piwik no script img

Hochwasser in NiedersachsenDeichrisse, Evakuierung und Kritik

Das Weihnachtshochwasser hat Niedersachsen weiter im Griff. Auch wenn der Dauerregen erst einmal aufgehört hat, gibt es noch immer keine Entwarnung.

Einsatzkräfte der Feuerwehr schaffen Sandsäcke heran, nachdem ein Nebenfluss der Leda über die Deiche getreten ist oder sie aufgeweicht hat Foto: Lars Penning/düa

Lilienthal/Rinteln/Hannover taz | „Angespannt, aber stabil“, lautet die Parole des Tages. Das Weihnachtshochwasser hat Niedersachsen auch am Mittwoch immer noch fest im Griff und die Lage bleibt ziemlich unübersichtlich. Drei Landkreise – Celle, Hildesheim und das Emsland – haben den Status „außergewöhnliches Ereignis“ ausgerufen – das ist knapp unterhalb des Katastrophenfalls, erläutert Landesbranddirektor Dieter Rohrberg in der Landespressekonferenz. Er möchte das gern als positives Zeichen deuten: Als Zeichen dafür, dass sich seit dem letzten Hochwasser 2017 eben doch einiges getan hat in Sachen Katastrophenschutz und Hochwasservorsorge. Circa 20.000 Einsätze hat die Feuerwehr an diesen Feiertagen gefahren, rund 100.000 Männer und Frauen waren damit beschäftigt – überwiegend ehrenamtlich.

Und eine wirkliche Entwarnung kann immer noch niemand geben. Zwar hat der ergiebige Dauerregen nachgelassen, aber für die kommenden Tage, auch rund um Silvester, sind weitere Regenfälle angesagt.

An den großen Talsperren, vor allem der zu mehr als 100 Prozent gefüllten Innerstetal- und Okertalsperre, sowie am überfüllten Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden im Landkreis Northeim kämpfen die Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) darum, möglichst wenig und möglichst kontrolliert Wasser abzulassen – um nicht zusätzlich eine Flutwelle in den dahinterliegenden Flüßen zu produzieren, erklärt NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer.

Ablassen müssen die Talsperren das Wasser aber unbedingt, weil sie ihre Kapazitätsgrenzen längst erreicht haben. Dass es so schwer zu kalkulieren sei, wann das Wasser dann tatsächlich wo genau ankomme, sagt Rickmeyer, liege an der derzeit schwierigen Gesamtmengelage. Im Gegensatz zu 2017 sind diees Mal viel mehr Gebiete in Niedersachsen betroffen. Die Böden sind wegen des Dauerregens nicht mehr aufnahmefähig, nicht nur die großen Flüsse, sondern auch Zuflüsse und Unterläufe führen zu viel Wasser – wo diese Wassermassen aufeinander treffen und wohin sie sich dann ihren Weg bahnen, ist schwer vorrauszusagen.

Deshalb gibt es neben den schwer betroffenen Landkreises eben eine ganze Reihe von Ortschaften, an denen sich die Lage zuspitzt, auch weil Dämme aufweichen.

Deichriss am Fluss „Wörpe“

Im Bremer Vorort Lilienthal etwa kam es am Mittwochnachmittag zu einem Deichriss am Fluss „Wörpe“. Einsatzkräfte evakuierten den Bereich, Anwohner wurden laut Auskunft der Gemeinde in eine Notunterkunft gebracht. Zuvor war wenige Straßen weiter bereits die Strom- und Gasversorgung ausgefallen, die Gemeinde empfahl den Menschen, bei Freunden und Verwandten eine Unterkunft zu suchen. Die Keller der Häuser sollten nicht mehr betreten werden.

Im Bremer Stadtteil Borgfeld, der an Lilienthal grenzt, war das Wasser des Flusses „Wümme“ ebenfalls übergetreten. Bewohner mussten das betroffene Gebiet verlassen, die Feuerwehr holte ältere Menschen aus den Häusern.

In Rinteln konnten 100 evakuierte Bewohner mittlerweile in ihre Häuser zurückkehren. Die Feuerwehr hat in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ein neuartiges Hochwasserschutzsystem installiert, um den aufgeweichten Damm zu entlasten. Die Weser ergießt sich hier aber immer noch als breiter Strom mitten durch die Stadt und steht bis auf den Hof der Feuerwehrzentrale.

Innenministerin Daniela Behrens (SPD) schwebt ein

Dort schwebte am Mittwochnachmittag Innenministerin Daniela Behrens (SPD) ein, um sich ein Bild der Lage zu machen, genauso wie an den Hotspots in Braunschweig und Celle. Für sie kommt es auch darauf an, zu überprüfen, ob die Bemühungen den Katastrophenschutz auf Landesebene besser zu verzahnen, dem Stresstest standhalten. „Wir haben ja durchaus einiges investiert – auch in die Bereithaltung von Fahrzeugen und Gerätschaften – was beim Ringen um Haushaltsmittel ja auch nicht immer ganz einfach ist“, sagt Behrens.

An ihrer Seite macht sich Bürgermeisterin Andrea Lange (Parteilos) allerdings schon Sorgen um das Danach. „Wir müssen auch darüber reden, wie wir die Schäden, die hier jetzt entstanden sind, wieder beseitigen“, sagt sie. Erst im vergangenen Sommer habe sie in Hameln die Hochwasserpartnerschaft für die Weser-Anrainer unterzeichnet. „Aber die fünf Millionen, die in diesem Topf sind, werden nicht reichen, wenn Sie bedenken, dass es von hier bis Minden jetzt gerade so aussieht“, sagt sie zu der Ministerin und deutet auf den Bildschirm hinter sich, auf dem Bilder aus dem Polizeihubschrauber in Endlosschleife laufen: Nichts als überschwemmte Felder und Straßen. Behrens nickt: „Ich nehme das mit.“

Kurz bevor die Ministerin kam ist Lange zusammen mit dem örtlichen Landtagsabgeordneten Constantin Grosch außerdem vom Inhaber eines Gärtnereibetriebes abgepasst worden, der den Tränen nahe war. Große Teile der Gärtnerei stehen schon unter Wasser, seine Maschinen und Geräte sind gefährdet, erzählt er, dazu eine Warenlieferung im Wert von einer Viertelmillion Euro. „Wenn es dann nachher Hilfsgelder in Form von Krediten gibt, nutzt mir das nichts. Ich arbeite 70 Stunden in der Woche und zahle mir selbst 1.600 Euro Gehalt im Monat aus – ich kann nicht noch einen Kredit stemmen.“ Dabei habe er schon vor Monaten darauf aufmerksam gemacht, dass die vorgesehene Regenmulde in der Nähe seines Geländes ausgebaggert werden müsste.

Kritik an Hochwasserschutzplänen wächst

Auch an anderen Orten wächst die Kritik daran, dass Hochwasserschutzpläne zu langsam umgesetzt würden. Im Landkreis Hildesheim beispielsweise, der schon 2017 arg betroffen war, fehlen immer noch Regenrückhaltebecken. „Möglicherweise müssen wir uns Gedanken darum machen, ob auch hier Planungsbeschleunigungen wie bei den LNG-Terminals greifen müssten“, sagt die Sprecherin der Staatskanzlei, Anke Pörksen, in der Landespressekonferenz. Aber das greife eben auch sehr tief in Eigentumsrechte ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    „… „Möglicherweise müssen wir uns Gedanken darum machen, ob auch hier Planungsbeschleunigungen wie bei den LNG-Terminals greifen müssten“, … Aber das greife eben auch sehr tief in Eigentumsrechte ein.“

    Für den Abtransport des Frackinggases wurden in Dithmarschen 2 Landwirte, die ihre Felder dafür nicht hergeben wollten, ohne viel Federlesens enteignet.



    Ging sehr schnell.

    Hier waren, wie immer, finanzielle Interessen großer Player im Spiel.

    Mit Bevölkerungsschutz läßt sich hingegen gar kein Geld verdienen. Im Gegenteil. Der kostet nur.

    Also läßt man die Gemeinen lieber absaufen und hofft auch das Engagement der FF.

  • Habe ich das richtig verstanden? Planungsbeschleunigungen für Regenrückhaltebecken? Dass Regenrückhaltebecken gar nicht erst gebaut wurden/werden, liegt an den vermeintlichen Planungsbeschleunigungen. Da wird nämlich meistens an der Umweltverträglichkeitsprüfung gespart und bei der wiederum an der Untersuchung des lokalen Wasserhaushalts. Man muss diesen unsäglichen Beschleunigungsmist stoppen, weil die Schäden an Mensch, Gerät und Wirtschaft anschließend um ein Vielfaches höher sind. (Ganz nebenbei ist das auch für die Umwelt besser, aber das ist diesmal gar nicht das Hauptargument!)

  • So bitter. Payback-time.



    Es wird zukünftig nicht besser werden, auch mit noch besseren Vorbereitungen und das noch dazu unter schwierigen Finanzdiskussionen.