Soloalbum von MPC Lafote: Wenn das Ich glitcht
Elektronisch grundiert: Der Hamburger Musiker MPC Lafote tut sich für sein Debütsoloalbum „Aquarium“ mit dem Punk-Original Jens Rachut zusammen.
Am Anfang war eine Maschine und diese Maschine heißt MPC 1000. Ein Hardwaresequenzer inklusive eingebautem Sampler, mit dem man im Prinzip alles alleine machen kann, was sonst eine ganze Band schafft. Zum Beispiel die Hamburger Band Lafote. Sie hatte schon ein paar gute Lieder eingespielt, Eigenkompositionen, etwa „Zündschnur“, und auch eine hörenswerte Coverversion von „Wahr ist was wahr ist“, einem Song von Die Sterne. Und schließlich hatte sie auch ein komplettes Album mit dem Titel „Fin“ produziert. Es sah eigentlich alles sehr, sehr gut aus für Lafote.
Doch dann kam diese seltsame Corona-Epidemie und es folgte eine lange Zeit ohne Konzerte, ohne Publikum, wenn jemand sich noch erinnert. In dieser Phase konnte Jakob Groothoff, Kopf von Lafote, nicht mit seinen Freunden auftreten und musste zu Hause bleiben wie alle anderen auch. In der kulturellen Abgeschiedenheit des Lockdown wurde also aus der Postpunk-Band Lafote das Post-Wave-Einmannprojekt MPC Lafote und es produzierte fleißig Beats, Beats und Beats.
„Tatsächlich war das Ringen mit der Maschine die eigentliche Inspiration für die Musik“, erzählt Jakob Groothoff. Der 38-Jährige ist in Hamburg geboren, fühlt sich aber nicht als Hanseat, sondern „eher wie eine Scherbe vor der Elbphilharmonie“. So um die 100 Skizzen konnte Groothoff dem virenbedingten Spannungsfeld zwischen Stagnation und Dynamik abringen, die dazu passende musikalische Grundform ist der Loop.
Und so, wie sich in jener ereignislosen Zeit jeder Tag scheinbar endlos wiederholte, wiederholt sich dann eben bei MPC Lafote auch ein Basslauf scheinbar endlos. „Ich bin nicht so der Songwriter und suche eher nach einer Atmosphäre oder Intensität.“
MPC Lafote: „Aquarium“ (Hanseplatte/Misitunes/Major Label)
Live: 26. 10., Noch besser Leben, Leipzig; 27. 10., Monarch, Berlin; 28. 10., Astra Stube, Hamburg, wird fortgesetzt
Stabiles Netz aus Sound
Und Repetition kann ja auch beruhigen, oder eben aktivieren – in Richtung Tanz gedacht, zum Beispiel. Sie kann auch ein Fundament schaffen für das, was da erzählt werden soll, so wie ein Filmscore. Ein stabiles Netz aus Sound, das trägt, gerade wenn es inhaltlich an die Substanz gehen soll. Und es soll.
Nach der verlorenen Zeit der Pandemie, die aber nicht für alle und alles verloren war, kam dann bekanntlich wieder eine andere Zeit. Die kann man auch wieder Krise nennen, aber immerhin: Gemeinsamkeit ist wieder möglich, auch in der Musik. Und so kam es, dass MPC Lafote die Gemeinsamkeit mit dem Punk-Tausendsassa Jens Rachut (Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle u. v. a.) und dem Produzenten Tobias Levin fand.
Gemeinsam beschlossen sie, es sei nun an der Zeit, aus dem ganzen Krisenoutput mal ein Album aufzunehmen. Man kannte sich schon eine ganze Weile, schließlich ging Rachut ja in der „Hanseplatte“ ein und aus – jenem legendären Plattenladen im Schanzenviertel, in dem Groothoff arbeitet, wenn er gerade nicht die MPC 1000 bearbeitet.
Schon im Mai 2010 spielte Rachut mit seiner Band Kommando Sonne-nmilch sogar mal im Laden. So richtig intensiv wurde der Kontakt allerdings erst im letzten Jahr. Da plante die „Schlüsselfigur der deutschen Punkszene“ (Wikipedia über Rachut) mal wieder eine Veröffentlichung und Jakob Groothoff half ihm dabei. Im Zuge dessen verzehrten die beiden zusammen ein Pilzgericht und Groothoff erzählte Rachut von seinen Skizzen. „Schick mal“, sagte da der Jens und der Jakob schickte.
Das Ich macht dich schwach
Die Folge war eine Einladung für MPC Lafote, doch mal als Vorgruppe für das Rachut-Projekt Alte Sau tätig zu werden. Beim letzten Lied dieser Vorgruppenperformance kam der Meister dann an die Bühne heran und sagte etwas wie: „Ja, ist doch gar nicht so schlecht! Aber sag nicht immer ‚Ich‘, das macht dich schwach.“
Wie um ganz sicher zu gehen, textete Rachut für das darauf folgende gemeinsame Ding dann einfach selbst und wer ihn kennt, hört das, auch wenn es Groothoffs Stimme ist, die den Text singt. Punk-poetisch entfalten sich hier Momentaufnahmen des Alltäglichen und allzu Alltäglichen zwischen einem nicht mehr so blauen Himmel und einer dahinsiechenden Erde und können dabei jederzeit ins Surreale kippen.
In Sachen Ich haben sich die Kreateure dabei voll unter Kontrolle und sind tatsächlich besonders stark, wenn das Pronomen fehlt. Eindrücklich ins Ohr springt in diesem Zusammenhang der Song „Der Blitz wird wach“. Im Text werden die Naturgewalten droben am Himmel auf eine Weise personifiziert, die bei oberflächlicher Betrachtung zum Lachen verleitet. „Leider, leider, leider ist es ihnen egal, wen sie treffen.“ Aber Rachut wäre nicht Rachut, wenn nicht hinter jeder dieser vermeintlichen Albernheiten ein Abgrund lauerte.
Ironischerweise ist der stärkste MPC-Lafote-Track dann aber doch einer, bei dem das Ich klar im Zentrum steht: „In Laberlaune“ traut sich der singende Beobachter, über seinen eigenen, verständlichen Prä-Endzeit-Nihilismus hinauszugehen und am Ende gar in einer Art unbegründeter Lebensfreude zu explodieren, dabei umflort von einem Chor – teils zufällig bestehend aus den Lebensgefährtinnen der Hauptakteure sowie Thomas Wenzel (Goldene Zitronen, ehemals Die Sterne). „Ich werde zum Glitch an der Schwelle einer anderen Zeit und ich lach mich schlapp“, singt Groothoff da in ihrer Mitte und warum auch nicht, so als Glitch.
Fehler im Code
Was das ist, ein Glitch, wissen zum Beispiel Gamer*innen, nämlich eine Art Fehler im Code. Kann nerven, aber auch Vorteile bringen. So wie hier bei „In Laberlaune“, wenn das reine Fehlersein im Falschen eine ganz besondere Heiterkeit hervorruft. Eine Heiterkeit, die dringend gebraucht wird in dieser auch wieder mal seltsamen Zeit.
Vielleicht auch eine Frage der Perspektive, diese Heiterkeit zu erzwingen. Ob nun beim Nikotin-Craven in einer Tasse über der Stadt schwebend („Ich will rauchen“, der Auftaktsong) oder aus dem albumtitelgebenden „Aquarium“ zurückstarrend in die abgründige Welt, auf die man an sich keinen Einfluss hat, daran wird von MPC Lafote im Großen und Ganzen kein Zweifel gelassen.
Ein Habitus des Beobachtens, der vielleicht schon als Empowerment verstanden werden muss in diesem Zustand der Gefangenschaft hinter Glas. Kein Zufall wohl, dass das „Aquarium“ als Titelbild erst beim Finale ins Zentrum rückt: „Geld und Haut“, ein gänzlich aus dem Rahmen gefallenes, antikapitalistisches Liebeskummerlied ganz ohne Beats, dafür mit Fritzi Ernst (ehemals Schnipo Schranke) am Piano – all das bleibt hängen.
Und nachdem der letzte Ton mehrfach verklungen ist, lässt sich sagen, dass MPC Lafote und Rachut hier ein Werk gelungen ist, das mit jedem Hören runder klingt. Gerade weil sie es verstehen, ihre Geheimnisse bis zuletzt zu wahren, sodass für Neugier immer noch genug Raum da ist. In diesem Raum aus programmatischer Uneindeutigkeit schaltet sich der eigene Gedankenapparat an und das ist ja grundsätzlich immer gut. Schmerzhaft aber auch. Denn leider, leider, leider ist es uns nicht egal …
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