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Heuschrecken als SnackGrashüpfer, goldbraun geröstet

Zum Jahresende fliegen Heuschreckenschwärme über Uganda, werden eingefangen und als Snacks verkauft. Dieses Jahr bleiben sie aus. Woran liegt das?

Die Familie Mukashemie rupft den teils noch lebenden Insekten die Gliedmaßen aus Foto: Isaac Kasamani

Kampala taz | Vorsichtig öffnet Gloria Mukashemie die Plastiktüte, die sie gerade vom Großmarkt geliefert bekommen hat. „Oh, einige sind schon tot“, sagt sie etwas enttäuscht und erklärt: „Wenn man die Grashüpfer lebend frittiert, dann schmecken sie viel süßer.“

Mukashemie kippt die Insekten in eine Wanne und ruft ihre Kinder herbei. Eine Handvoll Jungs kommt angelaufen, sie setzen sich auf den Boden vor dem kleinen Haus in einem Armenviertel in Ugandas Hauptstadt Kampala und machen sich flink daran, den noch lebenden Tieren die Flügel und Beine auszureißen. „Das ist unser Lieblingssnack in dieser Jahreszeit“, sagen sie und kichern voller Vorfreude.

Was in der Bibel als apokalyptische Plage beschrieben wird, ist in Uganda ein Segen: die gigantischen Heuschreckenschwärme, die jedes Jahr über Ostafrika hinwegziehen. Die proteinreichen Insekten, ­„Nsenene“ genannt, sind ein beliebter Snack. Doch dieses Jahr ist zumindest in Kampala bislang kaum ein Grashüpfer gesichtet worden. Die Nsenene, die Gloria Mukashemie für ihre Kinder zubereitet, kommen aus der über 140 Kilometer entfernten Region um die Stadt Masaka und wurden lebend in Boxen und Tüten verpackt per Lastwagen quer durchs Land transportiert. „Sie sind dieses Jahr deswegen enorm teuer“, sagt die 35-­Jährige und seufzt. „Dabei essen meine Kinder sie doch so gerne.“

Sobald die erste Schüssel mit gerupften Insekten voll ist, wäscht Mukashemie die Hüpfer mit Wasser und stellt dann einen Topf auf den Holzkohleofen vor ihrem kleinen Haus. „Ich brate sie jetzt und dann füge ich Zwiebeln und Salz hinzu“, erklärt sie. Währenddessen rupfen die Kinder weiter Flügel und Beine. Aus allen Ecken kommen Hühner, Katzen und Hunde angelaufen. Auch sie lieben den Geruch der proteinreichen Nahrung. Dazu tummeln sich immer mehr Kinder aus der Nachbarschaft um die Kochstelle.

Von der Reflexion irritiert, stoßen die Insekten immer wieder gegen die Wellbleche

Heuschrecken zu essen, ist in Uganda schon seit Jahrhunderten Tradition, erzählt Mu­kashemie. Auch sie habe als Kind schon die knusprigen Insekten vernascht, die ihre Großmutter nach traditionellem Rezept zubereitete. Vor allem im November und Dezember werben Restaurants und Sportbars mit ihren speziellen Nsenene-Rezepturen: mit Tomaten, pfeffrigem Chili, in Öl frittiert oder extrem knusprig. Und wenn in der Adventszeit die Ugander zu Weihnachtspartys einladen und die Großfamilien zusammenkommen, darf der Snack auf keinem Buffet fehlen.

Blenden und Betäuben: der Heuschrecken-Händler Hudson Seru in einer Grashüpfer-Falle Foto: Isaac Kasamani

Gerade in Familien mit niedrigem Einkommen, die sich kaum Fleisch und andere tierische Lebensmittel leisten können, sind die Grashüpfer eine willkommene und nahrhafte Abwechslung, die quasi vom Himmel fällt. Zweimal pro Jahr passiert das, zum Ende der großen Regenzeit im November und in einigen Regionen auch zum Ende der kleinen Regenzeit im April.

Die Schwärme sind zudem ein Wirtschaftsfaktor. Vor allem im November bauen Farmer im ganzen Land riesige Anlagen auf, um die Tiere einzufangen. Dafür werden mitten in den zahlreichen Sumpfgebieten entlang des Nils und rund um den Viktoriasee generatorenbetriebene grelle Scheinwerfer und reflektierende Wellbleche aufgestellt. Die in den Himmel gerichtete Lichtstrahlen ziehen die vor allem nachts fliegenden Heuschrecken von Weitem an. Von der Reflexion irritiert fliegen sie immer wieder gegen die Wellbleche, bis sie erschöpft daran hinunterrutschen und in einer Tonne landen, in der sie mit dem Rauch einer Feuerstelle betäubt werden.

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Auch Bauer Hudson Seru hat sich dieses Jahr auf die Saison gefreut. Für den Vater von drei Kindern ist es zum Jahresende hin ein Megageschäft. „Damit kann ich am Schuljahresbeginn im Januar alle Schulgebühren meiner Kinder auf einmal begleichen“, sagt er. Spätestens seit der Coronapandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise ist dies in Uganda keine Selbstverständlichkeit mehr.

Doch es ist jedes Jahr auch eine Risikoinvestition. Der 37-jährige Seru steht mit Gummistiefeln inmitten von fast senkrecht aufgerichteten Wellblechen auf einem Acker am Stadtrand von Kampala. Es dämmert bereits, die ersten Sterne sind zu sehen. Sorgenvoll guckt er nach oben. Sonst ist der Himmel um diese Tageszeit bedeckt von fliegenden Hüpfern, jetzt sieht man nur einige wenige. „Dieses Jahr ist es keine gute Saison“, sagt er und schmeißt den Dieselgenerator an. Sobald dieser knattert, erleuchten die Scheinwerfer den Himmel. Ihr Licht, von den Wellblechen mehrfach zurückgeworfen, schmerzt in den Augen.

Seit über zwanzig Jahren erntet Seru schon Grashüpfer, sagt er, und zählt auf, was er in die Fanganlage mit über hundert Wellblechen investiert hat. „Ich muss dieses Stück Land mieten, und weil die Stromgebühren extrem hoch sind, habe ich dieses Jahr einen Kredit aufgenommen, um einen Generator zu kaufen.“ Er hofft, dass er am Ende der Saison mit den Einnahmen das Geld zurückzahlen kann. Das Risiko für Heuschreckenfarmer sei groß, klagt er: „Man weiß ja nie, ob uns Gott und die Natur dieses Jahr begünstigen oder nicht. Wir beten alle, dass die Schwärme nur verspätet sind.“

Hudson Seru vor einer reflektierenden Wellblechwand in Namugongo Foto: Isaac Kasamani

Selbst Ugandas Präsident Yoweri Museveni äußert sich besorgt: „Dies ist Museneene (der Monat der Heuschrecken). Doch wo sind sie? Ist es der Klimawandel?“, heißt es dazu auf seinem X-Account.

Fragen, mit denen sich auch ugandische Wissenschaftler beschäftigen. Und die sind alarmiert. „Die Heuschrecken brüten hauptsächlich im Becken des Viktoriasees und in einer gewässernahen Vegetation“, sagt Moses Chemurot, einer der führenden Insektenforscher von der staatlichen Makerere-Universität. „Da die Degradierung solcher Gebiete zunimmt, kommt es unweigerlich zu einer Zerstörung der Brutstätten.“

Denn immer mehr Menschen betreiben in den zahlreichen Sümpfen Ugandas illegal Landwirtschaft oder bauen sogar Häuser. „Die meisten unserer essbaren Insekten werden für immer verschwinden, wenn wir ihre Brutgebiete nicht schützen“, warnt Philip Nyeko, ein weiterer Insektenforscher. Andere ugandische Wissenschaftler wie Javira Beturumura betrachten die Klimakrise als weitere ­Ursache.

Grashüpfer sind in Uganda eine beliebte, knusprige Zwischenmahlzeit Foto: Isaac Kasamani

Unterdessen sind Gloria Mukashemies Grashüpfer nach 40 Minuten in ihrem Topf knusprig gebraten. Sie hat eine geschnittene Zwiebel sowie etwas Salz hinzugegeben und dann immer wieder umgerüht, damit nichts anbrennt. „Man muss kein Öl hinzugeben, die Insekten haben genügend davon in ihren Körpern.“

Dann kippt sie die goldbraun gerösteten Insekten auf einen roten Plastikteller. Sofort machen sich die Kinder darüber her: „So lecker!“, japst ein Junge zwischen zwei Bissen. „Das ist meine absolute Lieblingsspeise“, ein anderer. Und auch Gloria Mukashemie greift zu: „Dieser Geschmack erinnert mich immer an Weihnachten in meiner Kindheit, wenn die ganze Familie zusammenkam.“

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2 Kommentare

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  • Da ist ganz bestimmt der Westen dran Schuld.

  • Also, in Afrika passiert das ja sicher nicht, aber der Text klang doch sehr nach "überfischt".



    Aus westlicher Sicht ein spannendes Phänomen, dass man zuviel gegen die Schädlinge getan haben kann.