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Tja. Eigentlich würde grade die intersektionale Theorie die passenden Werkzeuge für eine komplexe Solidarität: Solidarität, wo Menschen aus diesem oder jenem Grund marginalisiert, bedroht oder gar ermordet werden; im Fall des Falles aber auch Kritik an oder sogar Kampf gegen dieselben Menschen, wo sie wiederum andere Menschen aus anderen Gründen marginalisieren, bedrohen, ermorden. Leider wird das dort unmöglich gemacht, wo Intersektionalität mit schematischer Identitätspolitik und dogmatischer postkolonialer Theorie einhergeht.
Das zeigt eigentlich nur, dass über das Israel-Palästina Problem nicht normal gesprochen werden kann. Die einen fühlen sich auf den Schlips getreten, die anderen werden beleidigend. Dazu kommen noch Nazivergangenheit und Alleinanspruchsdenken.
Was ist nur schon wieder Tokenizing? Könnte so ein Wort nicht mal im Artikel erklärt werden?
@blutorange Sowas wie Greenwashing bloß auf dem Feld der Diversität und Sichtbarkeit. Korrekt müsste es Tokenism heißen...
Intersektionaler Antisemitismus
Vielleicht ist der Poststrukturalismus am Ende doch nur ein reaktionäres Konzept …
Linke waren schließlich immer universalistisch, der Poststrukturalismus dagegen scheint nihilistisch bis zynisch zu sein. Es wird Zeit diese Denkschule und ihre praktische Anwendung gründlich zu überprüfen.
@Dunkelrot "Vielleicht ist der Poststrukturalismus am Ende doch nur ein reaktionäres Konzept …"
Deren Vertreter haben ja nie einen Hehl daraus gemacht, wo man sich so seine Anregungen holte. Jacques Derrida: "In der deutschen Nachkriegszeit schwieg man aus verständlichen Gründen zu Heidegger und Nietzsche, diese Philosophen waren für Jahrzehnte in Deutschland tabu. Dagegen las man in Frankreich Heidegger und Nietzsche völlig unbelastet, ..." taz.de/Zum-Geburts...-Derrida/!5063287/
@Dunkelrot Vielleicht ist es nicht nur an der Zeit, daß sich Linke fragen, welchen Sinn die diversen "Ismen" haben, mit denen gerne die Welt analysiert wird, sondern ob nicht auch das Selbstverständnis als die "Guten", denen Vourteile, Intoleranz, Eiferertum oder gar gruppenbezogene Menschfeindlichkeit grundsätzlich fremd sind, wirklich so stimmt.
@Dunkelrot Poststrukturalismus ist so was von 1960er - und populär geworden im "end of history"-Sinnvakuum der hyperkapitalistischen 1990er.
Insofern würde ich die Frage präzisieren: war er schon immer so, oder hat er sich einer nihilistischen bis zynischen Zeit angepasst[*], und spiegelt diese in seiner heutigen Ausprägung wieder?
(die poststrukturalistische Antwort: "zumindest letzteres." ;-) )
[*] Genau so wie der originär durchaus löbliche Antiimperialismus in dieser Zeit von einer potentiell problematischen zu einer immer öfter manifest toxischen Ideologie wurde, oder aus der Sozialdemokratie die "New Left" von Schröder und Blair wurde.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas lässt alte Konflikte in der linken Szene wieder aufbrechen. Ein Dialog erscheint so gut wie unmöglich.
Antisemitismus im Buchladen: Doch kein Safe Space bei „SheSaid“
Jüdinnen:Juden werden in intersektionalen Räumen unsichtbar gemacht. Das zeigt der Soli-Sale eines queer-feministischen Buchladens in Kreuzberg.
Eigentlich ein Buchladen für marginalisierte Gruppen Foto: Christian Jungeblodt
Die in intersektionalen Kontexten oft betonte Solidarität mit marginalisierten Menschen fällt rar aus, wenn diese jüdisch sind. Alle marginalisierten Stimmen einbeziehen, indem man verschiedene Diskriminierungsformen aneinanderreiht? Jüdinnen:Juden fallen da oft raus, denn sie lassen sich nicht so einfach in das binäre Schema von Unterdrückter versus Unterdrücker, Schwarz versus Weiß pressen.
Folgt man dieser dichotomen Logik, werden Jüdinnen:Juden häufig unter weiß und privilegiert verhandelt, der einzige jüdische Staat wird zum einzigen Unterdrücker der Palästinenser:innen erklärt, die selbst aufgrund ihrer Rassifizierung niemals als Täter existieren können. Der so oft geforderte Kontext, unter anderem die jüdische Vertreibung aus dem Mittleren Osten, der Holocaust und islamistische Terror gegen Jüdinnen:Juden, wird weggelassen; Antisemitismus entweder gar nicht thematisiert oder als Bagatelle verharmlost. Die Folge: selektive Solidarität.
Die Autor:innen Judith Coffey und Vivien Laumann bezeichneten ein solches Verhalten in ihrem gleichnamigen Buch als Gojnormativität, also die jüdische Perspektiven übergehende, nicht benannte, gojische (nichtjüdische) Dominanz – auch in intersektionalen Kontexten. Einer der vielen symptomatischen Vorfälle ausbleibender Solidarität ereignete sich kürzlich im Vorfeld eines Bücherverkaufs im queerfeministischen Kreuzberger Buchladen SheSaid.
Am 3. November veranstaltete der Laden einen „Soli-Sale“ angesichts der Terrorattacken der Hamas auf Israel und dem daraus resultierenden Angriff der israelischen Armee auf Gaza. Im Angebot: Bücher zum Thema Nahostkonflikt, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus. Den Umsatz wollte der Laden an KOP Berlin spenden, eine Organisation, die Opfer rassistischer Polizeigewalt unterstützt.
Autor:innen distanzieren sich
Zugleich positioniert sich KOP Berlin aber sehr einseitig zum Nahostkonflikt auf palästinensischer Seite und mobilisierte gemeinsam mit Gruppen wie „Palästina Spricht“, „Demokratisches Komitee Palästina“, „Revolution“ und BDS zu einer Großdemonstration in Berlin unter dem Titel „Free Palestine will not be cancelled“ am Samstag. Dort kam es zu 60 Festnahmen durch die Polizei und zu Übergriffen auf zwei Journalist:innen. Antisemitische Schilder und Parolen wurden von Beamten registriert.
Damit wollten die Autor:innen Laura Cazes, Nicholas Potter, Stefan Lauer, nichts zu tun haben. Deren Sammelbände „Sicher sind wir nicht geblieben“ und „Judenhass Underground“ sollten ursprünglich aber auch beim Soli-Sale verkauft werden. Wie andere Autor:innen auch wurden sie seitens SheSaid nicht über den „Soli-Sale“ informiert.
Nachdem die Ankündigung des Verkaufs durch SheSaidauf Instagram online gegangen war, suchten mehrere Autor:innen unabhängig voneinander das Gespräch mit SheSaid und schlugen vor, die Hälfte des Erlöses an „Ofek e. V.“ zu spenden, eine Beratungsstelle für Betroffene von Antisemitismus. Der Vorschlag wurde seitens SheSaid ohne Begründung abgelehnt und den Autor:innen aber zugesichert, ihre Bücher nicht beim Sale zu verkaufen. Der taz versicherte die Ladenbesitzerin Emilia von Senger, man würde die Kritik an- und sehr ernst nehmen und wolle sich zeitnah darauf zurückmelden.
SheSaid steht nicht das erste Mal in der Kritik. 2021 wurde Emilia von Senger öffentlich dafür kritisiert, dass sie ihr Vermögen und die Nazivergangenheit ihrer Familie nicht transparent gemacht hatte. Der aus einer solchen Vergangenheit resultierenden Verantwortung scheint zumindest in diesem Fall nicht nachgegangen zu werden.
System einer Szene
Die Weigerung des SheSaid-Teams, an Ofek e.V. zu spenden, empfanden die Autor:innen Laura Cazés, Nicholas Potter und Stefan Lauer als schockierend. „Wie mit unseren Büchern umgegangen wurde, geht über Tokenizing hinaus. Ich habe mich jedoch gefragt, ob wir überhaupt an die Öffentlichkeit damit gehen sollen, da meine Ressourcen aktuell begrenzt sind“, sagt Laura Cazés. Schließlich veröffentlichen die drei ein Statement auf Instagram. Auch SheSaid teilte den Beitrag wortlos auf der eigenen Instagram-Präsenz. Darunter sammelten sich antisemitische Kommentare.
Der Umgang mit Antisemitismus und jüdischen Autor:innen durch SheSaidBooks mutet besonders mit Blick auf den Inhalt der aus dem Sale genommenen Bücher perfide an. Denn die häufige Unsichtbarmachung jüdischer und antisemitismuskritischer Perspektiven in intersektionalen Räumen wird darin genauestens beschrieben und analysiert.
Der Vorfall ist jedoch kein Einzelfall. Er hat System in einer Szene, die permanent auf dichotome, identitäre Kategorien zur Betonung des eigenen Opferdaseins setzt. Und die dabei die Analyse von Ideologien und ihrer intersektionalen Verschränkung, allem voran Antisemitismus und Islamismus, sowie den Schutz der Opfer dieser Ideologien verweigert.
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Kommentar von
Anastasia Tikhomirova
Journalistin
Anastasia Tikhomirova ist freie Journalistin, Kulturwissenschaftlerin und Moderatorin. Sie ist Alumna des Marion-Gräfin-Dönhoff Stipendiums der Internationalen Journalistenprogramme 2021, welches sie bei der Novaya Gazeta in Moskau absolvierte. Das Medium Magazin wählte sie 2023 zu den top 30 bis 30 Journalist:innen des Landes. Außerdem macht sie ihren Master in Osteuropastudien und interdisziplinärer Antisemitismusforschung in Berlin.
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