Aktivistin über Hilfe für Verschleppte: „Der Krieg hat uns alle verändert“

Vormittags studieren, nachmittags für die Freilassung verschleppter Ukrai­ne­r:in­nen kämpfen. Die russische Aktivistin Polina Murygina im Gespräch.

Frau kniet mit halb übergeworfenem schwarzen Mantel

Polina Murygina studiert in Flensburg- und hilft nebenbei, verschleppte Ukrai­ne­r:in­nen zu finden Foto: Every Human Being

wochentaz: Frau Murygina, als Menschenrechtsaktivistin und Anwältin helfen Sie den Familien von nach Russland verschleppten Ukrainer:innen. Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit manchmal wie David gegen Goliath?

Polina Murygina: Die humanitären Organisationen, die den Ukrai­ne­r:in­nen helfen, sind wie David – in dem Sinn, dass sie schwach sind. Russland hat einen schrecklichen Krieg begonnen. Gleichzeitig erfüllen die Vereinten Nationen nicht ihre Pflicht, wie sie in der Genfer Konvention steht. Damit tragen sie dazu bei, Russland zu Goliath zu machen. David hat ja am Ende gesiegt. Ob das bei uns auch so sein wird, da bin ich nicht sicher.

Polina Murygina machte einen Bachelor- und Masterabschluss in Rechtswissenschaften an der Staatlichen Universität Moskau. Anschließend arbeitete sie für die Stiftung des Oppositionellen Alexei Nawalny. Weil die russische Regierung sie als Extremistin einstufte, verließ sie 2021 das Land.In Flensburg schrieb sie sich für „European Studies“ ein. Als Anwältin und Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation „Every human being“ unterstützt sie die Opfer von Kriegsverbrechen.

Weil es so schwer ist, zu Erfolgen zu kommen?

Wir kümmern uns um deportierte Kinder, zivile Geiseln und Kriegsgefangene. Manchmal ist es kompliziert. Die russische Seite nimmt beispielsweise zivile Geiseln, wir als An­wäl­t:in­nen bemühen uns um ihre Freilassung. Aber da es durch die Genfer Konvention verboten ist, zivile Geiseln zu nehmen, gibt es gar kein Verfahren, um sie wie Kriegsgefangene auszutauschen.

Welche Möglichkeiten haben Sie dann überhaupt?

Es ist zum Beispiel so: Es gibt eine Geisel auf russischem Territorium. Wenn wir nachfragen, sagt man uns, dass man die Person nicht freilassen wird. Weil sie kein Kriegsgefangener sei, werde man sie auch nicht austauschen gegen einen anderen Kriegsgefangenen. Man lasse auch keinen Anwalt zu der Person vor, weil ihr kein Verbrechen vorgeworfen wird. So gibt es Leute, die seit eineinhalb Jahren verschwunden sind und niemand weiß, ob sie noch leben oder nicht.

In einem Text der Süddeutschen heißt es, dass Ihre Organisation „Every human being“ schon für die Freilassung von 200 Zivilisten gesorgt hat.

Das war allerdings unter anderen Bedingungen in den besetzten ukrainischen Gebieten. Manchmal ist Russland ein sehr korruptes Land, manchmal lässt sich auf den niedrigen Ebenen verhandeln. Als die besetzten Gebiete noch nicht annektiert waren, war das möglich. Ich bin immer noch sehr stolz darauf, dass es geklappt hat. Aber nach der Annexion wurde es super kompliziert. Und je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, den Leuten zu helfen.

Warum?

Es wird schwieriger, sie zu evakuieren, es wird schwieriger, mit Organisationen wie den Vereinten Nationen zu verhandeln. Und es gibt den Nebeneffekt, dass weltweit die Leute aufhören, sich über diesen Krieg Gedanken zu machen. Dass macht es schwieriger für kleine humanitäre Organisationen wie uns, auch wegen der Spenden.

Im Moment schaut die Welt mehr auf Israel und Gaza. Auch da wurden Geiseln genommen. Was dachten Sie, als Sie davon hörten?

Zuerst dachte ich, dass so etwas einfach unmöglich ist. Hat die Welt nicht gerade genug Grauen gesehen? Ich wollte wohl glauben, dass die Welt im 21. Jahrhundert endgültig begriffen hat, dass Krieg keine Antwort auf politische Probleme ist. Zumindest nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine schien das so. Doch am 7. Oktober begann ein weiterer verheerender Krieg.

Sind die Probleme dort ähnlich, etwa dass eine rechtliche Grundlage für die Befreiung der Geiseln fehlt?

Die Situation ist völlig anders. Die Hamas-Terroristen versuchen nicht einmal, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit vorzutäuschen. Man kann mit ihnen nicht verhandeln. Ich will damit nicht sagen, dass Russland ein kleineres Übel ist als die Hamas. Aber Russland ist ein Land, in dem ein gewisses Maß an Organisation des Lebens durch Gesetze eingeführt wurde. Und es versucht so zu tun, als ob vom Standpunkt des Gesetzes aus alles in Ordnung wäre.

Sie haben mit gerade mal 25 Jahren eine eigene humanitäre Organisation mitgegründet. Warum haben Sie sich nicht den bestehenden angeschlossen?

Zu Beginn des Krieges habe ich einer Organisation geholfen, die Leute evakuierte, und war da in der Rechtsabteilung mit Dokumenten beschäftigt. Wie kommst du in die EU, wenn deine Dokumente zusammen mit deinem Haus explodiert sind? Wie wird innerhalb der EU mit Ukraine-Flüchtlingen umgegangen, was sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten? Mit solchen Fragen haben wir uns befasst. Und dann wurden in der Stadt Kazakhskaya zivile Geiseln genommen. Es war noch nie vorgekommen, dass man rein zufällig eine so große Gruppe von Leuten festgenommen hat, wir hatten eine Liste mit 170 Namen, darunter auch Frauen und Kinder.

Was passierte mit den Leuten?

„Das Rote Kreuz hat besondere Möglichkeiten, aber es nutzt sie nicht. Und mit den Vereinten Nationen ist es das Gleiche: Sie sitzen nur in ihren Büros und schreiben Berichte. Das kann ich auch“

Eine Person starb, weil es keine medizinische Versorgung gab und den Menschen nicht erlaubt wurde, die Schule, in der sie festgehalten wurden, zu verlassen. Dann verschwand eine Person, die versucht hatte, ein Video von dem zu machen, was vor sich ging. In diesem Moment habe ich verstanden: Man kann nicht aus den besetzten Gebieten und Russland evakuieren, also mit Russland kooperieren, und gleichzeitig einen kleinen juristischen Krieg mit dem russischen Verteidigungsministerium führen. Letzten Endes wurde die juristische Abteilung der Evakuierungsorganisation die neue Organisation „Every human being“. Und die Geiseln von Kazakhskaya sind nach drei Monaten frei gelassen worden.

Sie arbeiten von Deutschland aus. Wie sind Sie hierher gekommen?

Ich habe nach meinem Master in Jura für die Anti-Korruptions-Stiftung von Alexei Nawalny gearbeitet. 2021 wurden die Nawalny-Mitarbeiter:innen immer mehr kriminalisiert. Ich musste Russland schnell verlassen, um nicht meine Freiheit zu verlieren.

Und warum gingen Sie in das eher unbekannte Flensburg?

Flensburg war die erste Uni, die mir geantwortet hat. Ich habe entschieden, einen zweiten Master zu machen, und nun studiere ich in Flensburg European Studies, das ist eine Art Politikwissenschaft. Ich habe mich für die Abschlussarbeit auf Sanktionen spezialisiert, das ist irgendwie ironisch.

Was meinen Sie?

Ich mag es, als Anwältin zu arbeiten, zu den Gerichten zu gehen, Leute zu verteidigen. Jahrelang zu studieren war nicht mein Ding. Und als ich meinen ersten Master beendet hatte, dachte ich: Ich werde nie wieder studieren. Und dann, ein Jahr später, habe ich mich an einer deutschen Uni eingeschrieben.

Es wirkt wie ein sehr spezielles Doppelleben auf mich: Sie sind an der Uni im kleinen Flensburg unter Studierenden mit ihrem friedlichen, sicheren Leben, und dann gehen Sie nach Hause und versuchen, das russische Verteidigungsministerium zu kontaktieren.

Zu Beginn des Krieges gab es eine sehr große Diskrepanz. Ich begann, Leuten zu helfen, die mir erzählten, dass eines ihrer Kinder getötet und das andere nach Russland deportiert worden war. Sie haben mich gebeten, das Kind zurückzuholen. Und dann ging ich zur Uni und hörte eine Vorlesung über die Große Depression, über die Wirtschaftskrise der 20er Jahre, und ich dachte: Die Große Depression, das bin in Wirklichkeit ich hier.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Es sind zwei unterschiedliche Welten, die sich irgendwie treffen müssen. Als der Krieg begann, war das für viele in Flensburg ein Thema. Aber die Leute haben den Krieg inzwischen vergessen. Und ich habe Verwandte in der Ukraine, die sich vor Bombenangriffen verstecken. Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden mit diesem normalen Teil meines Lebens. Ich stand auf, ging zur Uni – und dann lief ich nach Hause und beschäftigte mich mit schrecklichen Dingen. Ich hatte einen Burn-out und sah keinerlei Sinn darin zu studieren.

Haben Sie sich Hilfe geholt?

Ich bin im Herbst 2021 nach Deutschland gekommen und habe angefangen, Deutsch zu lernen, aber dann brach der Krieg aus und ich hatte andere Prioritäten. Ich spreche wirklich schlecht Deutsch, und einen englischsprachigen Psychologen habe ich in Flensburg nicht gefunden. Aber es ging vorüber.

Wie kam das?

Ich weiß es nicht genau, seit einigen Monaten fühle ich mich gut. Ich akzeptiere, dass Krieg ist, ich akzeptiere, dass es sehr viele Leute gibt, die Hilfe brauchen und dass ich diese Hilfe gebe und dann studieren und meine Abschlussarbeit schreiben muss. Ich glaube, es war ein lang dauernder Schock. Wenn du Emigrantin bist, ist es gleichgültig, in welchem Land du bist. Ich kann nicht zurück in mein Land, um meine Familie zu sehen, und man kann nicht alles über Whatsapp besprechen, weil es den russischen Geheimdienst gibt, sie verfolgen das. Andererseits arbeite ich mit anderen Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen und An­wäl­t:in­nen aus verschiedenen Ländern zusammen, und wir haben alle irgendwie unseren Frieden damit gemacht.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was genau sind Ihre Mittel, um zu helfen?

Es gibt ein sehr spezielles Phänomen in Russland: Manchmal sind Leute für die Gefängnisse der zivilen Geiseln oder Kriegsgefangenen zuständig, die empathisch sind und nicht komplett loyal gegenüber dem Regime. Die geben uns Informationen, sodass ich beim Verteidigungsministerium gezielt nach einer bestimmten Person fragen kann. Das Ministerium sollte dann dem Roten Kreuz den genauen Aufenthaltsort geben, sodass die Familie ihr schreiben kann. In einer idealen Welt wäre es so. Aber die russische Seite tut das nicht.

Und dann?

Schreiben wir an 20 Stellen in der Hoffnung, dass eine davon eine normale Antwort schickt. Nach eineinhalb Jahren habe ich verstanden, dass das System nicht nur wegen der russischen Seite so abgefuckt ist. Natürlich verursacht das russische Regime das Problem. Aber das humanitäre System, das man nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hat, ist komplett nutzlos, genauso wie das Rote Kreuz in vieler Hinsicht.

Inwiefern?

Sie haben eine Monopolstellung. Und wenn man sie bittet, an einen bestimmten Ort zu gehen, nach einer bestimmten Person zu forschen, sagen sie: Wir sammeln Spenden und kaufen Anziehsachen für die Leute, aber dafür gibt es andere Organisationen. Das Rote Kreuz hat ein besonderes Mandat und besondere Möglichkeiten, aber es nutzt sie nicht. Und mit den Vereinten Nationen ist es das Gleiche: Sie sitzen nur in ihren Büros und schreiben Berichte. Das kann ich auch als Studentin in Flensburg.

Warum nimmt Russland überhaupt zivile Geiseln? Um Angst zu verbreiten?

Ich versuche seit eineinhalb Jahren eine Antwort darauf zu finden, und im Grunde habe ich keine. Sie nehmen Leute, die sie für verdächtig halten – aber verdächtig bedeutet für das russische Regime eine Menge Dinge: Hast du ein Tattoo, bist du verdächtig. Es hängt stark davon ab, wie ein Typ sich gerade fühlt. Gerade hatten wir den Fall eines 17-jährigen Jungen. Warum nimmt man den fest? Ich habe keine Ahnung. Manchmal will man Leute einschüchtern, dann verschleppt man sie und wirft ihnen eine Straftat vor. Das ist illegal, aber wenn wir sie auffinden können, bekommen sie wenigstens einen Anwalt.

Wie lassen sie sich auffinden, wenn nicht durch Hinweise aus den Gefängnissen?

Es ist leichter, diese Leute aufzuspüren, wenn die Verschleppungen öffentlich gemacht werden, auch durch die Propagandavideos. Die sind lächerlich und manchmal unheimlich, weil man sieht, dass die Verschleppten nicht mehr alle Zähne haben und erzählen, dass sie selbst Nazis seien, Hitler gut fänden und biologische Waffen nutzten. Sie haben mich vorhin gefragt, warum wir diese Organisation gegründet haben: Ein Motiv war, dass eine Menge Leute mich angerufen haben, auf meinem deutschen Handy, und mich um Hilfe gebeten haben.

Woher kennen diese Leute „Every human being“?

In den besetzten Gebieten gibt es Probleme mit dem Internet, die Leute hören von uns in der Regel über andere Leute. Es ist Krieg, die Leute helfen sich gegenseitig. Wenn wir jemanden im Gefängnis auffinden, sagt er uns, dass dort zehn andere sind und gibt unseren Anwälten eine Liste mit den Namen. Dann suchen wir die Verwandten, weil wir nur tätig werden können, wenn sie uns beauftragen.

Wie ist die Bandbreite, mit was für Fällen beschäftigen Sie sich?

Wir teilen sie in drei Gruppen auf: Kriegsgefangene, zivile Geiseln und deportierte Kinder. Die aussichtsreichste Gruppe sind die Kriegsgefangenen, sie haben eine Chance, gefunden und ausgetauscht zu werden. Wenn du eine zivile Geisel bist, gibt es nicht so viel Hoffnung, man braucht so etwas wie einen Spezialmechanismus. Eine Menge An­wäl­t:in­nen arbeiten gerade daran, das Problem auf eine internationale Ebene wie das EU-Parlament oder die UNO zu bringen. Ein deportiertes Kind zu sein, ist das Schlimmste, was passieren kann.

Warum?

In einigen Fällen, die mir begegnet sind, haben diese Kinder noch ein Elternteil. Aber die russische Seite entscheidet, dass dieses Elternteil nicht gut genug ist, und deportiert das Kind irgendwohin nach Russland. Bei manchen Kindern sind die Eltern gestorben, aber es gibt noch Großeltern, Tanten, Onkel, die für das Kind sorgen wollen. Stattdessen wird es möglichst schnell zur Adoption freigegeben oder in Pflegefamilien gebracht. So verändern sie alle Daten – ein Mädchen namens Polina, geboren in der Ukraine, übertritt die russische Grenze und wacht auf als Masha, russische Staatsbürgerin und ein Jahr später geboren. In unserer Liste deportierter Kinder stehen auch solche, die im Januar 2022 geboren sind.

Die also noch Babys sind.

Ihre eigene Mutter würde sie nach einem Jahr nicht mehr erkennen, so schnell wie sie sich in diesem Alter verändern. Auch ein Problem ist: Die Kinder, die etwa Bombardierung erlebt haben, sind traumatisiert, sie sprechen kaum, und dann bekommen sie die russischen Dokumente, in denen nur ihr Vorname erhalten bleibt. Und es wird noch komplizierter dadurch, dass es keine Kommunikation von der russischen Seite gibt, es sei denn durch Maria Lwowa-Belowa

… Russlands „Beauftragte für Kinderrechte“.

Wir haben bereits 250 Orte gefunden, wo Kinder festgehalten werden, deren Namen wir jetzt versuchen zu bekommen. Die russische Seite sagt, dass es 1.500 bis 2.000 Kinder sind. Aber ich weiß, dass innerhalb von eineinhalb Jahren mindestens 800 Kinder zurückgebracht worden sind, also sind es keinesfalls nur 2.000. Auf der Website „Children of war“ sind etwa 20.000 Namen. Wissen Sie, was die Vereinten Nationen tun? Sie fragen Maria Lwowa-Belowa nach den Zahlen. Und der UN-Botschafter in Russland umarmt sie und sagt, dass Russland einen großartigen Job bei der Evakuierung der ukrainischen Kinder macht. Bei mir hat er sich als Erstes danach erkundigt, ob wir die deportierten Kinder fragen, ob sie in Russland bleiben wollen. Ich sagte: Sollen wir das Kinder, die 2020 geboren sind, fragen?

Was erzählen die älteren der Kinder, die zurückgebracht werden?

Ich habe mit einem Jungen gesprochen, der 12 oder 13 Jahre alt war. An dem Ort, an dem er war, gab es 50 ukrainische Kinder etwa in seinem Alter. Es war verboten, Ukrainisch zu sprechen, und es gab viel physische Gewalt. Manchmal mussten Kinder zur Strafe im Keller schlafen, etwa, wenn sie sagten, dass sie die Ukraine unterstützen – im März, da ist es in Russland ziemlich kalt. Es gibt auch Umerziehungsstunden vom Staatssicherheitsdienst, also von den Leuten, die Nawalny vergiftet haben. Leute, die man nicht zu Kindern lassen sollte.

Weil Sie Nawalny erwähnen: Wie sicher fühlen Sie sich in Deutschland?

Ich fühle mich sicher. Mein Level von Angst, auch um meine Familie in Russland, war ausgeschöpft, als wir Nawalny-Mitarbeiter:innen als Extremisten eingestuft wurden. Da konnte es nicht schlimmer werden.

Ihre eigene Familie ist russisch und ukrainisch.

Ja, ich habe eine Menge Verwandte in der Ukraine. Das ist ganz häufig in Russland und macht den Krieg zu einem noch größeren Desaster.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft, denken Sie über die Zeit nach dem Krieg nach?

Ab einem gewissen Punkt habe ich aufgehört, das zu tun. Als ich 2021 Russland verließ, meine Familie, meine Freunde, habe ich einen Koffer gepackt, und das war es. Ich habe alles zurückgelassen, vermutlich auch die Hälfte meines Herzens. Ich dachte, ich würde mir ein neues Leben aufbauen, aber dann kam der Krieg, und alles brach wieder zusammen.

Vermeintliche Extremistin, Emigrantin, Anwältin – das ist mit gerade mal 25 Jahren ganz schön viel.

Es hat damit begonnen, dass ich ein Jahr früher eingeschult worden bin. Also war ich ohnehin ein Jahr jünger, und dann haben wir nur elf Jahre Schule. Dann vier Jahre Bachelor, zwei Jahre Master. Ich vergleiche jetzt viel Deutsche, Lett:innen, Ukrai­ne­r:in­nen und Rus­s:in­nen, und ein Unterschied ist, dass der Lebensstandard in Russland und der Ukraine niedriger ist. Das heißt, dass man früher zu arbeiten beginnt, also muss man früher ernsthaft werden. Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, ich würde die Älteste im Masterprogramm sein, und dann war ich eher unter den Jüngeren. Ich dachte: Ich bin super, ich bin 25 und dabei, meinen zweiten Master zu machen. Wir bei „Every Human Being“ sagen immer, dass wir wie 30 aussehen, weil wir so viel Stress haben. Der Krieg hat uns alle verändert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.