dass Michael Jackson gestorben ist. Was er hinterlassen hat? Ein großartiges musikalisches Œuvre, aber auch einige Vorwürfe und Fragezeichen. In zehn Episoden präsentieren die US-Journalisten Leon Neyfakh und Jay Smooth eine beeindruckende journalistische Recherche zum Absturz des größten Popstars aller Zeiten und zu dem ihm vorgeworfenen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.

„Think Twice Michael Jackson“ (Audible / Wondery), in englischer Sprache – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Verbrechen am Fernsehen“

Glotze an für Crime! Foto: imago

„Bewährung“ oder „Prompt Knast“? Diese Frage stellt sich Journalistin und Autorin Anja Rützel einmal die Woche, wenn sie in ihrem Podcast „Verbrechen am Fernsehen“ Formate aus der deutschsprachigen TV-Landschaft kulturwissenschaftlich und sozialkritisch analysiert. Stets mit dabei und manchmal im Hintergrund hörbar ist Rützels tierischer Mitbewohner Podenco-Mix Juri sowie ein Gast aus der Unterhaltungsbranche. El Hotzo, Guilia Becker, Olli Schulz, Micaela Schäfer, Samira El Ouassil und Ulrich Matthes sind nur einige der prominenten Namen, die Rützel in ihrem imaginären Gericht versammelt und mit denen sie fast immer ein gnadenloses Urteil fällt: Kommissar Rex muss etwa in den Knast, während der Monaco Franze das seltene Glück eines Freispruchs genießt. Wer Bewährung bekommt, erhält zugleich auch noch Verbesserungsvorschläge von Richterin Rützel, wie etwa den, in der geplanten Neuauflage der RTL-Musik-Live-Show „Die Passion“ ihren Gast Riccardo Simonetti als Jesus zu besetzen. „Verbrechen am Fernsehen“ ist das perfekte Hörerlebnis für Fernseh-FreundInnen, Nostalgie-Nerds und jene, die auch im scheinbar Banalen das Besondere entdecken wollen.

„Verbrechen am Fernsehen“ (Studio Bummens) – zu hören bei allen bekannten Podcatchern

„Wer ist Joni“?

Identität hinter dem Handy: unerkannt Foto: imago

Joni, 12 Jahre alt, ist ein ungewöhnliches Mädchen. Sie hat viel erlebt, viel Traumatisches, lebt allein und spricht nicht. Nach einem Leserinbrief an die Süddeutsche Zeitung entwickelt sie eine Brieffreundschaft zur Redakteurin Christiane Lutz. Die beiden schreiben sich regelmäßig, doch irgendwann kommt Lutz das alles ganz schön komisch vor. Sie fragt sich: Wer ist Joni? Einen ungewöhnliche Geschichte, erzählt von einer Host, die einen wirklich nah ranlässt.

„Wer ist Joni?“ (SZ Magazin) – zu hören bei der Süddeutschen Zeitung mit Abo

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