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Holstein Kiel schlägt Hannover 96Störche sind Herbstmeister

Die Fußballer von Holstein Kiel überwintern an der Tabellenspitze der 2. Bundesliga. Das liegt vor allem an Trainer Marcel Rapp.

Darf vom Aufstieg in die 1. Bundesliga träumen: Holstein Kiel feiert den Heimsieg gegen Hannover 96 Foto: Axel Heimken/dpa

KIEL taz | Da staunt der Laie. Und der Fachmann wundert sich. Der verdiente 3:0-Heimerfolg im Zweitliga-Nordduell gegen Hannover 96 zum Jahresausklang war für die Fußballer von Holstein Kiel der fünfte Sieg in Folge und der insgesamt elfte in dieser Serie. Dank des Hinrunden-Vereinsrekordes von 35 Punkten können sich die Störche völlig überraschend als Herbstmeister der 2. Bundesliga feiern lassen. Selbst der im knallharten Profigeschäft gestählte Störche-Sportchef Uwe Stöver schüttelte am späten Sonnabendabend fast ungläubig den Kopf über die schillernde Momentaufnahme kurz vor Weihnachten.

Dabei hatte der 56-Jährige, der nach dieser Saison seine Wahlheimat aus freien Stücken mit unbekanntem Ziel verlässt, im zurückliegenden Sommer maßgeblich Weichen für den aktuellen Höhenflug gestellt. Der unter dem Motto „Verjüngung“ firmierende XXL-Umbruch (16 Ab- und 13 Zugänge) sollte trotz der Verluste von Eckpfeilern wie Hauke Wahl (St. Pauli), Fabian Reese (Hertha BSC) und Fin Bartels (Karriereende) eine neue Gier an der Förde entfachen. Die Realität übertrifft die Vision um Längen.

Wie schon in den Spielzeiten 2017/18 und 2020/21 dürfen die Kieler wieder von der Bundesliga träumen. Das Phänomen des Dreijahres-Rhythmus nährt zudem die alle Sozialromantiker begeisternde Vorstellung vom Underdog, der die Politik des großen Geldes mit Kreativität, Teamgeist und harter Arbeit ersetzt und mit dieser Mixtur Riesentriumphe feiert. Mit einem Kader, der stetig personellen Widerständen trotzt. So fehlten gegen Hannover mit den angeschlagenen Benedikt Pichler und Steven Skrzybski die beiden Torjäger.

Der Architekt des Kieler Weges heißt Marcel Rapp. Der Ex-Kieler Reese hatte den 44-jährigen Cheftrainer unlängst im Kicker öffentlich geadelt: „Ich bin dankbar, dass ich unter ihm trainieren durfte. Denn er ist ein Trainer, der Spieler verlässlich besser macht.“ Rapp, der für ein Höchstmaß an taktischer Flexibilität steht, erntet derzeit den Lohn für einen Entwicklungsprozess, der mit seiner Inthronisierung im Oktober 2021 begann.

Fokus auf junge Talente

Als ehemaliger Nachwuchscoach der TSG Hoffenheim hatte der gebürtige Pforzheimer keine Bauchschmerzen, junge Spieler ins kalte Zweitliga-Wasser zu werfen. Wie den aus Dortmund ausgeliehenen Tom Rothe (19). Oder auch den Innenverteidiger Colin Kleine-Bekel (20), dessen Werdegang als Blaupause für Altersgenossen der Branche dienen könnte.

Als deutscher U19-Meister wechselte der baumlange Blondschopf im Sommer 2022 vom großen BVB zu den Störchen. Ein Jahr lang akklimatisierte sich Kleine-Bekel in der zweiten Kieler Mannschaft auf Regionalliga-Niveau in Absprache mit den KSV-Verantwortlichen im Herrenbereich. Heute ist er nicht nur fast unverzichtbare Zweitliga-Stammkraft, sondern auch fester Bestandteil der U21-Nationalmannschaft.

Und auch der einstige, über Jahre in der Versenkung verschwundene Ex-HSV-Himmelsstürmer Fiete Arp blüht unter Rapps Regie massiv auf. Gegen Hannover schnürte der 23-Jährige den ersten Doppelpack (27., 45.) seiner Profikarriere. „Für viele Jungs hier ist es viel wert, bei einem kleinen Verein wie Holstein Kiel Geschichte zu schreiben. Weitere Rekorde zu brechen, das ist es, was unseren Hunger antreibt“, so Arp.

Aufstieg? Die Kieler mühen sich mit Blick auf die erst 17 absolvierten Spieltage, die mit diesem Wort verbundene Erwartungshaltung zu relativieren. Eine Bescheidenheit, die sich im unaufgeregten Profiidyll an der Ostsee optimal ausleben lässt. An Selbstbewusstsein indes mangelt es den Störchen nicht.

„Wir dürfen alle stolz sein. Wir spielen guten und intensiven Fußball. Wenn wir daran in der Rückserie anknüpfen, dann können wir uns alle ausmalen, was passiert“, gab der seinen dritten Frühling erlebende Mittelfeld-Routinier Lewis Holtby (33), dessen Vertragsverlängerung bis 2025 am Sonnabend gebührend bejubelt wurde, stellvertretend zu Protokoll. „Träumen darf natürlich jeder“, ergänzte Defensiv-Allrounder Timo Becker, der für die 1:0-Führung (26.) verantwortlich gezeichnet hatte.

Krise in Hannover

Das Kontrastprogramm bietet Hannover 96. Die Niedersachsen ließen sich in Kiel nach gutem Beginn vom brillanten Umschaltspiel der Störche düpieren. Mit 24 Zählern weist das Konto des traditionell höchst ambitionierten Klubs vier Punkte weniger als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres aus: Eine sportliche Entwicklung unter Trainer Sebastian Leitl, die im krassen Missverhältnis zu den wirtschaftlichen Aufwendungen steht.

Der interne Zwist nach dem für einen Stimmungsboykott der organisierten Fans sorgenden DFL-Votum pro Einstieg eines Investors kommt da hinzu. Hat der mächtige Geschäftsführer der 96-Management GmbH, Martin Kind, entgegen der Klubanweisung mit Ja gestimmt und damit der DFL-Mitgliederversammlung am vergangenen Montag die erforderliche Zweidrittelmehrheit für den umstrittenen Milliardendeal beschert? Kind schweigt zwar mit Hinweis auf die geheime Wahl.

Der Baum an der Leine brennt darum an allen Fronten lichterloh. Wahrlich keine schöne Bescherung.

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