Kunst in Zeiten des Krieges: Kriegsspiel im Schlosspark
Wie arbeiten Künstler*innen im Angesicht des Krieges? Fabian Knecht zeigt in Wolfsburg Kunst mit Tendenz zum Gesinnungskitsch.
Für Künstler:innen aus der Ukraine legte Anfang des Jahres Zhanna Kadyrova im Kunstverein Hannover ihre Antwort vor. Sie beschäftigt sich seit Langem mit den materiellen wie mentalen Hinterlassenschaften der Sowjetära in der Ukraine, macht sie stellvertretend an Materialien des öffentlichen Raumes fest.
Neben realsozialistischer Baukeramik sind es Straßenbeläge, etwa aus Kyjiw, die sie in teils großformatigen „Daten-Extraktionen“ birgt. In der künstlerischen Strategie des Readymade interpretiert sie ihr brüchiges oder ausgetretenes Material als ein Porträt der Stadt. 2022 nahm Kadyrova aktuelle Erweiterungen vor: In Hannover hingen schwere Asphaltflächen an den Wänden, zerfetzt von russischen Projektilen.
An diese Arbeiten muss man unweigerlich denken, steht man im Schlosspark Wolfsburg nun vor dem Krater, den Fabian Knecht einem solchen im ukrainischen Isjum nachgebildet hat. Harmlos sieht er aus, nicht besonders tief oder martialisch aufgewühlt, und muss doch gemäß deutschen Sicherheitsvorschriften mit dem Hinweis „Betreten verboten“ eingefriedet werden. Man fragt sich dann, was dieses Objekt eigentlich soll: nur eine weitere Akquisition in der Sammlung von Kunst im Grünraum, die den Schlosspark ziert?
„Der Weg des größten Widerstandes“, Fabian Knecht, Städtische Galerie Wolfsburg. Bis 14. 01. 2024
Fabian Knecht, 1980 in Magdeburg geboren, ist Absolvent der Universität der Künste Berlin. Seit 2005 ist er der Ukraine verbunden, als ein Freund, studierter Agrarwirt, in der Westukraine sein Glück versuchte. Mittlerweile bewirtschaftet dieser dort 5.000 Hektar und beschäftigt eigentlich 50 Angestellte, wenn er sich nicht um die eigene wie gemeinsame Zukunft sorgt, um Flüchtlinge, Kriegsopfer, Beschädigte.
Knecht ist allein seit Kriegsbeginn elf Mal in der Ukraine gewesen, pflegte davor schon intensive Kontakte in die ukrainische wie auch die russische Kunstszene, hat dort ausgestellt. Insofern überrascht es nicht, dass er zum tätigen Aktivisten wurde. Gleich zu Kriegsbeginn hat er kugelsichere Westen, Helme und medizinisches Material in die Ukraine gebracht, finanziert durch Spenden aus Berlin. Dieses Engagement hält bis heute an, ein Dankesschreiben für seinen Einsatz liegt in Wolfsburg aus.
Klar, dass sich auch das Konzept seiner schon lange geplanten Wolfsburger Ausstellung radikal änderte: Knecht zeigt nun eine Reihe so bezeichneter „humanitärer Plastiken“. In den Räumen der Städtischen Galerie hängen etwa Tarnnetze, wie sie Zivilist:innen überall in der Ukraine aus Alttextilien knüpfen, um Schützenswertes zu verhängen.
Knecht hat sichtbar schöne Exemplare gegen professionelle militärische Netze eingetauscht, will sie als Elemente des zivilen Widerstands gewürdigt sehen. Seine vielen Fahrten durchs Land sind in einem gut halbstündigen Film aus kurzen Sequenzen festgehalten. Sie zeigen apokalyptische Zustände, die uns westlich weichgespülte Medien vorenthalten: verglühte Wälder, zerstörte Fabriken, Straßen, Brücken, ausgebrannte Panzer und Plattenbauten, Scharen herrenloser Hunde und Katzen.
Mulmig aber wird einem vor den großen Leinwänden mit tiefschwarzen Spuren, abstrakt gestischen Zeichnungen ähnlich. Für sie hat Knecht literweise Leinöl in einen ausgebrannten Panzer gegossen, so die Aschepigmente gebunden. Und durch diese dunkle Flüssigkeit dann, batikgleich, seine Leinwände stückweise gezogen, oder sie tief hineingetaucht – mit „Intuition und Muskelkraft“, so Knecht.
Feuertod im Panzer
Aber was war das denn für eine Asche? Wird ein Panzer so attackiert, per Drohne, durch Artillerie oder spezielle Waffen, dass er komplett in Flammen aufgeht, stirbt in der Regel auch die gesamte Besatzung im Inneren den Feuertod. Je nach Typ sind dies drei oder vier Menschen. Darf das also die Kunst, solch „Eintauchen der Leinwand in den Tod“, wie Knecht es weiter beschreibt?
Schnell werden dann kuratorische Referenzen christlicher Schweiß- oder Leichentücher bemüht, auch sie ja schon bemerkenswerte Artefakte verrohten Gesinnungskitsches. Verrutscht der „westlichen Wertegemeinschaft“ und ihrer freien Kunst also gerade, und wieder einmal, der ethische Kompass?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Nach Hinrichtung von Jamshid Sharmahd
„Warum haben wir abgewartet, bis mein Vater tot ist?“
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution