Antiimperialismus ohne Verstand: Lateinamerikas Linke feiern Hamas

Lateinamerikas Linke wettern gegen Israel: Boliviens Ex-Staatschef Morales und Kolumbiens Staatschef Petro disqualifizieren sich mit Statements zum Hamas-Angriff.

Demonstration mit Megafon und Schildern.

Un­ter­stüt­ze­r:in­nen Palästinas demonstrieren am 10. Oktober vor der israelischen Botschaft in Bogota Foto: Chepa Beltran/VW Pics/imago

Evo Morales wollte noch nicht einmal abwarten, bis die israelische Regierung auf den Angriff der Hamas im Süden Israels reagierte. „Von Bolivien aus verurteilen wir die imperialistischen und kolonialen Aktionen der zionistischen israelischen Regierung“, postete der ehemalige Staatschef des südamerikanischen Landes schon wenige Stunden, nachdem die Terrororganisation ihre Offensive begonnen hatte.

Kurz zuvor hatte das Außenministerium seine „tiefe Besorgnis über die gewalttätigen Vorfälle zwischen Israel und Palästina im Gazastreifen am heutigen Tag“ zum Ausdruck gebracht. Geschenkt, dass die Beamten der Behörde nicht so genau wussten, wo die Hamas Hunderte von Menschen niedermetzelte. Morales war das jedenfalls nicht genug. Dass die Regierung, die von seinem parteiinternen Widersacher Luis Arce geführt wird, nicht das Brudervolk in Palästina verteidige, sei ein Ausdruck der Rechtswende in Bolivien, schrieb er auf X.

„Immense Ungerechtigkeiten“

Während Morales erst in zwei Jahren wieder Präsident seines Landes werden könnte, macht Gustavo Petro schon jetzt handfeste Regierungspolitik. Der linke Staatschef Kolumbiens hat sich, wie er im September vor der UN-Generalversammlung sagte, ausführlich mit den „immensen Ungerechtigkeiten“ beschäftigt, die dem palästinensischen Volk seit 1948 und dem jüdischen nach 1933 angetan wurden. Immense Ungerechtigkeiten. Das Ergebnis seiner ausführlichen Studien hat Petro drei Tage nach der Hamas-Attacke getwittert: „Ich war im Konzentrationslager Auschwitz, und nun sehe ich eine Kopie davon in Gaza.“ Diese Veröffentlichung sei eine Schande für ihn und sein Land, reagierte der Jüdische Weltkongress. Leute wie er müssten das besser machen.

Von nicht wenigen lateinamerikanischen Linken wäre das zu viel erwartet. In ihrer ersten Printausgabe nach dem Massaker der Hamas titelte die regierungsnahe linke mexikanische Tageszeitung La Jornada mit dem Bild eines Palästinensers, der den Hamas-Angriff feiert. Nur am Rande wird erwähnt, wer die Aggressoren waren. In den folgenden Tagen prangten ausschließlich Fotos auf der Titelseite, die das Leid zeigen, das die israelische Armee im Gaza verursacht hat.

Das ganze Elend

Beinahe überflüssig zu erwähnen, was sich in den sozialen Medien abspielt: Dort wird der „Aufstand des palästinensischen Volkes gegen die Apartheid“ gefeiert, IDF-Soldaten schießen in Nazi-Uniform, Posts zeigen neben dem Foto des in israelischen Flaggen angestrahlten Brandenburger Tors dasselbe Gebäude mit Hakenkreuzfahnen. Andere posten ein im Aquarell-Stil gehaltenes Gemälde einer Palästinenserin, die mit einem Kind, das die Faust hebt, voranschreitet, während im Hintergrund ihre Helden kämpfen.

Vielleicht ist es sogar dieses banale, gar nicht blutrünstige Bild, das das ganze Elend am Besten auf den Punkt bringt. So wenig, wie die abgebildete Frau mit der realen Situation in Palästina zu tun hat, so wenig interessieren sich die zitierten Staatsmänner, Redakteurinnen oder Internet-Aktivisten dafür, dass es ihr tatsächlich besser geht.

Es geht ihnen allein um die Imagination eines homogenen Volkes, das irgendwo auf der Welt gegen einen Feind kämpft, der derselbe wie der eigene sein soll. Dass es sich bei diesem Feind um den Zionismus handelt, der sowieso nur im Interesse des US-Imperialismus agiert, macht es noch einfacher. Die Perspektive eines friedliches Zusammenlebens der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung wäre in ihrem Konzept kontraproduktiv. Auch darin treffen sich die Interessen dieser Linken und der klerikal-faschistischen Hamas.

Das ist nicht neu. Schon lange stehen Morales, Venezuelas Staatschef Nicolas Maduro und viele radikale Latino-Linken stramm an der Seite Irans, ohne den die Terroroffensive kaum denkbar gewesen wären. Dass die Apologeten eines simplen Antiimperialismus trotz des Massakers so offensiv auftreten können, ist gefährlich. Für sie hat die Hamas ganze Arbeit geleistet. Die israelische Reaktion wird ihnen helfen, ihre Waffen weiter zu schärfen.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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