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Baustellen-Unfall in Hamburgs HafencityLange Mängelliste vor dem Einsturz

Fünf Arbeiter starben bei einem Unfall auf einer Baustelle in der Hamburger Hafencity. Kurz zuvor stellten Kontrolleure Mängel beim Arbeitsschutz fest.

Wer war schuld? Großeinsatz nach dem Unfall auf der Baustelle in der Hamburger Hafencity Foto: dpa | Bodo Marks

Hamburg taz | Noch immer ist unklar, wie es Ende Oktober auf einer Großbaustelle im Überseequartier in der Hamburger Hafencity zu einem tödlichen Unfall kommen konnte: Dort war ein Baugerüst aus dem achten Obergeschoss in einen Fahrstuhlschacht gestürzt, fünf Bauarbeiter kamen ums Leben. Doch völlig unvorhersehbar war ein Unfall auf der Baustelle wohl nicht, wie nun Angaben des Hamburger Senats zeigen. So hatten die Behörden wenige Tage vor dem Einsturz mehrere Mängel auf der Unglücksbaustelle festgestellt.

Auf zwei parlamentarische Anfragen der oppositionellen CDU- und der Linksfraktion bestätigt der Senat, dass es nur zehn Tage vor dem Unfall eine Kontrolle der Baustelle durch das zuständige Amt für Bauordnung und Hochbau gab. Die Kontrolleure stellten diverse Mängel bei der Arbeitssicherheit fest. Unter anderem fehlten Absturzsicherungen, Verkehrswege seien nicht sicher begehbar gewesen und die persönliche Schutzausrüstung der Arbeiter gegen einen Absturz war nicht geprüft worden. Außerdem bemängelten die Kon­trolleure, dass es nicht genügend weisungsbefugtes Aufsichtspersonal gab, das auch Deutsch spricht.

Dennis Thering, CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft, betont, dass dem Senat diese Mängel bekannt gewesen seien. „Die Sicherheit auf Hamburgs Baustellen muss höchste Priorität haben“, sagt Thering. „Vor diesem Hintergrund ist es für mich fraglich, wieso der Senat auf der Unglücksbaustelle nicht eingriff.“

Die Anfrage der beiden Linkenabgeordneten Olga Fritzsche und David Stoop zeigt, dass bei jeder der 23 seit Anfang 2022 durchgeführten Kontrollen Mängel im Arbeitsschutz zutage kamen, die zum Teil erst nach mehrfachen behördlichen Anordnungen abgestellt wurden. „Folgen scheint das keine gehabt zu haben, die Baustelle wurde jedenfalls nicht wegen der laxen Sicherheitskultur stillgelegt“, kritisiert Fritzsche.

Immer wieder schwere Unfälle

Die Hafencity ist derzeit das größte innerstädtische Stadtentwicklungsvorhaben Europas. Der schwere Unfall auf der Baustelle im Überseequartier war im Jahr 2023 schon der fünfte gemeldete Unfall auf den Baustellen in der Hafencity und auch in den letzten Jahren kam es zu mehreren schweren Unfällen.

An fehlenden Kontrollen kann das laut Behörde aber nicht liegen. Auf den Baustellen in der Hafencity gebe es ein sehr engmaschiges Kontrollsystem, erklärt Andre Stark, Sprecher der zuständigen Stadtentwicklungsbehörde. Mit teilweise 2.000 Beschäftigen gleichzeitig würde die Baustelle im Überseequartier vom Amt für Bauordnung und Arbeitsschutz regelmäßig geprüft werden. Hinzu betont Stark, dass keine der zuvor festgestellten Mängel an dem eingestürzten Gerüst gefunden wurden.

Bernhard Arenz, der bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) die Abteilung Prävention leitet, gibt zu bedenken, dass auf Baustellen nicht allein die Behörden Verantwortung tragen. „In Deutschland gibt es ein duales Arbeitsschutzkonzept“, sagt Arenz. Schon der Bauherr müsse den Arbeitsschutz in seinen Planungen koordinieren und vertraglich regeln. Auch die ausführenden Firmen hätten Verantwortung für ihre Beschäftigten, so Arenz. Die Behörden führten demnach lediglich stichprobenartige Kontrollen durch, um die Arbeit der beiden anderen Instanzen zu prüfen, erklärt er.

In der Hafencity sei diese Organisation über verschiedene Ebenen umso wichtiger, weil es sehr viele Beschäftigte gebe, die gleichzeitig an vielen Stellen arbeiten. Dadurch steige das Risiko der gegenseitigen Gefährdung.

„Dass bei den behördlichen Kontrollen Mängel festgestellt werden, ist bei großen Baustellen vollkommen normal“, sagt Arenz. Einen Baustopp würde es deshalb aber in den seltensten Fällen geben. Häufig würden mangelhafte Gegenstände aber bereits während einer Begehung aus dem Verkehr gezogen.

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3 Kommentare

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  • Viele Bauarbeiter auf Baustellen der Hafencity stammen aus Osteuropa. Sie arbeiten zum Teil innerhalb eines verschachtelten Sub-Unternehmensystems, dass klare Verantwortlichkeiten für den Arbeitsschutz erschwert.



    Zeitverzug ist eine weitere große Gefahr, die Bauarbeiter einzelner Gewerke unter Druck setzt.



    Mangelhaft auch, dass es kaum eine gewerkschaftliche Vertretung in den vielen ausländischen Baufirmen, bzw. bei Arbeiterüberlassungen (Zeitarbeit) gibt.

    Bauarbeiter wissen mit Sicherheit um die unsicheren Arbeitsumstände, schweigen aber vermutlich aus Angst um ihren Job.



    Hoffentlich ermittelt die Kriminalpolizei aufgrund des letzten schweren Arbeitsunfalls.

    Stichproben der Behörden sind wirkungslos, wenn bei einer Großkontrolle der Prüftermin aufgrund der vielen involvierten Behördenmitarbeiter gegen Geld durchgestochen wird.

  • Solche Bauherren müssen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden!

    • @Ajuga:

      1. Wahrscheinlich meinen Sie Auftragnehmer.



      2. Vermutlich handelt es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag, sondern privatwirtschaftliche Konzerne und Einzeltaschenspieler wie Rene Benko sind in der Hamburger HafenCity Bauherren.



      3. Also sollten solche skrupellosen Auftraggeber generell nicht mehr im Baugewerbe tätig sein dürfen. Das wäre die richtige Konsequenz aber



      4. Der Fachkräftemangel lässt uns ja über so manches hinwegschauen und ohne Rücksicht auf Menschenverluste Luxus bauen, Luxus bauen, Luxus bauen und dann teuer verkaufen gehört eben zu unserem Wirtschaftssystem.