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Reaktionen aus dem LibanonUnd ewig droht die Hisbollah

Im Libanon fürchten sich die Menschen vor einem Krieg mit Israel. Sollte die Hisbollah zum Player werden, hätte das dramatische Konsequenzen.

Wer hat hier die Macht? Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah (rechts) neben Parlamentssprecher Nabih Berri Foto: Mohamed Azakir/reuters

Beirut taz | Der Stau auf der einzigen Autobahn des Libanons, vom Süden bis nach Beirut, ist kein gewöhnlicher: Es ist ein Autostau der Angst. Die Menschen haben ihre Häuser im Südlibanon am Montagabend evakuiert, aus Angst vor Angriffen aus Israel. Schulen in der Nähe der südlichen Grenze des Libanons blieben am Dienstag geschlossen, aus Sorge um die Sicherheit von Schü­le­r*in­nen und Lehrkräfte.

Seit Sonntag gibt es an der Grenze Kampfhandlungen. Das Grenzgebiet wird seit 1978 von der UN-Friedensmission UNIFIL bewacht. Die Mission sei mit den involvierten Parteien entlang der blauen Linie in Kontakt, hieß es in einer Pressemitteilung. Am Dienstag blieb es im Grenzgebiet ruhig.

Israel und der Libanon befinden sich offiziell im Kriegszustand. Bisher hieß das: Ein Verhältnis ohne diplomatische Beziehungen und wiederkehrende Scharmützel an der Grenze. Doch der aktuelle Krieg zwischen der Hamas und Israel könnte aus diesem recht kalten Zustand einen aktiven Krieg machen. Beide Seiten hätten die militärischen Möglichkeiten, ins jeweils gegenseitige Landesinnere vorzudringen und Zi­vi­lis­t*in­nen zu töten.

Ob sich die Kriegsfront ausweitet, der Libanon mit Bombardierungen Israels rechnen muss und die Hisbollah zivile Ziele in Israel angreifen wird, hängt von den jeweiligen Entscheidungen der Gegenseite ab, inwieweit sie die Situation eskalieren möchten oder sich dazu genötigt sehen.

Die Hisbollah zahlt in Dollar

Die Hisbollah und der Iran hätten keine Rolle bei der Planung der Hamas-Angriffe auf Israel gespielt, nur einige wenige Hamas-Anführer hätten Bescheid gewusst, sagte ein ranghohes Mitglied der Hamas-Führung der Nachrichtenagentur AP am Montag. Die Hisbollah, eine politische Partei im Libanon, die mit rund 10 Prozent im Parlament vertreten ist und Verbündete wie die schiitische Schwesterpartei Amal und christliche Parteien, ist auch eine Miliz und kämpft in Syrien an der Seite Baschar al-Assads. Der Iran unterstützt sie finanziell.

Ihre An­hän­ge­r*in­nen gewinnt sie durch das Narrativ, Widerstandskämpferin gegen Israel und für die palästinensische Freiheitsbewegung zu sein. Innenpolitisch stellt sie sich als Alternative zu korrupten libanesischen Politikern dar, unterhält Krankenhäuser und soziale Einrichtungen. Trotz Sanktionen der USA verdient die Hisbollah Geld mit internationalem Waffen- und Drogenhandel. Durch Waffenlieferungen nach Syrien oder Irak, Cannabisanbau, dem Export von in Syrien produziertem Captagon oder Netzwerken im lateinamerikanischen Kokainhandel.

Die Reaktion der Hisbollah auf die Ereignisse ist zurückhaltend. In der ersten Erklärung am Samstag hieß es, man verfolge die Entwicklungen vor Ort „genau“ und stehe „in direktem Kontakt mit der Führung des palästinensischen Widerstands im In- und Ausland“. Die Partei wollte sich nicht äußern, ob sie sich an dem Kampf direkt beteiligen würde.

Am Sonntag dann erklärte der geschäftsführende Außenminister des Libanons, Abdallah Bou Habib, die Hisbollah habe der Regierung versichert, dass sie nicht in den Krieg im Gazastreifen eingreifen werde. „Es sei denn, Israel provoziere den Libanon“, so Habib in der arabischen Zeitung ­Asharq al-Awsat.

Mehr als Grenzscharmützel?

Zunächst hatte die Hisbollah am Sonntag das von Israel besetzte Gebiet der Schebaa-Farmen mit Raketen und Artillerie angegriffen. Israel beansprucht die 15 Quadratkilometer der Agrarfläche seit 1967 für sich. Syrien und der Libanon sehen das Gebiet als libanesisch. Der Angriff sei ein Signal der Abschreckung gewesen: Falls Israel eine Bodenoffensive startet, steht die Hisbollah militärisch bereit, um den Konflikt auszuweiten.

Nach einer Gegenoffensive Israels erlaubte die Hisbollah verbündeten palästinensischen Gruppierungen, vom Südlibanon aus nach Israel zu gelangen, um dort anzugreifen. Israelische Soldaten hatten die bewaffneten Verdächtigen erschossen, die über die Grenze vorgedrungen waren. Am Montagabend wurden drei Hisbollah-Kämpfer durch Beschuss aus israelischen Kampfhubschraubern getötet. Daraufhin feuerte die Hisbollah in der Nacht auf Dienstag mehrere Raketen auf Israel ab. Israels Armee reagierte mit Artilleriefeuer. Berichte über Opfer gab es zunächst nicht.

Im Libanon fürchten sich viele Menschen vor einem Krieg wie 2006. Damals weiteten sich anhaltende Konflikte der Hisbollah mit der israelischen Armee aus. Die Hisbollah beschoss Israel mit Raketen, Israel setzte Landstreitkräfte im Südlibanon ein, bombardierte die Hauptstadt Beirut und Infrastruktur, wie Brücken und den Beiruter Flughafen. Damals verhielt sich die libanesische Armee weitgehend passiv, eine UN-Resolution und ein Friedensabkommen beendeten die Kämpfe.

Der Libanon ist politisch nicht handlungsfähig. Seit November 2022 gibt es keinen Präsidenten, die derzeitige Regierung ist nur geschäftsführend im Amt. Die politische Elite hat das Land durch Korruption in einen Staatsbankrott gebracht, 2019 brach das Finanzsystem zusammen. Die Menschen durchleben eine tiefe Wirtschaftskrise, sie haben ihre Ersparnisse verloren.

Die Libanesen sind der Katastrophen müde

Wer für die Hisbollah arbeitet, ist derweil im Vorteil: Kämpfer und Angestellte bezahlt die Hisbollah in US-Dollar, während libanesische Staatsbedienstete ihr Gehalt in instabiler libanesischer Währung erhalten und umgerechnet unter 100 Euro monatlich verdienen. Während die Leute vor kommerziellen Banken stundenlang anstehen, um etwas Geld im schlechten Umrechnungskurs abzuheben, gibt eine als gemeinnützig anerkannte Organisation der Hisbollah zinslose Kredite in Dollar aus. Damit können Menschen Schulgebühren bezahlen, heiraten oder ein kleines Unternehmen eröffnen. Es ist eines der Instrumente, das die Unterstützung durch die schiitische Bevölkerung festigt.

Innenpolitisch ist die Hisbollah geschwächt. Der palästinensische Freiheitskampf hatte zuletzt an Priorität bei der Bevölkerung verloren, die von Covid und der Wirtschaftskrise müde und traumatisiert ist. Der Hisbollah wird zudem die Verantwortung für die Explosion im Beiruter Hafen 2020 zugeschrieben. Damals wurden mindestens 207 Menschen getötet, Tausende verletzt. Die Hisbollah blockiert mit Gerichtsverfahren gegen den Untersuchungsrichter die Aufklärung.

Ihre Macht geht aber noch viel weiter. Die Hisbollah agiere als Staat im Staat und entscheide, ob der Libanon in einen Krieg ziehe, sagte die Parlamentarierin Paula Yacoubian am Sonntag bei X (ehemals Twitter). Sie gehört zu einer Gruppe von 13 Abgeordneten, die sich der Opposition gegen die korrupte Eliten zuordnen. Der Staat sei nur noch ein Skelett, die Regierung nicht entscheidungsfähig, kritisiert sie.

Hinter der Hisbollah stehen größere Kaliber

„Das ist Unsinn“, dementierte Außenminister Habib in der Zeitung Alsharq Al Awsat: Das Abkommen zur Festlegung der Seegrenze zwischen Libanon und Israel im Oktober 2022 beispielsweise sei „unter dieser Regierung geschlossen“ worden. „Es stimmt, dass wir damals einen Präsidenten der Republik hatten und jetzt nicht, aber wir werden früher oder später einen wählen.“ Das Ministerkabinett will sich erst am Donnerstag besprechen. Bei der sicherheitspolitischen Entscheidung hat Beirut nicht viel mitzureden.

Bisher sieht es zumindest nicht so aus, als würde die Hisbollah eine zweite Kriegsfront gegen Israel eröffnen. Falls die Hisbollah als Akteur einschreitet, hätte das große Konsequenzen für den Kriegsverlauf: Dann wären auch die Verbündeten Iran, Russland und Syrien involviert. Das könnte Israel abschrecken, seinerseits zu diesem Zeitpunk gegen die Hisbollah zu kämpfen. Gleichzeitig hat die schiitische Miliz in den letzten Jahren von einer direkten Einmischung in Kriege zwischen Israel und Gaza abgesehen. Libanesische Ana­lys­t*in­nen glauben, dass die Hisbollah lieber die Hamas in Gaza und in den palästinensischen Camps im Libanon stärkt, anstatt einen offenen Krieg anzufangen.

Die Menschen im Libanon können nur abwarten, welche militärischen Ziele sich die Führungen in Jerusalem und Teheran sowie die Hisbollah setzen und wie weit sie die Eskalation vorantreiben. Die Szenen an einer Tankstelle in dem Beiruter Vorort Baabda, beschrieben von Jour­na­lis­t*in­nen der libanesischen Zeitung L’Orient-Le Jour, zeigen die Bewältigungsstrategien der Li­ba­ne­s*in­nen mit der Unsicherheit. „Ich bin hier, weil alle, die ich kenne, wegen der Situation tanken gehen. Also tue ich dasselbe“, sagte ein Kunde in der Warteschlange.

„Ich glaube, die Leute haben eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund der Geschichte. Dinge, in die Palästinenser verwickelt waren, haben zu einem Bürgerkrieg geführt, deshalb fürchte ich das hier noch mehr als einen Krieg mit Israel.“ Ein anderer Kunde kam ohne Besorgnis an die Tankstelle. „Ich verstehe nicht, warum diese Leute Schlange stehen, ich bin hier, weil mein Autotank leer ist. Für mich ist das nur eine kleine Spannung, und es wird nichts Großes passieren.“

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2 Kommentare

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  • taz.de/Die-radikal...on-Hamas/!1582815/



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    "Auf knapp 40 Seiten veröffentlichte Hamas im August 1988 die ideologischen Grundlagen der Organisation. Jene „Charta“ war eine Absage an die längst existierende Charta der PLO. Kernpunkt ist die Überzeugung, daß Palästina islamisches Waqf ist – unveräußerliches, den Muslimen auf ewig gestiftetes Land."



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    Das Thema wird in der Tat seit Jahrzehnten in der taz adressiert:



    AUS DEM ARCHIV:



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    "aus Jerusalem SUSANNE KNAUL



    Ob sie die Gründung aktiv förderten oder nicht: Fest steht, dass die isralischen Militärs zumindest die Augen zudrückten, als sich die Hamas Ende 1987 politisch formierte. Die islamischen Fundamentalisten würden ein Gegengewicht zur PLO im Gaza-Streifen bilden und sie schwächen, so die Hoffnung Israels.



    Scheich Achmad Jassin, einer der Gründer und geistiger Mentor der Hamas, schlug tatsächlich einen gemäßigten Weg ein und lehnte die Anwendung von Gewalt zunächst ab. Im August des Folgejahres veröffentlichte die Organisation ihre Charta, die unmissverständlich zur Vernichtung des Judenstaates aufruft.



    Bericht 13.06.2003



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    taz.de/Der-Dschiha...e-Loesung/!759492/



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    Ernsthafte Zweifel an der Kategorie dieser Organisation gab es in Fachkreisen wohl nicht. An realistischen Verhandlungen ist sie nach eigener Agenda nicht interessiert.



    "Die Hamas unterhält, ähnlich wie ihre ideologischen Verbündeten in den Nachbarländern – etwa die Hisbollah im Libanon – Kindergärten, Schulen, Jugendklubs, Alten- und Krankenheime, zahlreiche Moscheen sowie eine Universität."



    Quelle s.o.



    Die Gruppe der Unterstützer*innen (Staaten und Organisationen) ist interessant und aufschlussreich, auch aus unserer unmittelbaren Nähe, aus der Nachbarschaft der EU!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Die Hisbollah wird vermutlich ihre "Schäfchen" im Trockenen halten. Indirekt könnte sie einstweilen profitieren. Aber was nach Gaza evtl. noch kommen könnte, wird in auch Israel entschieden.