Argentinien vor der Wahl: Stimmungsmache gegen den Staat

Der rechtspopulistische Javier Milei geht als Favorit in Argentiniens Präsidentschaftswahl am Sonntag. Gerade bei den Jüngeren kommt er gut an.

Präsidentschaftskandidat Javier Milei bei einer Wahlveranstaltung.

Javier Milei, Favorit bei den Präsidentschaftswahlen in Argentienien Foto: Natacha Pisarenko/ap

Buenos Aires taz | „Ich bin der König in einer verlorenen Welt“, sang Argentiniens aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat Javier Milei bei seinem letzten Auftritt vor der Wahl. In der Gewissheit, es mindestens in die Stichwahl zu schaffen, bot das Spektakel mit seinen Showeffekten inhaltlich nichts Neues.

Nur keinen Fehler machen, war die Strategie des selbst erklärten Anarcho-Kapitalisten in der mit überwiegend jungem und männlichem Publikum gefüllten Musikarena. Und so kreiste der 52-Jährige in zahlreichen Variationen um seine zentralen Botschaften von Freiheit, Marktwirtschaft sowie dem Recht auf Privateigentum und schimpfte auf die politische Kaste, die das Land und seine Menschen in den Ruin getrieben hat und, die via Stimmzettel vertrieben werden sollte.

Eine nicht enden wollende wirtschaftliche Rezession, eine dreistellige Inflationsrate, eine wachsende Armut und ein unaufhaltsamer Verfall der Landeswährung sind der Hintergrund für die Präsidentschafts- und Kongresswahlen, die am Sonntag in Argentinien stattfinden. 35,4 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Es herrscht Wahlpflicht.

Drei der fünf Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­t*in­nen haben Chancen auf einen Wahlerfolg. Außer Milei von der libertären Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) sind es Patricia Bullrich von der rechtsliberalen Oppositionsallianz Juntos por el Cambio (Gemeinsam für den Wechsel), sowie Wirtschaftsminister Sergio Massa von der links-progressiven Regierungsallianz Unión por la Patria (Union für das Vaterland).

Die jüngeren wählen Milei

Wenig wahrscheinlich ist, dass einer der drei sich bereits in der ersten Runde durchsetzt. Spannend ist jedoch, wer in die mögliche Stichwahl kommt. Bei den Vorwahlen im August hatte der Überraschungserste Milei lediglich 630.000 Stimmen mehr erhalten als der Dritte Sergio Massa.

„Würden am Sonntag nur die Wahlberechtigten unter 30 Jahre wählen, würde Milei in der ersten Runde gewinnen“, sagt der Politologe und Meinungsforscher Lucas Romero. Junge Menschen, die es schlicht satt hätten, dauernd zu hören, dass alle Politiker egal welcher Couleur die gleichen miesen Versager seien, und die tiefe Frustration der Älteren werde zur Motivation, für jemanden zu stimmen, der verspricht, mit all dem aufzuräumen. „Die große Mehrzahl seiner Wähler ist jung und männlich und kommt aus allen Bildungsniveaus und sozialen Klassen“, so Romero.

Es erscheint paradox, dass gerade jene, die eigentlich auf einen starken Staat angewiesen sind, sei es Sozialhilfe, Gesundheit oder Bildung, für einen Kandidaten stimmen, der diesen Staat radikal abbauen will. „20 Jahre lang hat man den Menschen gesagt, dass der Staat sich um ihre Probleme kümmern wird“, sagt Romero. Doch in dieser Zeit habe sich dieser Staat nicht nur als höchst ineffizient erwiesen, sondern sei zu einem überdimensionierten Apparat geworden.

„Er wird von vielen nicht mehr als Institution zur Problembewältigung wahrgenommen, sondern als Hindernis für die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung, der zudem eine privilegierte Kaste von Politikern und Angestellten alimentiert, während sich ihr eigener soziale Status immer weiter verschlechtert“, fügt der Meinungsforscher hinzu.

Der amtierende Präsident ist verschwunden

Während Milei seinem jungen Publikum eine „Revolution der Freiheit“ versprach, setzte Patricia Bullrich zum Abschluss ihres Wahlkampfes abermals auf die Themen Sicherheit und Kriminalität, versprach mehr Polizei auf den Straßen und, dass sie „das Land aus dieser schwierigen Situation herausführen“ werde. Doch so blass wie dieser Satz blieb auch ihr Wahlkampf. Die ehemalige Sicherheitsministerin des Ex-Präsidenten Mauricio Macri konnte kaum jemanden mitreißen. Allerdings präsentierte sie ein kompetentes Schattenkabinett.

Sergio Massa hatte den 17. Oktober, den ‚Día de la Lealtad‘ für seine Abschlussveranstaltung gewählt. Am 17. Oktober 1945 waren rund 300.000 Arbeiter und Gewerkschafter zur Unterstützung des inhaftierten Arbeitertribuns Juan Perón auf die Straße gegangen und hatten damit den Grundstein für dessen spätere Präsidentschaft gelegt. Die Peronisten feiern den 17. Oktober jedes Jahr als ‚Tag der Loyalität‘. Dabei waren Präsident Alberto Fernández und Vizepräsidentin Cristina Kirchner die großen Abwesenden an diesem Tag.

Die Peronistische Partei ist auf der Suche nach einer neuen Führungsriege über den Wahlsonntag hinaus. Fernández ist fast völlig von der Bildfläche verschwunden, seit er im April ankündigte, dass er nicht zur Wiederwahl antreten werde, und Cristina Kirchner hält sich aus dem Wahlkampf heraus. Seit Wochen schwingt Sergio Massa das Zepter, als wäre er der amtierende Präsident.

In seiner Rede nannte er weder den Namen des Präsidenten noch den der Vize. Ebenso wenig nahm er das Wort Inflation oder Armut in den Mund. Stattdessen versprach er einen „präsenten und effizienten Staat“, der sozialen Schutz und eine öffentliche Bildung garantiere, ganz im Gegensatz zu Mileis marktradikalen Ankündigungen.

Trump, Bolsonaro… Milei?

Bei Vergleichen von Milei mit den Ex-Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro zeigen sich Unterschiede. Zwar behaupten alle drei, Außenseiter und gegen das Establishment zu sein, aber ihre Wege nach oben sind äußerst verschieden. Trump hatte sich innerhalb der Republikanischen Partei durchgesetzt und dann die Kontrolle über die Partei übernommen. Als Chef einer internationalen Holdinggesellschaft hatte er zudem Führungserfahrung.

Bolsonaro war lange Zeit Abgeordneter und bekleidete verschiedene öffentliche Ämter. Obwohl er lange kein relevanter politischer Akteur war, gelang es ihm, durch Bündnisse mit anderen politischen Akteuren, den Streitkräften, den Evangelikalen und den großen Agrarproduzenten ins Präsidentenamt zu gelangen. Bei Milei findet sich nichts Dergleichen. Er ist ein Ziehkind der Medien. Er hat weder relevante Parteibündnisse geschmiedet noch religiöse Unterstützer.

Ganz im Gegenteil. Seit Wochen liegt Milei mit der in Argentinien einflussreichen katholischen Kirche im Clinch, nachdem er ihre Doktrin der sozialen Gerechtigkeit als kommunistischen Auswurf kritisiert hatte. Priester aus den Armenvierteln um Buenos Aires zelebrierten Anfang September eine öffentliche Messe gegen ihn. Vergangenen Montag meldete sich gar der argentinische Papst aus Rom zu Wort. Zum einen sei er kein Kommunist und: „Es gibt nur einen Messias, alle anderen sind Clowns“, sagte Papst Franziskus.

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