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Reform des Berliner Schulgesetzes„Wir legen ein Veto ein“

Das Probejahr am Gymnasium muss weg, sagt Maja Lasic (SPD). Sie ist in mehrerer Hinsicht unzufrieden mit dem geleakten Entwurf zum Schulgsetz.

Das Probejahr am Gymnasium muss weg Foto: Jürgen Ritter/Imago-images.de
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Lasic, wie finden Sie den Ent­wurf der CDU-Bildungsverwaltung zum Schulgesetz, der jetzt öffentlich wurde? Was sagen Sie etwa zur Abschaffung des Elternwillens beim Übergang nach der Grundschule?

Maja Lasic: Ja, leider ist der Entwurf schon draußen, bevor wir in der Koalition gesprochen haben. Tatsächlich ist die Neuausgestaltung des Übergangs zur Oberschule wichtig, das hat die SPD in den Koalitionsvertrag hinein getragen. Das Probejahr in der bisherigen Form hat sich als Steuerungsinstrument als problembehaftet erwiesen.

Warum?

Das Probejahr an Gymnasien ist vor allem für die Kinder, die „zurück“ müssen auf die Sekundarschule, eine extreme psychische Belastung. Bei der Abschaffung sind wir uns in der Koalition also einig.

Im Interview: Maja Lasic

geboren 1979, ist Sprecherin der SPD-Fraktion für Bildung und Wissenschaft im Abgeordnetenhaus. Von Oktober 2022 bis März 2023 war sie Schulstadträtin in Mitte.

Aber was dann?

Wir als SPD würden gerne nah am Brandenburger Modell bleiben, also mit der Förderprognose der Grundschule anfangen. Wenn Familien, wo die Prognose nicht positiv beschieden wird, dennoch das Gymnasium besuchen wollen, gibt es eine zweite Chance die Eignung des Kindes festzustellen.

Wie?

Auch der Punkt ist nicht geeint in der Kollektion. Es kann eine Art Probeunterricht sein oder ein Test, der sich an Kompetenzen orientiert, oder individuelle Gespräche zur Eignungsfeststellung. Wir können uns verschiedenes vorstellen.

Was ist also Ihr Problem mit dem Referenten-Entwurf?

Dass eine Probezeit weiter drin ist, genau das wollen wir ja laut Koalitionsvertrag abschaffen! Das ist für uns unverhandelbar. Im CDU-Entwurf ist der Elternwille zudem komplett gestrichen. Im SPD-Entwurf lassen wir den Elternwillen so wie bislang bestehen.

Wie das? Wenn man doch einen Eignungstest braucht fürs Gymnasium oder ähnliches?

Auch jetzt gilt der Elternwille nicht absolut: Wer das Probejahr am Gymnasium nicht bestanden hat, konnte keinen Elternwillen mehr geltend machen. Wir ersetzen jetzt nur diese Einschränkung durch die Leistungserstellung im Vorfeld des Gymnasiumsbesuchs.

Ein anderer Streitpunkt: Die CDU möchte mehr Religion an Schulen. Wie finden sie das?

Gegen die jetztige Formulierung im Entwurf müssen wir ein klares Veto einlegen. Denn da wird nun das Bedürfnis von Familien nach Religionsunterricht gestrichen zugunsten des Bedürfnisses der Religionsgemeinschaften Unterricht anzubieten. Sobald eine Gemeinschaft das will, soll eine Schule das einrichten müssen. Das wird es mit uns nicht geben. Wir müssen eine andere Formulierung finden, die weiterhin vom Elternwillen ausgeht. Die Verhandlungen werden zeigen, wie wir uns da annähern können.

Dritter Punkt: Es soll ein 11. Pflichtschuljahr geben. Warum? Ist das nicht nur eine verlängerte Warteschleife vor der Ausbildung?

Im Gegenteil. Wir haben ja das Problem, dass uns jedes Jahr tausende Abgänger nach der zehnten Klasse komplett verloren gehen, die weder eine Ausbildung machen noch eine Berufsvorbereitung besuchen. Wir als SPD würden gerne eine Verpflichtung im Gesetz haben, die diesen Jugendlichen neue, sehr praxisorientierte Angebote macht. Das ist das, was wir am Referentenentwurf bemängeln. Das 11. Pflichtschuljahr ist für uns überhaupt nicht problematisch – aber das zentrale Angebot, was dann für die Betroffenen reformiert werden muss, die IBA, bleibt im Entwurf unverändert und damit nicht ausreichend für künftige Bedarfe.

Was ist IBA?

IBA ist die Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung, da kommt man rein, wenn man nach der 10. Klasse abgeht und einen Mittleren Schulabschluss (MSA), die erweiterte Berufsbildungsreife (EBBR) oder die Berufsbildungsreife (BBR) nachholen will. Auch Willkommensklasse-Schüler, die älter sind als 10. Klasse, kommen da rein. Aber zu viele Schulabgänger kommen da bislang eben nicht rein, sie gehen „verloren“.

Was wollen Sie also tun?

IBA hat super Erfolgs­quoten, auch wegen der Berufseinstiegsbegleiter. Wir würden dieses Angebot gerne stärker differenzieren und ausweiten. Die Idee dahinter ist, je größer die Schulferne desto mehr Praxisanteile muss die Begleitung durch IBA haben. Im Mittelpunkt steht Anschluss vor Abschluss, Schule ist kein Selbstzweck.

Das 11. Pflichtschuljahr heißt also: IBA für alle?

Genau! Alle, die keinen Anschluss nach der 10. Klasse haben, müssen in die IBA gehen – und die muss sich dafür weiterentwickeln. Damit die Jugendlichen dort, im praxisorientierten System der Oberstufenzentren, erfahren, dass sie Spaß haben können am Arbeiten – und eigentlich gar nicht so schulfern sind, wie sie denken.

Und wenn man nach der 10. Klasse eine Ausbildung macht?

Ja, das geht auch. Das 11. Pflichtschuljahr ist nur für Jugendliche, die noch nicht den eigenen Weg gefunden haben.

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2 Kommentare

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  • Der Religionsunterricht als Wahlpflichtfach betrifft die älteren Schüler. Sie sind eigenständige Individuen, rechtlich gesehen religionsmündig, und entscheiden selbst, ob sie sich den Mumpitz anhören wollen oder nicht. Der Elternwille kann und darf hier keine Rolle spielen.



    Skandalös ist, dass der Senat sich von den Religionsgemeinschaften vorschreiben lässt, was in den Schulen gelehrt werden soll. Zweitausend Jahre alte Glaubensdogmen gehören nicht in die Schule.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    In Baden-Württemberg hat es sich seit langem bewährt, das Bildungssystem nach oben durchlässig zu gestalten, also Kindern die Möglichkeit zu geben, von Real- oder Hauptschulen auf einen gymnasialen Zweig zu wechseln.

    Den weiteren schulischen Werdegang anhand eines Tests, eines Gesprächs oder ein paar Probestunden festzumachen, halte ich für etwas fragwürdig. Einmal stellt sich hier die Frage, warum solch eine Evaluierung hinsichtlich der Eignung für den schulischen Alltag aussagekräftiger sein soll als die täglichen Erfahrungen aus dem Grundschulunterricht, dann hängt es von der Persönlichkeit des Kindes ab, ob seine Eignung unter diesen mit Druck verbundenen Umständen überhaupt zum Vorschein kommt und nicht zuletzt dürfte zu erwarten sein, dass ehrgeizige Eltern ihre Kinder gezielt auf solche Förderprognosen vorbereiten, was eine entsprechende Industrie auf den Plan ruft.