Juristin über Abtreibungen: „Seismograf für Frauenrechte“

Die Legalisierung von Abtreibungen sei keine rein juristische Frage, sagt Jura-Professorin Liane Wörner. Sie prüft, ob sich Abbrüche anders regeln ließen.

Eine Frau hält ein Schild mit einer Zeichnung von Käthe Kollwitz, die eine schwangere Frau mit Baby im Arm zeigt und der Forderung: Nieder mit dem Abtreibungs-Paragraphen

Protest am Frauentag in Berlin gegen den Paragraphen 218 Foto: Stefan Boness

taz: Frau Wörner, Sie koordinieren in der Kommission für reproduktive Rechte im Auftrag der Bundesregierung jene Untergruppe, die prüfen soll, ob Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. Kann man sagen: Sie prüfen die Legalisierung von Abbrüchen?

Liane Wörner: Der Abbruch einer Schwangerschaft wird seit jeher vor allem als strafbar erfasst. Die Frau, die eine Schwangerschaft beendet, und die weiteren Beteiligten werden inkriminiert. Regelungen zum Konflikt außerhalb des Strafrechts existieren kaum. Die Frage, die wir prüfen, lautet: Geht das auch anders?

48, Strafrechtsprofessorin und Direktorin des Zentrums Human Data Society an der Uni Konstanz. In der von der Regierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ koordiniert sie die Arbeitsgruppe zum Schwangerschaftsabbruch.

Den größten Teil Ihrer einjährigen Arbeit haben Sie bereits hinter sich, im Frühjahr soll es Ergebnisse geben. Wie läuft es bisher?

Die Zusammenarbeit funktioniert extrem gut. Unsere Expertisen sind interdisziplinär und ergänzen sich hervorragend. Man lernt voneinander unglaublich viel. Stellen Sie sich an einem Tisch vor: Straf- und Verfassungsrechtlerinnen, eine Völkerrechtlerin, eine Sozialrechtlerin als Expertinnen für die aktuelle Rechtslage und die damit verbundenen Verfassungsgerichtsurteile – das ist wichtig für die Frage, welchen Spielraum der Gesetzgeber überhaupt hat, auch mit Blick auf den Menschenrechtsdiskurs, die WHO und die Verschränkung mit nationalem Recht.

Sozialrechtlich besteht ein großes Problem darin, dass frühe Schwangerschaftsabbrüche derzeit keine Kassenleistung sind, also grundsätzlich selbst bezahlt werden müssen, ebenso wie in den meisten Fällen die Schwangerschaftsprävention durch Verhütung. Aber die Legalisierung von Abbrüchen ist keine rein juristische Frage.

Sondern?

Das berührt weite Teile unserer Gesellschaft. Die interdisziplinär konstituierte Kommission befasst sich mit der Konfliktfrage aus Perspektive aller Beteiligten. Mit am Tisch diskutieren Medizinerinnen und Sozialwissenschaftlerinnen die Betreuungs- und Versorgungslage in Deutschland, nicht ohne, auch in ihrer Expertise vertreten, die Erörterung der ethischen Fragen: Was darf, was soll? Das hat für uns verdeutlicht, dass wir auch die Frage nach der Prävention stellen müssen: Wie könnte man dafür sorgen, dass es im besten Fall nur noch gewollte Schwangerschaften gibt?

Der Deutsche Juristinnenbund hat schon einen konkreten Vorschlag zur Legalisierung gemacht. Was halten Sie von dem?

Der Vorschlag des Juristinnenbunds ist ein Vorschlag. Wir diskutieren auch diesen. Unsere Aufgabe ist es aber nicht, einen konkreten Gesetzentwurf für die Bundesregierung auszuarbeiten. Wir loten den Spielraum aus, den der Gesetzgeber hat, um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch (neu) zu regeln, und welche Risiken er bei welcher Regelung eingeht. Zum Beispiel das einer neuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die Union hält wenig von Ihrer Arbeit. „Die Ampel macht sich ihre eigene Ethik“, hat der rechtspolitische Sprecher Günter Krings erklärt. Was antworten Sie ihm?

Das verstehen wir nicht als Vorwurf an uns. Wir reden der Regierung nicht nach der Nase. Wir arbeiten unabhängig und hören uns die Positionen aller zivilgesellschaftlichen und politischen Akteure an, das ist uns wichtig. Im Juni haben wir alle Fraktionen zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Die Union hat daran teilgenommen.

Die Unionsfraktion hat uns außerdem einen Fragebogen mit über 40 Fragen zukommen lassen und wir haben sehr freundlich geantwortet, dass wir diese in unseren Prüfbericht aufnehmen. Inhaltlich unterscheiden diese Fragen sich übrigens kaum von denen, die uns die Regierungsfraktionen gestellt haben. Dennoch: Wir schreiben den Bericht und wir bestimmen dessen Umfang.

Die Union bemängelt außerdem, die Kommission hätte eine Einladung der Fraktion abgelehnt.

Wir sind neun Expertinnen, die für zwölf Monate in eine Arbeitsgruppe berufen sind und hochkomplexe Fragen aus zahlreichen Perspektiven von Recht und Gesellschaft zur Konfliktfrage bearbeiten, Handlungsspielräume des Gesetzgebers und ihre möglichen Auswirkungen prüfen und dann einen umfassenden Bericht schreiben sollen. Hätten wir der Union noch einen zusätzlichen Extratermin eingeräumt, hätten wir das für alle anderen Fraktionen auch tun müssen. Dafür fehlt uns die Zeit. Und dafür bitten wir um Verständnis.

Gerade bei einem so polarisierenden Thema ist es ja verständlich, dass alle ihre Positionen vorbringen wollen.

Natürlich, und uns ist wichtig, allen Raum zu geben. Ende November haben wir einen ganzen Tag lang das Gespräch mit über 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen gesucht, uns ihre Leitmaximen angehört und ihnen Fragen gestellt. Wir haben auch die Religionsvertretungen gefragt, wie in einem pluralistischen Staat eine Lösung aussehen kann, mit der alle Gruppen sich einverstanden erklären können.

Und was haben sie geantwortet?

Diese Gespräche haben in einem geschützten Raum stattgefunden. Das ist wichtig, alle sollten sich sicher fühlen, ihre Perspektive vorzutragen. Deswegen werde ich daraus auch nicht zitieren. Was ich aber sagen kann und möchte: Der Tag war sehr erfolgreich und sehr lehrreich. Die Gespräche waren von großer Sachlichkeit aller Beteiligten geprägt, es gab keine Anfeindungen oder Vorwürfe.

Die Lösungsvorschläge unterscheiden sich natürlich im Detail. Aber allen war es ein Anliegen, die Konfliktbeteiligten bei einem Schwangerschaftskonflikt nicht allein zu lassen. Alle waren daran interessiert, den Sachverhalt besser zu lösen, als es offenbar derzeit stattfindet. Und das ist aus meiner Sicht die beste Chance für ein gelingendes Gesetzgebungsvorhaben und ein besserer Recht, das die Konfliktbeteiligten abholt.

Sollte der Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch?

Erstmals im Jahr 1927 hat das Reichsgericht einer Schwangeren in einer Notsituation das Recht zuerkannt, die Schwangerschaft nicht auszutragen. Was solche Notsituationen sind, müssen seither Ärz­t:in­nen und Gesetzgeber entscheiden.

Eine ungewollt Schwangere wird aber die Schwangerschaft nicht austragen, wenn sie das Kind nicht will, gleich ob der Abbruch legal oder illegal ist. Wir können versuchen, sie für eine Konfliktlösung zu gewinnen. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat die Frau in jeder Situation in Anspruch nehmen kann und darf, eine Schwangerschaft auszutragen. Kurz: Der Schwangerschaftskonflikt geht uns alle als Gesellschaft an, und wir alle sollten uns damit beschäftigen, mit welcher Regelung wir ihn am besten lösen.

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland eine Straftat, in den ersten 12 Wochen aber straffrei, wenn die Schwangere zuvor eine anerkannte Beratungsstelle aufgesucht hat. In vielen europäischen Ländern ist das Recht viel liberaler. Ist Paragraf 218 Strafgesetzbuch noch zeitgemäß?

Niemand macht einen Abbruch aus einer nachmittäglichen Laune heraus. Es geht um einen schwerwiegenden höchstpersönlichen Konflikt. Abbrüche nach Beratung sind in Deutschland in den ersten 12 Wochen zwar straffrei, aber eben trotzdem verboten; also letztlich nur geduldet. Es bleibt die Botschaft an die Frau: Das ist falsch, das sollst du nicht. Ist das wirklich richtig? Eine Konfliktlösung ist es nicht. Damit treffe ich keine Aussage über den Wert von Leben vor der Geburt. Der Gesetzgeber hat ganz klar die Aufgabe, Leben zu schützen, da kommen wir nicht drumherum. Wie aber bringen wir diese Rechte und Schutzpflichten zusammen?

Wenn Sie Ende März ihre Arbeit abschließen, steht die Europawahl vor der Tür, 2024 gibt es mehrere wichtige Landtagswahlen, und dann geht die Legislatur schon langsam zu Ende und der Bundestagswahlkampf beginnt. Besteht nicht das Risiko, dass Ihre Ergebnisse da völlig hinten runterfallen?

Ob und wie schnell aus unserem Bericht konkrete Schritte folgen werden, kann ich heute nicht sagen. Tatsächlich ist in dieser Legislatur nicht mehr viel Zeit. Wichtig ist aber die Tatsache, dass das Thema in die Hand einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlerinnen gegeben wurde, die es umfassend behandeln und durchdenken.

Das ist der erste essenzielle Schritt, und ich hoffe, dass unser Ergebnis dazu beitragen wird, dass Schwangerschaftskonflikte in Deutschland künftig besser gelöst werden können. Letztlich ist der Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch ein Seismograf für die Rechte der Frauen in einer Gesellschaft. Eine neue Legislaturperiode entwertet die Argumentation nicht.

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