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Grüne MigrationsdebattenEin unauflösbares Dilemma

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Die Grünen wollen die Ampel nicht sprengen. Doch deren Migrationspolitik bringt die Grünen selbst an den Rand der Spaltung.

Korrektiv innerhalb der Grünen – die Grüne Jugend Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

N atürlich darf man den Einfluss der Grünen Jugend nicht überschätzen. Der Nachwuchsverband hat gerade 16.000 Mitglieder, er steht links in der Partei, die Realos haben ihre Macht dort kräftig ausgebaut. Doch auf dem letzten Parteitag hat die Grüne Jugend gezeigt, dass sie Wirkung entfalten kann: Mit einem Antrag gegen den Abriss des Dorfs Lützerath hat sie die Parteispitze an den Rand einer Niederlage gebracht. Sie hat es geschafft, dem Unmut der Basis mit dem Treiben der Grünen in der Bundesregierung eine Stimme zu geben.

Der Unmut ist auch jetzt groß, auch wenn er sich öffentlich bislang kaum geäußert hat, zumindest nicht gegen die eigenen Leute. GEAS, Krisenverordnung, jetzt Migrationspaket II: In der Migrationspolitik werfen die Grünen eine Position nach der nächsten über Bord. Dass sie stets auch Verbesserungen ausgehandelt haben, macht die Ergebnisse nicht gut.

Die einen in der Partei meinen, idealtypisch gesprochen, dass dies zwar nicht schön, aber unabwendbar sei. Weil die Stimmung in der Bevölkerung ist, wie sie ist. Weil die Grünen nicht als Bremser vermeintlich oder tatsächlich notwendiger Maßnahmen dastehen dürfen. Und weil Streit in der Regierung verhindert werden muss, weil der die Ampel schwächt und die AfD stärkt.

Die anderen halten das für einen schweren Fehler. Weil eine menschenrechtsorientierte Migrationspolitik für sie zur grünen Identität gehört. Und weil harte Rhetorik und restriktive Politik den Rechtsruck eher verschärfe, was wiederum bei der AfD einzahle. Laut Erfahrung und wissenschaftlicher Studien spricht vieles für diese Lesart.

Doch was folgt daraus? Weil kaum jemand glaubt, dass es besser würde, würden die Grünen die Ampel verlassen, steckt die Partei in einem unauflösbaren Dilemma. Auch deshalb, und wegen der Angst vor der AfD, bleibt es bislang so still. Auf dem Parteitag im November könnte sich das ändern, auch auf Betreiben der Grünen Jugend. Der Partei steht eine schwierige Debatte mit dem Zeug zur Spaltung bevor.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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2 Kommentare

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  • Die Nachricht hinter der Nachricht ist, dass die Parteien, bei denen ein solcher Konflikt nicht auftritt, nicht als verfassungs- und menschenrechtsfeindlich benannt werden.

    Das Schlimme oder Schlechte ist aus Sicht der geltenden Staats- und Rechtsordnung nicht die Debatte der Grünen, sondern die Nichtdebatte der Anderen. Aber das darzulegen gibt das Framing des Artikels nicht her.

  • Im Jahr 2015 waren gefühlt 95% aller Deutschen für die Aufnahme von Flüchtlingen, gegen Obergrenzen etc. Die restlichen 5% , also die damaligen AFD Wähler, waren dagegen. Heute haut die CDU (Merz) und selbst teilweise die SPD (Scholz) Dinge raus die 2015 die AFD nicht hatte 'besser' sagen können und große Teile der Bevölkerung finden das richtig. All diejenigen die in den letzten 8 Jahren ihre Meinung geändert haben sollten sich in Grund und Boden schämen. Bei einem solchen Thema, bei dem es um hundert tausende Menschen geht, seine Meinung so drastisch zu ändern ist absolut beschämend. Entweder haben diese Menschen damals nicht nachgedacht oder heute nicht.