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Die Champagner-Ernte ist kein Fest Illustration: Benjamin Tejero

Ausbeutung in der ChampagnerproduktionBlut, Schweiß und Schampus

Tausende Ar­beits­mi­gran­t*in­nen kommen als Saisonarbeiter für die Champagner-Produktion nach Frankreich. Eine Recherche von moderner Sklaverei und Rekordumsätzen.

A uf der Avenue de Champagne schlendern sie entlang der schicken Villen und schießen Selfies, in der Hand ein Glas Schampus, in dem goldene Blasen aufsteigen und an der Oberfläche zerplatzen. Hunderte Touristen kommen Tag für Tag nach Eper­nay, der Hauptstadt der Cham­pagnerproduzenten; an diesem Montag Mitte September bringt ein Reisebus eine Gruppe Belgier zum Frühschoppen, eine junge Chinesin filmt ihre Freundin vor dem Logo einer bekannten Marke, und in der Touristen-Info will sich eine Frau über Verkostungen informieren. „Sprechen Sie Deutsch?“

In den wie Schlösser anmutenden Niederlassungen der Champagner­produzenten entlang der Avenue knallen derweil die Korken im Akkord. Ein Glas gibt es hier ab zehn Euro. 326 Millionen Flaschen Champagner wurden im Jahr 2022 verkauft, erstmals wurden mehr als 6 Milliarden Euro umgesetzt.

Doch die weltbekannte Region im ­Osten Frankreichs hat auch eine andere, weit weniger prickelnde Seite. Die diesjährige Champagnerlese wird als eine der dunkelsten in die Geschichte eingehen. Im September starben fünf Helfer, so viele wie noch nie in einer Ernte­saison.

In einem Fall kam ein Arbeiter in seinem Zelt an einer Überdosis Drogen ums Leben, wie die zuständige Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte. Die Ermittlungen zu den anderen Fällen laufen noch, ein Zusammenhang mit der Hitze wird vermutet. Vier menschenunwürdige Gemeinschaftsunterkünfte wurden von den Behörden dichtgemacht, darunter auch illegale­ Zeltlager.

Die Staatsanwaltschaft in Châlons-en-Champagne hat zwei Untersuchungen wegen des Verdachts auf Menschenhandel eingeleitet. Eine befasst sich mit dem Fall von 71 in einem heruntergekommenen Plattenbau beherbergten Saison­arbeitern aus der Ukraine, in der Gemeinde Mourmelon-le-­Petit; eine weitere mit der Unterbringung einer Gruppe von einigen Dutzend Personen, überwiegend Asylbewerbern aus Afrika, in einer Bruchbude im kleinen Ort Nesle-le-Repons. Im Dorf Grauves schliefen Arbeiter in verbotenen, aber von Behörden geduldeten Zeltlagern am Waldrand.

Wie konnte es so weit kommen in einer Region, deren bekanntestes Produkt für ausschweifenden Luxus steht? Und wer trägt die Verantwortung? Mit diesen Fragen hat sich ein Team aus internationalen Journalisten mehrere Monate lang beschäftigt.

Nach Aufdeckung der Affären zeigt sich die Champagnerindustrie bestürzt. Winzer und die großen Häuser erklären sich gemeinsam. Über eine eigens eingeschaltete PR-Agentur für Krisenkommunikation lassen sie auf Nachfrage mitteilen, sie seien „zutiefst betroffen“ und drückten „den Familien (der verstorbenen Erntehelfer) ihr Beileid aus“. Einige Weinleser seien „unter untragbaren Bedingungen“ aufgenommen worden, heißt es. Man „verurteile diese unsäglichen Verhaltensweisen aufs Schärfste“. Man habe mit den Behörden vereinbart, „alle notwendigen Maßnahmen zu beschließen, damit sich derartige Entgleisungen nicht wiederholen“. Darunter zähle auch, „dass wir uns auf Seite der Geschädigten in einen Gerichtsprozess einbringen werden“. Mehr Unterkünfte soll es geben, die Arbeit solle besser organisiert und vor allem sicherer werden, für Dienstleister sollen künftig strenge Regeln gelten, heißt es vage.

Ob die Versprechungen eingehalten werden, ist schwer abzuschätzen. Denn Ausbeutung gehört zumindest für Teile der Branche zum System. Den Erfolg haben die Unternehmen nicht zuletzt den Arbeitsmigranten zu verdanken, die mittlerweile den Großteil der rund 120.000 Saisonarbeitskräfte stellen. Nach Angaben des Branchenverbands überstieg das Arbeitspensum der Arbeitskräfte aus dem Ausland 2017 erstmals das der einheimischen. Gewerkschafter schätzen, dass der Anteil der Migranten bei der Champagner­ernte mittlerweile bei rund zwei Dritteln liegt.

Mischung: 20 Prozent Weintrauben, 80 Prozent Ausbeutung

Demo-Slogan

Die Ausbeutung lässt sich leicht beobachten. Viele provisorische Arbeiterlager sind gut sichtbar an den Straßenrändern zu finden. Auf einem bekannten Parkplatz in einem Vorort von Epernay herrscht an einem Dienstag Mitte September bereits vor Sonnenaufgang Hochbetrieb. Aus den Reisebussen strömen diesmal keine Touristen, sondern zahllose Männer mittleren Alters mit morgengrauen Gesichtern. Kennzeichen vieler Busse ist BG, für Bulgarien, oder TR, für die ­Türkei. ­Eilig steigen die Trauben­pflücker in kleinere Transporter. Minuten später ist der Spuk vorbei.

Am Abend desselben Tages sitzen und liegen in einem kleinen Park am Bahnhof mehrere Männer auf Pappkartons. Alle haben Erfahrungen als Ernte­helfer, zumeist schlechte. Das Wort Arbeiterstrich würde ihre Beschäftigungssituation wohl gut zusammenfassen. Zuerst will niemand offen über die Details sprechen. Dann redet doch einer. „An manchen Tagen geben sie uns 50, 60 Euro. Das kann doch nicht sein!“, schimpft jemand, der sich als Youssef vorstellt. „Damit kommt man echt schwer über die Runden.“ Heute Abend, sagt der Mann aus dem Tschad, schlafe er auf seinem Pappkarton. Mal wieder.

José Blanco, ein großer kräftiger Mann mit runder Brille, ist so etwas wie der Lautsprecher der Weinleser. Der höchste gewählte Vertreter der Champagnerarbeiter fällt auf, nicht nur durch seine roten Hemden und seinen postgelben Transporter, sondern auch durch seine Demonstra­tionen. Anfang Oktober zog seine Gewerkschaft CGT vor den Sitz der Arbeit­gebervertretung. Rund 100 Menschen demonstrierten dort mit einem aufblasbaren, zwei Meter großen Champagnerkorken und einem Transparent, das eine Champagnerflasche zeigt mit der Aufschrift: „Mischung: 20 Prozent Weintrauben, 80 Prozent Ausbeutung“.

Blanco beobachtet die privaten Arbeitsvermittler schon lange kritisch. Ein Großteil der Erntehelfer der Champagne wird mittlerweile über Dienstleister beschäftigt, von denen es offenbar viele nicht so genau nehmen mit dem Gesetz. Schon vor Jahren machte der Gewerkschafter die großen Champagnerhäuser auf das Problem der Leiharbeit aufmerksam und informierte die lokalen Behörden. Voriges Jahr war Blanco sogar beim Arbeitsminister zu Besuch, um ihn ins Bild zu setzen. Der Landwirtschaftsministerin schrieb er einen Brief zum Thema „skrupellose Dienstleister“. Passiert sei wenig, sagt er.

Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden

Hunderte solcher Firmen sind alleine für das Département Marne registriert, in dem auch die meisten Weinberge der Region liegen. „Die Unternehmen schießen wie Pilze aus dem Boden“, ärgert sich Blanco. „Jedes Jahr werden Firmen eigens für die Ernte gegründet und gleich danach wieder geschlossen.“ Viele von ihnen zahlten keine Sozialabgaben, nicht wenige prellten Löhne. Und kontrolliert würde zu wenig. Das zeigen auch die offiziellen Zahlen. Die zuständige Behörde für Schwarzarbeit in Reims gibt auf Nachfrage an, in dieser Saison mehr als zwanzig Kontrolleure für die Winzer und Dienstleister eingesetzt zu haben: Insgesamt wurden lediglich rund fünf Prozent der Arbeiter überprüft.

Gewerkschafter Blanco verrät, welche Leiharbeitsfirmen man sich einmal näher anschauen sollte. Zum Beispiel STV mit Sitz in Epernay, die laut Blanco jedes Jahr 8.000 Arbeiter beschäftigt und offenbar gezielt aus dem Ausland anwirbt, darunter viele Bulgaren mit türkischem Migrationshintergrund. Diese Ich-AG sei „schon länger im Visier der Kontrollbehörden“, sagt er. Ein Blick ins Handelsregister gibt einen ersten Eindruck.

Eingetragen wurde STV bereits 2004. Gründer und Chef ist Unal O., ein Mann mit türkischem Pass, der mit Leiharbeitern in den Weinbergen der Champagne offenbar gutes Geld verdient. 2016, neuere Zahlen gibt es nicht, setzte seine Unternehmung beachtliche 4,3 Millionen Euro um. Zwei Jahre später zahlte sich der Boss bereits 500.000 Euro Dividende aus, das Jahr darauf das Doppelte, anders ausgedrückt: den 50-fachen Mindestlohn.

Wenn der Chef die Polizei sieht, nimmt er die Beine in die Hand

Erntehelfer Stoyan

Wer die Masche STV verstehen will, sollte sich unter den Erntehelfern der Champagne umhören. Gemeinsam mit dem bulgarischen Investigativjournalisten Stanimir Vaglenov ist es dem Reporterteam gelungen, mit fünf ehemaligen Arbeitern zu sprechen, die teils in verschiedenen Jahren für STV gearbeitet haben.

„Wenn der Chef die Polizei sieht, nimmt er die Beine in die Hand.“ Der Mann, der das erklärt und dabei schallend lacht, war in diesem Jahr Ernte­helfer für Unal O. Bei einem spontanen Gespräch zwischen den Weinreben erklärt Stoyan, was er damit meint. Stoyan heißt eigentlich anders, aber möchte nicht namentlich genannt werden. Er und seine Landsleute hätten nicht einmal einen Vertrag bekommen, sagt er. 700 Euro sind am Ende auf seinem Konto eingegangen, wie ein Screenshot der Überweisung belegt. Für 11 Tage Arbeit, sagt Stoyan. Bei mindestens 9 Stunden pro Tag. Damit käme er auf 7 Euro pro Stunde, weniger als der Mindestlohn von 9 Euro netto.

Doch das Geld ist offenbar nicht das einzige Problem. Auch werden die Arbeiter der STV den Recherchen zufolge systematisch an weit entfernten Orten untergebracht, in der Regel auf Zeltplätzen in Nachbarregionen. In diesem Jahr soll das unter anderem ein Campingplatz in einem Vorort von Paris gewesen sein. Um 5.15 Uhr habe man sie am Zeltplatz abgeholt, berichtet Stoyan. Teils arbeiteten sie dann bis 19 Uhr, bevor es mit dem Bus wieder zurückgegangen sei. „Das ist nicht fair“, schreibt der junge Bulgare einige Tage später per Whatsapp und fügt hinzu: „Ich will kein Sklave sein.“

Keine Wasserflaschen für Pflücker

Die Vorwürfe gegen STV gehen aber noch weiter. Übereinstimmend berichten mehrere ehemalige Arbeiter und zwei Angestellte eines Auftraggebers über einen weiteren Verstoß: STV habe seinen Weinpflückern in diesem Jahr trotz erdrückender Hitze keine Wasserflaschen zur Verfügung gestellt, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Vor-Ort-Recherchen bestätigen die Vorwürfe. Auch andere Arbeiter berichten über teils katastrophale Bedingungen, darunter ein Helfer aus dem Vorjahr, dessen Vertrag in Kopie vorliegt. Demnach gehörte STV damals bereits auf dem Papier zu den Anbietern, die an der untersten Grenze dessen bezahlen, was gerade noch erlaubt ist.

Eine weitere Helferin aus dem vergangenen Jahr gibt an, ebenfalls keinen Vertrag erhalten zu haben. Sie sei von STV um viel Geld geprellt worden. Von den versprochenen 2.000 Euro habe sie am Ende weniger als 1.000 erhalten. Zum Beweis sendet die Frau einen Überweisungsbeleg. Glaubt man ihren Angaben, dann wurden sie und vermutlich auch weitere Kollegen deutlich unter dem Mindestlohn bezahlt. „Jeden Morgen standen wir um 4 Uhr auf, fuhren gegen 5 los und kamen um 7 Uhr in den Weinbergen an“, erzählt sie.

Ruhezeiten hätte es demnach kaum gegeben: „Unsere Pausen machten wir, während wir uns von einem Weinberg zum anderen bewegten, meist zu Fuß.“ Die Arbeitstage hätten demnach bis 17.30 oder 18 Uhr gedauert: „Erst nach 21 Uhr kehrten wir nach Hause zurück.“ Wenn diese Angaben stimmen, wären die 11 Stunden Ruhezeit, die der Gesetzgeber pro Tag vorschreibt, bereits rechnerisch unmöglich. Auch 2022 habe es Probleme mit Trinkwasser gegeben, erklärt die Arbeiterin: „Für vierzig Personen gab es zwei Kanister mit je zwanzig Litern Wasser.“

Unal O. lässt eine Mail mit Fragen unbeantwortet. Per Telefon äußert er sich nur zu einem Teil der Vorwürfe und bestreitet jegliches Fehlverhalten. Der STV-Chef bestätigt zwar, dass sein Unternehmen, dessen Mitarbeiterzahl er auch auf mehrfache Nachfrage nicht nennen will, für „die größten Champagnerproduzenten“ arbeite. Ansonsten passe „Ihre Beschreibung überhaupt nicht zu meiner Firma“, kommentiert O. „Ich hatte noch nie Probleme mit dem Finanzamt oder so etwas.“

O. zufolge ist den Mitarbeitern „immer korrekt der Mindestlohn bezahlt und Sozialbeiträge stets beglichen“ worden, auch seien auch die Bedingungen in den Unterkünften der Arbeiter „mehr als ausreichend“. Er sei zwar von den Behörden und von den Herstellern kontrolliert worden, Beanstandungen habe es aber keine gegeben. Im Übrigen erhielten die Arbeiter ausreichend Trinkwasser. Unal O. bestätigt, dass er auch in Bulgarien rekrutiere. Auch mit den Bulgaren sei „alles in Ordnung“, jeder von ihnen habe einen französischen Vertrag erhalten. Die zuständigen französischen Behörden wollten sich auf Anfrage zum Fall STV nicht äußern.

Wer sind eigentlich die Kunden des dubiosen Dienstleisters STV? Die Produzenten Taittinger, Bollinger, zwei bekannte Champagnermarken, außerdem die großen Firmen Mumm und Vranken – und schließlich der Weltmarktführer: Moët & Chandon, das zum Luxusunternehmen LVMH gehört. Diese Unternehmen kooperieren nachweislich seit vielen Jahren mit der Firma. Doch auch nach telefonischer Rückfrage sind die Antworten auf die schriftlichen Fragen spärlich. Befragt zu ihrer Zusammenarbeit mit Dienstleistern im Allgemeinen und kontroversen Anbietern wie STV im Speziellen, antworten zwei der fünf Hersteller gar nicht.

Dienstleister STV wiegelt ab

Nur einer der fünf kontaktierten Kunden von STV äußert sich direkt: „Wir arbeiten seit rund zwanzig Jahren problemlos mit diesem Dienstleister zusammen“, erklärt Taittinger. „Uns sind die jährlichen Kontrollen der zuständigen Arbeitsrechtsbehörden (…) bekannt, von denen uns (allerdings) bislang keine Verstöße gemeldet worden sind.“

Taittinger rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern: „Seit mehreren Jahren müssen sich alle Fachkräfte an die zunehmenden Rekrutierungsschwierigkeiten anpassen, insbesondere vor Ort.“ Diese Situation habe dazu geführt, dass während der Ernte auf Dienstleister zurückgegriffen werden müsste, um „die direkt von uns rekrutierten Teams zu unterstützen“. Das Unternehmen fügt hinzu, dass es seine Dienstleister „aufgrund ihrer Erfahrung im Weinsektor der Champagne, der Qualität ihrer Arbeit und der Transparenz unseres regelmäßigen Austauschs vor und während der Ernte“ ausgewählt habe und dessen Arbeit stetig­ überwacht. Bezüglich des Trinkwassers erklärte Taittinger, STV habe den Arbeitern Wasser in Kanistern zur Verfügung gestellt. Man habe dieses Angebot mit Flaschen ergänzt.

Der Spirituosenkonzern Pernod Ricard, zu dem Mumm gehört, teilt ledig­lich mit, man habe in diesem Jahr 85 Helfer über STV bezogen, um 30 Hektar bei Partnerwinzern zu ernten. MHCS, die Champagnersparte des Großkonzerns LVMH, lehnt auch auf Nachfrage eine Stellungnahme zu ihrer jahrelangen Zusammenarbeit mit STV ab.

Das Unternehmen erklärt bloß: „Wir bestätigen, dass wir das ganze Jahr über alles unternehmen, um die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden aller Menschen zu gewährleisten, die für uns tätig sind.“ MHCS erklärte außerdem, dass es „Prüfer aus verschiedenen Abteilungen mobilisiert“ habe. Wenn Verstöße festgestellt würden, leite man „sofort Korrekturmaßnahmen ein, bis hin zur sofortigen Kündigung des Vertrags mit einem Sub­unternehmer“.

Dominique Ledeme beobachtet die Champagnerindustrie schon lange. Über Jahrzehnte stand Ledeme an der Spitze der Schwarzarbeitskontrollbehörde im Champagne-Departement Marne. Seit gut fünf Jahren ist er in Rente, über eine linke Liste ist er in den Stadtrat von Reims gewählt worden. Im Bahnhofscafé von Reims gibt der Experte im Juli seltene Einblicke in die Auswüchse der Leiharbeit in der Region. „Vor fünfzig Jahren blühte die Champagne auf. Damals war das Kräfteverhältnis umgekehrt.“ In dieser Zeit seien die Leute „zum Arbeiten und zum Feiern“ in die Champagne gekommen. Auch er habe das einmal ausprobiert: „Das war wirklich eine verrückte Zeit.“

Mit der Fusion von Moët & Chandon und Louis Vuitton zum Luxus-Konzern LVMH im Jahr 1987 habe sich das auf einen Schlag geändert: „LVMH hat aus dem lokalen Produkt Cham­pagner ein Renditeobjekt gemacht“, sagt Ledeme. Ab Ende der 80er Jahre hätten seine Leute bei Kontrollen in der Branche zunehmend Verstöße festgestellt bei Arbeitszeiten und Unterbringung. „Schon zu dieser Zeit schliefen Arbeiter in Zelten.“

Der Stundenlohn habe nach und nach dem Akkordlohn Platz gemacht, erklärt Ledeme. Das sei zwar erlaubt, ginge aber oft zulasten der Arbeitnehmer. Viele hätten seitdem auf Leiharbeitsfirmen gesetzt, nicht nur aus Renditegründen, sondern auch wegen strenger Gesetze. „Über Jahre wurden die Unterbringungsstandards immer weiter verschärft“ und schreckten so selbst viele gutwillige Winzer ab, Arbeiter zu beherbergen, so Ledeme.

Schon seit Jahren hat die Leiharbeit in der Champagne schlechte Presse. Im Jahr 2012 wurde zum ersten Mal ein Winzer der Champagne zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er hatte über eine Briefkastenfirma hunderte Polen ohne gültige Verträge beschäftigt. 2019 gab es, nach vier Jahren Ermittlungen, ein zweites Urteil gegen einen anderen Dienstleister, der hunderte Polen unter unwürdigen Bedingungen untergebracht hatte.

Im September 2021 wurde ein weiterer Dienstleister nach einem Einsatz von Europol verhaftet. Gemeinsam mit Komplizen habe er seit 2017 „in betrügerischer Absicht unterbezahlte Arbeitskräfte“ zur Verfügung gestellt, hauptsächlich für die Traubenlese in der Champagne, so der Vorwurf. Die Rede ist von 350 bis 500 Bulgaren jährlich. Das französisch-bulgarische Netzwerk habe den französischen Staat um „mehrere Millionen Euro“ betrogen. Acht Personen werden nun der Schwarzarbeit und der Geldwäsche beschuldigt. Die Ermittlungen laufen.

In einem aufsehenerregenden Prozess erhielt im Vorjahr ein Unternehmerehepaar drei Jahre Haft und Berufsverbot wegen Menschenhandels. Über ihre Firma Rajviti hatten sie gezielt Asylbewerber angeworben und ausgebeutet. Gleich mehrere große Hersteller profitierten von diesem Subsub­unternehmer, ermittelte die Gendarmerie. Auf der Anklagebank fanden sich diese Firmen aber nicht wieder. Lediglich ein verantwortlicher Mitarbeiter der LVMH-Tochter Veuve Clicquot wurde angezeigt, bereits in erster Instanz aber freigesprochen. Die Rolle der großen Firmen wurde im Prozess nicht weiter thematisiert.

Erstaunlich, gilt doch in Frankreich seit 2017 ein Gesetz der Sorgfaltspflicht. Große Konzerne wie LVMH müssen demnach „angemessene Vorkehrungen zur Erkennung von Risiken und zur Verhinderung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen“ treffen. Schaut man sich die neuen Vorwürfe an, ist es bis dahin wohl noch ein weiter Weg.

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