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Hertha-BSC-Präsident über Kommerz„Das sind Investoren ohne Zukunft“

Kay Bernstein erklärt, wie er die Kommerzialisierung im Fußball zurückdrehen will. Und wie sich das mit dem Mehrheitseigner des Klubs verträgt.

Dauerpatient Hertha: Bernstein nimmt an der Mitglieder­versammlung vom Krankenbett aus teil Foto: imago
Interview von Johannes Kopp und David Kulessa

taz: Herr Bernstein, bei Ihrem Investor, der knapp 80 Prozent der Kapitalanteile von Hertha besitzt, freut man sich auf die Phase der „Hyperkom­mer­zia­li­sierung“ des Fußballs, die uns bevorsteht. Diese Ansicht vertritt zumindest Josh Wander, der Geschäftsführer von 777 Partners. Freuen Sie sich auch darauf?

Kay Bernstein: Ich würde die Lage anders einschätzen. Gerade im deutschen Fußball befinden wir uns auf einem Konsolidierungs- und Selbstfindungskurs. Wir fragen uns, wofür dieser Fußball stehen soll, was er bewirken soll und wie wir ans Ziel kommen. Nach der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine ist die Investitionsfreude geringer. Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Ich sehe noch keine Goldgräberstimmung.

Im Interview: Kay Bernstein

43, stand bei Hertha BSC lange als Vorsänger in der Fan-Kurve und wurde im Juni 2022 zum Vereinspräsidenten gewählt. Bernstein ist E-Porsche-­Besitzer und war zuletzt Unternehmer im Eventbereich.

Wie würden Sie sich den Fußball in 20 Jahren wünschen? Hyperkommerzialisiert vermutlich nicht …

Verantwortungsvoll, ehrlich, weltoffen. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder mehr miteinander reden, unterschiedliche Meinungen aushalten, aber ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Das hört sich recht allgemein an. Sie haben bereits konkretere Wünsche formuliert. Etwa dass alle Bundesligaspiele wieder zeitgleich um 15.30 Uhr angepfiffen werden.

Der Vorschlag war auf die Nachhaltigkeit bezogen. Wenn wir es damit ernst meinen, dann ist die Frage, welche Rahmenbedingungen wir dafür schaffen müssen. Dies radikal umzusetzen, wird schwer im Fußball. Aber eine Anstoßzeit um 15.30 Uhr wäre eine Möglichkeit, dann können auch die Freiburger nach einem Spiel in Berlin noch mit dem Zug nach Hause fahren. Wir stellen fest, dass der Fußball inflationär überreizt wird. Wir sollten dieses Rad ein bisschen zurückdrehen, hin zur Verantwortung und nicht hin zur nächsten Million.

Wenn Sie von „wir“ sprechen, ist dann Hertha gemeint, oder gibt es ein Bündnis von Vereinen, die darüber im Gespräch sind?

Beides. Es gibt ein Bündnis von Vereinen, die sich nach einem ähnlichen Weg sehnen. Ob das der Hamburger SV, Hannover 96, der 1. FC Magdeburg oder der VfB Stuttgart ist. In den letzten Jahren ist an vielen Standorten eine Veränderung zu beobachten. Und dennoch sind gewisse Strukturen gerade bei der DFL und dem DFB nicht auf Innovation und Fortschritt angelegt, sondern sehr oft auf Selbsterhalt.

Geht es weniger mächtigen Vereinen wie Hertha um den besseren Fußball für alle oder letztlich doch auch um die eigenen Interessen und die Nähe zu den großen Geldtöpfen?

Ich kann nicht für die anderen sprechen. Bei Hertha BSC ist es so, dass wir eine toxische Situation vorgefunden haben. Das Umfeld war zerstritten, die Gremien hatten unterschiedliche Auffassungen von dem, was gemacht werden muss. Wir mussten die Gremien befrieden, Vertrauen in die Organisation herstellen, für die Mitglieder, die einzelnen Stakeholder, Partner, Politik, Sponsoren, Mitarbeitende. Wir haben einen wirtschaftlichen Irrsinn produziert. Wir brauchten erst mal eine ganz klare Transformation im Verein und dazu den sportlichen Umbruch im Sommer. Wir müssen die Fehler der Vergangenheit korrigieren, um überhaupt wieder handlungsfähig zu werden.

Sportwettenanbieter als Werbepartner haben Sie vor der Wahl zum Hertha-Präsidenten verteufelt. Jetzt ist ein solcher zum Ärger vieler Fans Trikotsponsor. Wie passt das zu Ihren Visionen?

Die Kritik daran kann ich gut verstehen, gerade von denen, die meinen Wahlkampf und das dafür aufgesetzte Visions­papier wahrgenommen haben. Natürlich gäbe es in einer perfekten Welt, wie ich sie mir für den Fußball vorstelle, keine Investoren und Wettanbieter auf der Brust. Ich hätte es mir einfach machen und als ehemaliger Ultra sagen können: „Um Gottes willen, ich riskiere den Verlust meiner Glaubwürdigkeit.“ Aber dann wäre die Schlagzeile gewesen: „Bernstein verhindert 2-­Mil­lio­nen-­Euro-­Deal.“ Dabei hätte ich die Entscheidung als Präsident letztlich gar nicht verhindern können.

Ist das nicht der Kern des Problems, warum der Fußball nicht besser werden kann? Vereine entscheiden, was ihnen kurzfristig die Not diktiert.

Wir versuchen schon, langfristig zu denken. Aber der Markt hat sich verändert, Budgets haben sich verschoben. Und Hertha hat in den letzten Jahren nicht unbedingt Werbung dafür betrieben, dass große industrielle Marken sich mit dem Image des Vereins verknüpfen wollen. Du kannst auf das Geld von dem Wettanbieter verzichten, aber du kannst es auch nehmen und damit die Weichen für die Zukunft stellen.

Wegen Ihrer Vergangenheit werden Sie vornehmlich als Ultra-Präsident wahrgenommen. Ihre Vergangenheit als Unternehmer wird dagegen ausgeblendet. Nervt das, oder ist das auch nützlich?

Solange man mich dadurch unterschätzt, kann ich damit gut leben. Dass zwischen aktiver Zeit in der Kurve und dem Präsidentenamt 16 Jahre liegen, vergessen die meisten Leute. Das war eine lange Zeit der Sozialisierung jenseits der Kurve hin zur Selbstständigkeit, zum Kapitalismus, zum Unternehmertum. Ich sehe es als großen Vorteil, beide Seiten zu verbinden.

Wohin sollen die nächsten Schritte konkret führen? Gibt es beispielsweise Pläne, in fünf oder zehn Jahren die Anteile vom Investor zurückzukaufen?

Hertha BSC ist in der Vergangenheit sehr oft auf die Schnauze geflogen mit seinen Zukunftsvisionen. Aber wir haben natürlich den Antrieb, uns in eine Ausgangssituation zu bringen, die uns irgendwann wieder handlungsfähig macht. Dafür ist ein gesunder Verein, eine gesunde Organisation und eine gute Jugendakademie notwendig. Wir wollen im Nachwuchsleistungszentrum den Nachweis erbringen, dass wir wirklich bereit sind, im Profikader Plätze für die Akademie vorzuhalten.

In Ihre Amtszeit fällt auch der Verkauf der Anteile von Lars Windhorst an 777 Partners. Wie nehmen Sie den neuen Investor wahr?

Dass es unterschiedliche Meinungen und Konflikte gibt, liegt in der Natur der Sache. Die Frage ist, wie man damit umgeht und wie viel davon in der Öffentlichkeit landet. Hier ist die Partnerschaft von anderer Qualität als die mit Lars Windhorst.

Inwieweit profitiert Hertha davon, das 777 Partners bei vielen anderen Fußballvereinen mit drin ist?

Wir profitieren, weil wir Zugang zu vielen Informationen bekommen, die wir sonst nicht hätten. Was machen sie in Lüttich, was machen sie in Paris oder Genua? Wie sehen ihre Probleme im Alltag aus? Wie funktioniert das auf dem Hybrid­rasen? Wie funktioniert das mit den Jugendspielern? Das betrifft aber auch Bereiche wie Marketing, Finanzen oder Nachhaltigkeit. Über dem Olympiapark schwebt eine imaginäre große Glocke, wer hier täglich arbeitet, kommt selten raus. Da hilft der Austausch.

Helen Breit, eine Sprecherin der aktiven Fanszene, hat kürzlich gesagt, Mehrfachbeteiligungen schadeten der Integrität des Wettbewerbs. Und beim SC Freiburg bekannte Sportdirektor Jochen Saier auf der Jahreshauptversammlung im Oktober, der ein oder andere geplante Transfer sei an dieser neuen Besitzerkonstruktion gescheitert. Es verändert offensichtlich den Markt.

Ich würde das Red-Bull-Konstrukt als wesentlich aggressiver beschreiben, das den Markt stärker verändert. Dieses Modell ist auf Synergieeffekte ausgelegt. Bei uns würde es nicht funk­tio­nie­ren, weil wir mit 777 Partners andere Anteilsverhältnisse haben als die Klubs in Paris, Genua oder Lüttich. Wenn 777 Partners auch noch eine Spielerberateragentur aufmachen würde, dann würde ich Ihnen recht geben, weil es dann ein geschlossener Markt wäre.

Sie glauben, es würde dem Wettbewerb nicht schaden, wenn 777 Partners beispielsweise bei Elversberg einsteigen würde?

Das ist sehr konstruiert, aber auch in dem Fall hätte man immer noch die 50+1-Regel. Die Hoheit im täglichen Tun liegt in der Entscheidungsgewalt der Vereine. Und letztlich geht es immer noch um Leistungssport, um das Gewinnen. Die Frage ist, wo sich der Fußball hin entwickelt. Ist Private Equity ein Zukunftsmodell?

Was glauben Sie?

Ich persönlich glaube, dass das nicht funktionieren wird.

Sie stellen die Sinnhaftigkeit des Projekts von 777 Partners infrage?

Nein, die würde ich ihnen nicht absprechen. Sie haben einen anderen Blickwinkel.

Was macht Hertha, wenn 777 Partners sich Geld aus Saudi-Arabien besorgt?

Dann können wir traurig sein und das doof finden. Letztendlich haben wir darauf aber keinen Einfluss. Wir haben nur ein Mitspracherecht, wenn 777 Partners seine Anteile wieder verkaufen will.

Das hört sich angesichts Ihrer Visionen frustrierend an.

Man ist gefangen in der Real­poli­tik.

Aber muss man dann nicht schleunigst raus aus diesem Geschäft?

Man muss schleunigst alles dafür tun, um in die Situation zu kommen, das beheben zu können. Aber das ist schwierig. Wir haben natürlich auch die Stimmen gehört, die im Sommer gesagt haben, der ehrlichere Weg wäre der Gang über die Regionalliga und die Insolvenz, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Und dann haben wir gesagt, das ist keine verantwortbare Option gegenüber den Vereinsmitgliedern, den Fans und den Angestellten. Zudem ist Hertha ein Wirtschaftsmotor auch für Dienstleister. Wir sind gefangen in der Realität. Idealerweise beheben wir irgendwann die Fehler der Vergangenheit. Dahin zu kommen, muss man sich aber erst einmal erarbeiten. Ansonsten wäre es Träumerei.

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