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Novelle des Berliner PolizeigesetzesKein Vergleich mit den USA

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) weist die Kritik von Experten am Entwurf für das neue Polizeigesetz zurück. Sie beruft sich auf Erfahrungswerte.

„Das höre ich jeden Tag“: SPD-Innensenatorin Iris Spranger Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Sie sei überzeugt, „dass wir ein sehr, sehr gutes Polizeigesetz für Berlin bekommen“, sagte Innensenatorin Iris Spranger am Montag im Abgeordnetenhaus. Dass es „unterschiedliche Meinungen“ zu der von Schwarz-Rot vorgelegten Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog) gebe, sei „völlig in Ordnung“, so die SPD-Politikerin im Innenausschuss. Letztlich habe sie aber lange für eine Neufassung gekämpft – „und das wird es jetzt auch geben“.

Ob es um den flächendeckenden Einsatz von Bodycams und Elektroschockgeräten ging oder der Verlängerung des Präventivgewahrsams: Gleich drei von vier eingeladenen Ex­per­t:in­nen hatten zuvor bei einer öffentlichen Ausschussanhörung deutliche Kritik geübt und vor handwerklichen Fehlern und verfassungswidrigen Details in dem Gesetzentwurf gewarnt. Spranger nahm das zur Kenntnis, versprach auch, dass sich die Koalition die Einwände „anschauen“ werde.

Generell zeigte sie sich aber ungerührt von der Kritik der Landesdatenschutzbeauftragten Meike Kamp sowie der Juristen Thomas Feltes und Hartmut Aden. Zumal mit Oliver Tölle, dem ehemaligen Chefjustiziar der Polizei Berlin, Experte Nummer 4 das neue Asog ausdrücklich als „beachtlichen Schritt“ lobte.

Gegebenenfalls, erklärte Tölle, „muss man auch den Schneid haben und das Gesetz auch noch mal verändern“. Aber erst einmal könne „man auf der Straße damit etwas anfangen“. Worte, die der Senatorin sichtlich gefielen. „Das höre ich jeden Tag“, pflichtete Spranger ihm bei.

Spranger hat sich ausführlichst unterhalten

Wie Tölle verteidigte auch Spranger in dem Zusammenhang den von ihr schon lange geforderten regelhaften Einsatz von Tasern. Den Hinweis auf die in den USA registrierten jährlich über 50 Todesfälle nach einem Taser-Einsatz ließ sie nicht gelten. In den USA, so Spranger, würden Po­li­zis­t:in­nen ja auch anders ausgebildet als in Deutschland. Und sie persönlich werde immer wieder „gelobt für die sehr deeskalierende Arbeit“ der Polizei: „Da vergleiche ich mich doch nicht mit Amerika.“

Empört wies die Senatorin den Vorwurf des Linke-Innenexperten Niklas Schrader von sich, sie arbeite in ihren Argumentation für die schwarz-rote Asog-Novelle vor allem mit „anekdotischem Wissen“ statt mit empirischen Erkenntnissen. Sie berufe sich mitnichten auf Anekdoten, erwiderte Spranger: „Das sind Erfahrungswerte.“ Mit Blick auf den Taser etwa habe sie sich mit dem Spezialeinsatzkommando, das den Taser bereits nutzt, „ausführlichst unterhalten“.

Der Grünen-Abgeordnete Vasili Franco zeigte sich nach der Ausschusssitzung einigermaßen konsterniert. Die Anhörung sei im Grunde „ein deutliches Stoppschild für den Gesetzentwurf des Senats“ gewesen, sagte der innenpolitische Fraktionssprecher zur taz. Dennoch würden „wissenschaftliche Erkenntnisse scheinbar komplett ignoriert und verfassungsrechtliche Pflichten bei Seite gewischt“. Wenn der Koalition „der Rechtsstaat mehr als nur eine Phrase wert ist“, müsse sie hier „massiv nachbessern“.

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2 Kommentare

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  • „Anekdotisches Wissen“ sind sog. „Erfahrungswerte“. Es wurden Daten und systematische Prüfung angemahnt; Frau Senatorin zeigt sich an Wissen und Erkenntnis völlig uninteressiert! Zum Haareraufen.

  • Die Taser sollten nur ausgegeben werden, nachdem Frau Spranger sich den Auswirkungen der Geräte selbst einmal ausgesetzt hat. In Spezialeinheiten ist das wohl üblich. ;)