Maßnahmen gegen Rechtsextremismus: Wo bleibt der Druck gegen rechts?

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Reichsbürger. Die Grünen fordern mehr Engagement im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Festgenommener Beschuldigter Heinrich Prinz Reuß im Verfahren gegen terrorverdächtige Reichsbürger

Wurde nun angeklagt wegen Terrorverdachts: Heinrich Prinz Reuß Foto: Boris Roessler/dpa

BERLIN taz | Die Anklage ist gerade erst erfolgt. Vor einem Jahr war die Bundesanwaltschaft gegen eine Gruppe Reichsbürger um den Frankfurter Unternehmer Heinrich Prinz Reuß vorgegangen, hatte 27 Personen festnehmen lassen und fast 400 Waffen beschlagnahmt. Ihnen wird vorgeworfen, einen Umsturz geplant zu haben, inklusive Sturm auf den Bundestag.

Über die Anklage hatte zuerst der Spiegel berichtet, die Bundesanwaltschaft wollte sich dazu vorerst nicht äußern. Verhandelt werden soll wegen der Vielzahl der Angeklagten vor gleich drei Oberlandesgerichten, denen in Frankfurt/Main, Stuttgart und München. Es ist eines der größten Terrorverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik.

Und besonders bedenklich: Unter den Beschuldigten waren auch mehrere Staatsbedienstete – Polizisten, Soldaten oder die Richterin und AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann.

Gerade erst Disziplinarrecht verschärft

Am Dienstag um 19 Uhr stellen Heike Kleffner und Matthias Meisner das Buch „Staatsgewalt“ bei einem Podiumsgespräch in der taz Kantine vor. Mit dabei sind die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız sowie die Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz (Grüne) und Marco Wanderwitz (CDU). Es wird einen Livestream geben.

Auch wegen dieses Falls hatte der Bundestag erst im November das Disziplinargesetz verschärft. Extremistische Beamte sollen damit schneller aus dem Dienst entfernt werden. Bisher zogen sich die Verfahren oft jahrelang, bei oft weiter ausgezahlten Bezügen. Auch bei Malsack-Winkemann war in der Vergangenheit eine Entfernung aus dem Richterinamt gescheitert. Nun sollen die Behörden direkt per Verwaltungsakt Suspendierungen und Entlassungen vornehmen können – die erst im Nachgang gerichtlich überprüft werden.

Die Opposition und der Beamtenbund hatten das kritisiert: Der Rechtsschutz und die Unschuldsvermutung gegen Betroffenen drohe ausgehebelt zu werden. Auch einige Länder äußerten sich skeptisch. Schleswig-Holstein änderte zuletzt gar sein Landesdisziplinargesetz, um das Bundesgesetz vorerst nicht übernehmen zu müssen.

Die Ampel-Fraktionen und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dagegen hatten betont, der Rechtsstaat dürfe nicht von innen heraus sabotiert werden. „Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen.“

Plan gegen Rechtsextremismus nur in Teilen umgesetzt

Das verschärfte Disziplinarrecht war bereits im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart und Teil eines 10-Punkte-Aktionsplans gegen Rechtsextremismus, den Faeser im März 2022 vorstellte. Von diesem Plan sind indes – anderthalb Jahre später – immer noch etliche Punkte offen. Die mitregierenden Grünen üben daran offene Kritik, ihre Fraktion veröffentlichte nun ein eigenes Maßnahmenpapier gegen Rechtsextremismus.

Es sei „dringend geboten“, die vereinbarten Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag „entschlossen umzusetzen“, heißt es darin. Es brauche eine „ressortübergreifende Gesamtstrategie“ und „alle zur Verfügung stehenden rechtstaatlichen Mittel“. Ziel müsse es sein, die fortschreitende Radikalisierung der rechtsextremen Szene zu durchbrechen und die AfD in den nächsten 10 Jahren wieder aus allen Parlamenten zu bekommen.

Konkret monieren die Grünen, dass die offenen rund 800 Haftbefehle gegen Rechtsextreme endlich vollstreckt und rechtsextreme Netzwerke tatsächlich „konsequent aufgelöst“ werden müssten. Verbote gab es hier zuletzt zumindest gegen die Hammerskins und die Artgemeinschaft. Auch die angekündigte Verschärfung des Waffenrechts und eine Entwaffnung der Szene stehe weiter aus. Diese komme „immer noch zu leicht an Waffen“, es brauche eine „absolute Versagung waffenrechtlicher Erlaubnisse für Personen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen“.

Zudem stehe der versprochene bessere Schutz von Meldedaten für Amtsträger oder sonstig demokratisch Engagierte aus. Und zum Demokratiefördergesetz gebe es zwar einen Gesetzentwurf, der aber im Bundestag festhänge.

Auch bei den Sicherheitsbehörden noch Handlungsbedarf

Und auch bei Extremisten in den Sicherheitsbehörden gebe es noch zu tun, so die Grünen. Zwar werde sich der erstmals beschlossene Polizeibeauftragte auf Bundesebene auch mit strukturellen Problemen in der Polizei beschäftigen. Die Polizei müsse sich aber weiter für die Forschung öffnen, um das dortige Ausmaß rechtsextremer Einstellungen zu erfassen. Und auch an der Behördenkultur sowie Einstellungs- und Fortbildungspraxis müsse weiter gearbeitet werden, ebenso wie am Strafrecht, um Verstöße konsequenter zu ahnden.

Grünen-Geschäftsführerin Irene Mihalic mahnte: „Wir stehen einer eng vernetzten und finanziell gut ausgestatteten rechtsextremen Szene noch immer ohne Gesamtstrategie gegenüber.“ Hier brauche es konkrete Maßnahmen und mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft. Auch die Grüne Misbah Khan sagte der taz, „in vielen Sonntagsreden wird zwar immer wieder ein entschlosseneres Vorgehen aller Demokratinnen und Demokraten gegen den Rechtsextremismus eingefordert, unterm Strich bleiben die Bemühungen allerdings weit hinter dem Möglichen zurück“.

Faeser selbst hatte sich zuletzt dagegen zufrieden mit ihrer Halbzeitbilanz geäußert. Sie habe „viele Vorhaben auf den Weg gebracht“ und im Kampf gegen den Rechtsextremismus ein „effektives Bündel kurzfristiger repressiver und präventiver Maßnahmen“ geschnürt.

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