Ausstellung von Nadja Abt in Dortmund: Das Drehbuch subversiv umschreiben
Nadja Abt nutzt in ihrer Ausstellung „Obession“ in Dortmund Autofiktion als Strategie. Damit hinterfragt sie Klischees von Kunst und Karriere.
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„If you can make it there, you’ll make it anywhere“ sang Frank Sinatra einmal über New York. Als die in Berlin lebende Künstlerin Nadja Abt im Frühjahr dieses Jahres für ein dreimonatiges Stipendium dorthin aufbrach, hatte sie wohl das große Los gezogen: Ein eigenes Studio, Geld für Lebensunterhalt oder Reisen und dazu diese unschlagbare Metropole, die noch immer allen weltweit deklarierten Kunst-Hotspots zum Trotz den unangefochtenen Mittelpunkt der internationalen Kunstwelt ausmacht.
Genug Zeit, Geld und Input also, um die eigene Karriere weiter in Schwung zu bringen, an dieser großen Erzählung teilzuhaben vom erfolgreichen Künstlerleben in New York, wie sie so viel in den Hollywood-Drehbüchern beschrieben wurde. Das schien nun irgendwie greifbar.
Jetzt, im Herbst nach der Rückkehr, blickt die Künstlerin in der Ausstellung „Obsessions“ im Dortmunder Kunstverein zurück und rückt dabei die Erwartungen und Projektionen dieses Lebenstraums – genau wie die zugrundeliegenden typischen Künstlerklischees – in den Vordergrund. Was bedeutet es wirklich, zwischen unzähligen Vernissagen, Talks und Abendessen seinen Platz als junge Künstlerin zu finden? Hatte Sinatra recht?
Die kleinformatigen Blätter „Morgens Schreiben, Mittags Malen“, die Abt mit Wasserfarben bemalte und mit Schreibmaschinen-Typo betippte, liefern einen Eindruck. Denn das aktuell präsentierte Ergebnis ihrer Routine, die Erlebnisse an jedem ihrer 83 Tage in New York tagebuchähnlich niederzuschreiben und dabei teilweise fiktiv zu verändern, führt neben dem Glamour und der Internationalität der Kunstwelt besonders die Struggles um Sichtbarkeit, Zugehörigkeit und Anerkennung unmissverständlich vor Augen: Atelierbesuche wichtiger Kurator:innen bleiben aus, Bewerbungen sind erfolglos.
Erwartungen an Authentizität unterlaufen
Doch anders als in der verbreiteten Erzählung des verkannten Genies, das erst Ablehnung und Erfolgslosigkeit glaubwürdig erscheinen lassen, verfallen Abts Offenlegungen nicht in den beweihräuchernden Ton (männlicher) Künstlermythen. Vielmehr knüpft ihre Strategie, die eigene Geschichte auch samt aller Verunsicherungen aus der Ich-Perspektive auf- und umzuschreiben, an eine Tradition feministischer Autofiktion an.
„Obsession“: Nadja Abt, Dortmunder Kunstverein, bis 3. Dezember.
Themenabend mit Theresia Enzensberger: 8. November.
Diese subversive Version der Autobiografie, einem einst den Reichen und Schönen vorbehaltenen Genre, ermöglichte auch Schriftstellerinnen eine eigene Identität auszudrücken und zu formen – und unterlief dabei sämtliche Erwartungen an Authentizität und Repräsentation.
Auch Nadja Abt konstruiert sich ein Bild ihres Lebens als Künstlerin. Sowohl als Autorin, die eine Initiation in die New Yorker Kunstszene beschreibt, wie auch als Malerin, die die Stimmungen visuell umsetzt, stellt sie ihre ambivalente Faszination für das Lebensmodell aus. Den Wunsch, trotzt Konkurrenz und Geldsorgen, Teil einer exklusiven Szene zu werden, stilisiert sie dabei als unausgesprochenen Treiber der Kreativwirtschaft – auch außerhalb der Kunstwelt.
So setzt Abt auch den verführerischen Verheißungen der Filmbranche von Los Angeles ein Denkmal. Als Kontrapunkt zu den intimen Schriftstücken installiert sie eine Variation des berühmten Hollywood-Signs in der Ausstellung – doch aus der Welthauptstadt des Kinos ist nun das Wort Obsession geworden.
Bereits die Vorbereitungen zur Ausstellung im Dortmunder Kunstverein lassen sich als schöner Dopplungseffekt im New-York-Tagebuch nachvollziehen. Und dann schlägt Abt zusätzlich den Bogen zur Ruhrgebietsstadt, wenn sie auf Gouachen die typischen Leuchtschriftreklamen von Tankstellen und Einzelhändlern ihrer Straßen zeigt. Die sind 2022 entstanden, als sich Abt bei einer Künstlerresidenz in Bochum aufhielt. New York, Bochum – die Städte, sie müssen keine Gegensätze sein. Nur tauchen sie nicht gleichermaßen in den Drehbüchern auf, in deren Geschichten man sich verortet.
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